Die Mitglieder der MUZ-Redaktion verraten ihre Musicalhighlights des Jahres. Vorgabe für die Auswahl war: Die Produktion musste 2025 besucht worden sein - egal, ob sie da schon länger lief oder erst Premiere hatte. Ein bunter Blick auf die vielfältige Musicallandschaft des fast vergangenen Jahres .
Dezember bedeutet: Märchenzeit für mein Fernsehsessel-Programm. Zwar ist "Die tollkühne Hexe" kein Märchen im klassischen Sinn, sondern die Verfilmung eines Kinder-Fantasyromans, aber es geht um Hexen und Zauberei - das genügt mir, um in die Kategorie zu passen. Der Streifen hat eine ziemlich holprige Entstehungsgeschichte und die Disney-Studios gingen ganz schön rabiat mit ihm um, was dazu führte, dass die Songs schreibenden Sherman-Brüder nie mehr für Disneyfilme arbeiteten. Trotzdem besitzt er dank eines tollen Ensembles und der Mischung aus Real- und Animationsfilm Charme und unterhält ausgesprochen gut. Eigentlich überraschend, denn die Eingriffe und Schnitte sind unübersehbar.
In diesem trüben Monat habe ich mich für bunte Unterhaltung entschieden. "Bells Are Ringing" ist eins dieser "Hab nur den Namen mal gehört“- Musicals, die heute kaum noch zu sehen sind. In einigen deutschen Theatern lief es unter dem Titel "Ein Engel in der Leitung". Die Hauptrolle in der Verfilmung von 1960 übernahm die Schauspielerin, für die es kreiert wurde und die es am Broadway zum Hit machte. Die Filmversion ist ein Denkmal für die vielen Talente der Judy Holliday.
Kristina (konzertante Voraufführung) (seit 11/2025)
Theaterzelt, Koblenz
Es ging ein Raunen durch die deutsche Musical-Landschaft, als das Theater Koblenz zu Recht stolz verkündete, man habe die Rechte an der Deutschen Erstaufführung von "Kristina från Duvemåla", dem schwedischen National-Musical, bekommen. Mit dieser prestigeträchtigen Produktion wollte man das Theater nach seiner Sanierung feierlich eröffnen. Doch weil sich die Arbeiten länger hinziehen als geplant, gibt es in dieser Spielzeit nur drei gekürzte konzertante Aufführungen. Intendant Markus Dietze nennt sie "Appetithappen". Es fühlt sich aber mehr wie ein Provisorium an.
Come from Away - Die von woanders (seit 11/2025)
Großer Saal Musiktheater, Linz
Nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 wird der Luftraum über den USA gesperrt. 38 Flugzeuge werden nach Neufundland zum Flughafen Gander umgeleitet. Die einheimische Bevölkerung auf der Insel muss von jetzt auf gleich 7000 gestrandete Passagiere versorgen. Sie tut das ohne lange zu überlegen mit Tatkraft und offenen Armen. Ein im positivsten Sinn zu Herzen gehendes Musical, stark interpretiert und perfekt inszeniert. Das lässt doch noch an das Gute im Menschen glauben.
The Addams Family (seit 11/2025)
Stadttheater, Gießen
"The Addams Family“ ist die derzeit beliebteste Musical-Familie auf deutschsprachigen Bühnen. Allein in dieser Spielzeit laufen mindestens neun professionelle Produktionen des Erfolgsstücks. Ein Grund dafür ist - neben der bekannten Marke "Addams Family“ und der Familientauglichkeit (trotz einiger rabiater Scherze) –, dass sich von der Regie übers Ensemble bis zur Ausstattung alle richtig austoben können. In Gießen nutzt dies das Ensemble mit sichtlichem Spaß aus, die Regie geht etwas zu sehr auf Nummer Sicher und die Ausstattung nutzt ihre Möglichkeiten nicht komplett.
Carpe F*cking Diem (2025)
Kammertheater Karlsruhe GmbH, Karlsruhe
Was würdest du tun, wenn du nur noch drei Tage zu leben hättest? Eine ziemlich existenzielle Frage für ein Comedy-Musical. Beantwortet wird sie in irrwitzigen Episoden mit Songs von der zarten Ballade bis zum Powerschlager. Die gelungene szenische Umsetzung und vor allem das grandios aufspielende Ensemble machen aus der hanebüchen konstruierten Geschichte ein lebensbejahendes Gute-Laune-Fest.
Julie Andrews feierte gerade ihren 90. Geburtstag. Das nehme ich zum Anlass, mich näher mit ihrem Comeback-Film "Victor / Victoria" zu beschäftigen. Genauer gesagt: auch mit dessen Wurzeln. Ich befasse mich in dieser 'Fernsehsessel'-Ausgabe gleich mit vier Filmen, denn Blake Edwards‘ Meisterwerk ist das dritte Remake eines deutschen Films von 1933. Mich interessiert, ob – und wenn ja, wie sehr – sich die verschiedenen Verfilmungen von "Viktor und Viktoria" von der ersten UFA-Fassung bis zur Hochglanz-Hollywood-Version beeinflusst haben. Ich kann schon mal verraten: Spuren des deutschen Originals finden sich selbst in der knapp 50 Jahre später gedrehten US-Version wider.
Die Mutter aller Kultfilme wird 50 – 1975 flimmerte „The Rocky Horror Picture Show“ zum ersten Mal über die Leinwand! Mit dem Begriff „Kult“ wird für meinen Geschmack etwas zu inflationär umgegangen, aber dieser Film trägt dieses Etikett zu Recht. Zuschauer verkleiden sich, es gibt Zwischenrufe und Publikumsaktionen. Der Film ist eigentlich nur Anlass für die im Saal stattfindende Party. Aber funktioniert er auch einfach nur so im heimischen Wohnzimmer – ich allein in meinem Fernsehsessel, nicht in Frank'n'Furter-Corsage, ohne Wasserpistole und ohne Reis zu werfen? Okay, vielleicht singe ich ein kleines bisschen mit …
Als ich die Verfilmung von "Anatevka" zum ersten Mal gesehen habe, war ich ziemlich verwundert. Ich wusste grob, dass es um den jüdischen Milchmann Tevje und seine Familie in einem Dorf geht, und erwartete gefällige Unterhaltung mit folkloristischer Musik. Dass die Geschichte zutiefst tragisch ist und man eigentlich drei Stunden dabei zusieht, wie Tevjes Welt auseinanderbricht, wusste ich nicht. Norman Jewisons Verfilmung hält sich zwar eng an die Vorlage von Jerry Bock (Musik), Sheldon Harnick (Songtexte) und Joseph Stein (Buch), geht aber formal weg von der stilisierten Optik des Broadway-Originals hin zu einem fast dokumentarischen, um Authentizität bemühten Realismus. Für das Medium Film eine gute und mutige Entscheidung.
