Samuel Schürmann, Frederike Haas (Stella Goldschlag), Jörn-Felix Alt, Victor Petitjean © Matthias Heyde
Samuel Schürmann, Frederike Haas (Stella Goldschlag), Jörn-Felix Alt, Victor Petitjean © Matthias Heyde

Stella (2016 - 2018)
Neuköllner Oper, Berlin

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastCast (Historie)Ter­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Ein düsterer Teil deutscher Geschichte in einem ungewöhnlichen Raumkonzept packend inszeniert (Regie: Martin G. Berger). Tolle Darsteller, allen voran Frederike Haas in der Titelrolle, garantieren einen ungewöhnlichen Musiktheaterabend.

Überleben. Diese Mission schreibt Stella mit einem schwarzen Filzstift auf den weißen Fußboden. Überleben. Damit rechtfertigt eine Frau, die hinter vorgehaltener Hand “das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm” genannt wird, ihr eigenes Tun. Aber legitimiert das eigene Überleben den Verrat von mehr als dreihundert anderen Juden, die dadurch in der Nazi-Todesmaschinerie umkommen?

Das jetzt an der Neuköllner Oper uraufgeführte, biografische “deutsche Singspiel” von Wolfgang Böhmer (Musik) und Peter Lund (Text) beleuchtet collageartig das Leben von Stella Goldschlag. Sie selbst verleugnet den ihr von Geburt auferlegten jüdischen Glauben (“Wir feiern schließlich Weihnachten und nicht das Chanukka-Fest!”), versteht sich als “Deutsche” und weigert sich strikt, den von den Nazis verordneten Judenstern zu tragen. Schließlich zwingen sie die braunen Machthaber, als so genannte “Greiferin” im Untergrund lebende Juden zu verraten. Das perfide Lockmittel der Gestapo, sie könne so das Leben ihrer Eltern schützen, zerplatzt wie eine Seifenblase. Gleiches gilt für Stellas Lebenstraum, als Sängerin die Karriereleiter im internationalen Showbiz zu erklimmen. Stattdessen folgen zehn Jahre in russischer Lagerhaft und weitere Prozesse in der jungen Bundesrepublik. Nach fünf Ehen – darunter eine mit einem ehemaligen Nazi, für den Stella zum Christentum konvertiert – begeht sie mit 72 Jahren Selbstmord.

Das Publikum erlebt diese recht harte Biografie voller Enttäuschungen, Gewalt, Lügen und Selbstverleugnungen hautnah mit. Diese Nähe erreicht Ausstatterin Sarah-Katharina Karl mit einem mitten im Theatersaal stehenden, die gesamte Breite einnehmenden, zweigeschossigen Kasten. Vor dessen beiden Längsseiten sitzt sich das Publikum auf Tribünen gegenüber und blickt zunächst nur aufs eigene Spiegelbild. Wenn der Innenraum dieses Glashauses beleuchtet wird, verschwindet der Spiegeleffekt und der Blick fällt in einen abstrakten Raum mit schwarzen Leitern und Kleiderhaken. Weitere Spielflächen entstehen durch komplettes Öffnen der Schiebetüren im Erdgeschoss und durch die ebenfalls beweglichen Leinwände im Obergeschoss. Sind sie geschlossen, werden hier Live-Übertragungen der Handlung und Collagen mit zeitgenössischem Schwarz-Weiß-Filmmaterial (Video: Roman Rehor) gezeigt.

Durch die räumliche Nähe zum Multifunktionsspielraum zieht Regisseur Martin G. Berger sein Publikum quasi mit in die Stella Goldschlag-Biografie hinein, die szenenweise zwischen verschiedenen Zeitebenen und Handlungssträngen hin- und herspringt. Steht Stella gerade noch in der Nachkriegs-Bundesrepublik vor Gericht, wird sie darauf von Gestapo-Männern misshandelt oder träumt dann von ihrer Gesangskarriere.

Erzählt wird der bitter-bedrückende Stoff aus der Perspektive von fünf Männern aus Stellas Lebens – darunter ihr Vater, ein Greifer-Kollege und Ehemann Nummer 2 sowie Samson Schönhaus, ein unsterblich in Stella verliebter Jude, der im Untergrund mit gefälschten Papieren handelt. Berger nutzt in seiner Inszenierung viele Symbole (Schuhe für die von Stella verratenen Opfer), erzählt filmisch wie in einer TV-Doku (Stellas Flucht mit ihrer Mutter aus einer Rüstungsfabrik) und vermischt Realität mit Tagträumen. Dies gelingt ihm ganz vortrefflich, wenn Stella von ihrer Gesangskarriere träumend mit Revuetänzern an ihrer Seite auf dem Rücken liegend von oben gefilmt wird. Das erinnert zunächst optisch an UFA-Filmoperetten mit Lilian Harvey und Willy Fritsch, gipfelt dann aber in einer Esther-Williams-Wasserchoreografie (Marie-Christin Zeisset), bei der Stella auf einem überdimensionalen Judenstern liegt. Ein starkes Bild!

Zu Beginn des Stücks haust Stella eingepfercht wie ein Tier in einem Käfig, aus dem es kein Entkommen gibt. Frederike Haas zeichnet die Titelfigur zunächst als Verzweifelte, als Opfer. Wenn dann aber verschiedene Kleidungsstücke, die Stella auf Stationen ihres Lebens begleitet haben, von oben in dieses Gefängnis fallen, dann wandelt sich Haas auch mit vollem Körpereinsatz zur Macherin, zur oftmals trotzigen, aber immer sehr verführerischen Frau, die die Männer umgarnt und von nichts gewusst haben will. Das fesselt, lässt das Publikum aber auch mitfühlen. Stimmlich gleitet Haas makellos mit schönem Sopran durch ihre vielen Gesangsaufgaben. Eine rundum stimmige Leistung!

Wie Stellas Fixsterne umschwirren, bedrohen, beklagen und verfolgen Jörn-Felix Alt, Victor Petitjean, Markus Schöttl, David Schroeder und Samuel Schürmann die Protagonistin und sind ebenso wie Haas zweimal eine Stunde im Dauereinsatz. Das in schlichte schwarze Anzüge gekleidete Herren-Quintett (Kostüme: Sarah-Katharina Karl) profiliert sich sowohl mit den immer wieder szenenweise auftretenden Männer-Figuren, tritt aber auch als kommentierender Chor auf. Alle fünf liefern auch gesanglich eine gute Leistung ab, sodass es unfair wäre, einzelne Darsteller hervorzuheben.

Ein Glücksfall sind auch die abwechslungsreichen Kompositionen von Wolfgang Böhmer. Seine Partitur klingt mal schräg-atonal, dann schmeichelt sie sich im volksliedartigen Gewand oder als Mitklatsch-Durchhaltemarsch in den Gehörgang ein. Böhmer orientiert sich aber auch am Jazz, an Kurt Weill (“Es geht ein Gespenst um am Kurfürstendamm”) und an jiddischer, liturgischer Musik. Alle Stilrichtungen sind bei der an einer Schmalseite des Saals postierten 7-Mann-Band – in der besuchten Vorstellung unter der Leitung von Tobias Bartholmeß – vortrefflich aufgehoben.

“Stella der Engel – Stella das Böse. Was ist gelogen, was ist wahr?” fragen die fünf männlichen Gesangsstimmen immer wieder. Eine abschließende Meinung dazu sollte sich jeder Besucher nach der Vorstellung selbst bilden.

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastCast (Historie)Ter­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
InszenierungMartin G. Berger
Musikalische LeitungHans-Peter Kirchberg
Tobias Bartholmeß
AusstattungSarah-Katharina Karl
ChoreografieMarie-Christin Zeisset
VideoRoman Rehor
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastCast (Historie)Ter­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
=2017=
Stella Goldschlag-KüblerFrederike Haas
Rolf Isaaksohn u.a.Jörn-Felix Alt
Dennis Weißert
Yvonne, Stellas TochterIsabella Köpke
Walter Dobberke, Richter u.a.Victor Petitjean
Adolf Eichmann, Friedheim Schellenberg u.a.Markus Schöttl
Samson Schönhaus u.a.Alen Hodzovic
Samuel Schürmann
Vater Goldschlag u.a.David Schroeder
Band
KlavierHans-Peter Kirchberg
Tobias Bartholmeß
Klarinette, Alt-Saxofon, Bariton-SaxofonSidney Pfnür
Grégoire Peters
Flöte, Piccolo, Klarinette, BassklarinetteKarola Elßner
Christian Vogel
TrompeteRainer Brennecke
VioloncelloAnja-Susann Hammer
Johannes Henschel
Susanne Wohlleber
KontrabassOtwin Zipp
Anders Grop
Schlagzeug, Vibra-, MarimbaphoneOlaf Taube
Franz Bauer
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastCast (Historie)Ter­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (HISTORY)
=2016=
Rolf Isaaksohn u.a.Jörn-Felix Alt
  
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastCast (Historie)Ter­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE
keine aktuellen Termine
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastCast (Historie)Ter­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE (HISTORY)
Do, 23.06.2016 20:00Neuköllner Oper, BerlinPremiere
So, 26.06.2016 20:00Neuköllner Oper, Berlin
Mi, 29.06.2016 20:00Neuköllner Oper, Berlin
▼ 52 weitere Termine einblenden (bis 04.11.2018) ▼
Zur Zeit steht die Funktion 'Leserbewertung' noch nicht (wieder) zur Verfügung. Wir arbeiten daran, dass das bald wieder möglich wird.
Overlay