Patricia Meeden (Mimi Marquez), Ensemble © Thomas M. Jauk
Patricia Meeden (Mimi Marquez), Ensemble © Thomas M. Jauk

Rent (2023 - 2024)
Opernhaus, Dortmund

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

“RENT” findet eher selten den Weg auf die Bühne, was vielleicht auch daran liegen mag, dass das Stück aus der Feder von Jonathan Larson komplexe Anforderungen an alle Rollen sowie Bühne und Regie stellt. Tiefgängige Charaktere und blitzschnelle Szenenwechsel prägen das Stück. Manches Mal fällt auch auf, dass der Schöpfer bis unmittelbar vor seinem frühzeitigen Tod bis zur Erschöpfung an dem Musical arbeitete, denn so manche Szene wirkt unpoliert. Doch gerade diese Rohheit macht das Stück aus, genauso wie seine Komplexität, in der unangenehme Themen wie Obdachlosigkeit, HIV und Armut Platz finden. Das Theater Dortmund schafft mit Gil Mehmerts Inszenierung einen vielschichtigen Musicalabend, in dem vor allem die homogene Cast brilliert, die wie ein Uhrwerk ineinandergreift.

Das Theater Dortmund hat die exzellente Entscheidung getroffen, ein komplettes Musical-Ensemble aus Gastdarstellern an die Oper zu holen, um die diverse Künstler-WG zu besetzen. Jede einzelne Rolle, egal wie klein, ist herausragend besetzt.  Die Show startet noch etwas verhalten, nimmt aber schnell an Fahrt auf, wenn die vielen zwischenmenschlichen Beziehungen ins Spiel kommen. Jedes Paar harmoniert auf seine eigene Art und Weise.

Da sind der mittellose Musiker Roger Davis (David Jakobs) und die Prostituierte Mimi Marquez (Patricia Meeden), die sich in “Feuer für die Kerze” näherkommen und damit einen starken Moment im ersten Akt markieren. Jakobs spielt den desillusionierten Roger schonungslos ehrlich mit seiner Zerrissenheit, seiner HIV-Erkrankung sowie der ehemaligen Drogenabhängigkeit und rockt sich durch die gerade im Deutschen anspruchsvollen Songs. Patricia Meeden zeigt die volle Frauenpower und macht “Raus heut’ Nacht” zu einem absoluten Showstopper, in dem Sie gekonnt im wahrsten Sinne des Wortes auf Tischen tanzt. Ihre voluminöse Stimme ist in allen Lagen sicher. Gerade aber auch in den ruhigen Momenten hält sie das Publikum in Atem, ganz besonders mit “Wenn du nicht mehr da bist”.  Ihre Mimi ist zerbrechlich und authentisch.

Für die emotionalsten Momente des Abends sorgen aber Tom Collins (Alex Snova) und Angel (Lukas Mayer). Ihre Verliebtheit steckt an und in jedem Blick ist die Zuneigung der beiden zueinander zu spüren. “Mit Liebe bedeck’ ich dich” ist der größte Gefühlsmoment im ersten Akt. Mayers Angel gehört sowieso zu den interessantesten Charakteren des Abends. Die Drag-Queen ist exzentrisch, voller Liebe, laut und auch mal leise. “Heut Nacht für euch” ist ein weiterer Showstopper im ersten Akt und die gesangliche sowie tänzerische Leistung Mayers ist enorm. Stückbedingt blüht Bühnenpartner Snova besonders im zweiten Akt noch einmal auf. Angels Beerdigung ist wohl der ergreifendste Moment der Show und erschüttert bis ins Mark, vor allem durch die sanfte Reprise von “Mit Liebe bedeck’ ich dich”.

Ein weiteres verflochtenes Trio sind Christof Messner als Mark Cohen, seine Ex-Freundin Maureen Johnson (Bettina Mönch) sowie ihre neue Freundin Joanne Jefferson (Amani Robinson). Messner agiert unfassbar geschickt mit der Kamera als durchgehende Requisite und zeigt dem Publikum einen oft zweifelnden Filmemacher. Mit “Tango Maureen” setzt er im ersten Akt ein Highlight und auch sein Monolog im zweiten Akt, in dem er sich fragt, was er als Künstler überhaupt erreicht, ist stark. Intensiv sind auch die Streitmomente mit Roger.

Joanne und Maureen stoßen sich permanent ab und ziehen sich dann doch wieder an. Dabei zählt Amani Robinson als Joanne zu der stärksten Frauenrolle am Abend. Ihr rockiger Tenor, ihre Spielfreude und ihre Ausdrucksstärke reißen mit. Bettina Mönch steht dem aber in Nichts nach mit einer unheimlich exzentrischen, lauten Maureen, die doch ganz leise wird, wenn sie ihre Joanne vermisst. Der Streit des Duos “Lass mich oder verlass mich” strotzt nur so voll Energie. Bleibt noch der Außenseiter Benjamin Coffin III, gespielt von Pedro Reichert. Immer wieder zieht es ihn zu seinen alten Künstlerfreuden, immer wieder möchte er mit seinem Geld doch helfen und ist doch von Zweifeln geplagt. Reichert verleiht dem Charakter eine wunderbare Sanftheit, die ihn durchs ganze Stück trägt und sogar trotz seiner Antagonisten-Rolle auf Anhieb sympathisch macht.

Das Ensemble besteht größtenteils aus Studenten der Folkwang Universität der Künste, die jede noch so kleine Rolle meistern, sei es als Künstler oder Obdachloser, und Melissa Kings rebellische und dynamische Choreografien mit viel Energie umsetzen. Die Ensemble-Nummern sind durchweg großartig, besonders “La Vie Boheme” als Finale des ersten Akts und das Opening des zweiten Akts mit “Seasons of Love”. Es ist eine gelungene Entscheidung, diesen Song in der Originalsprache zu belassen.” RENT” lebt auch von seinen schnellen Szenenwechseln. Gil Mehmert als Regisseur hat hier gemeinsam mit dem Bühnenbild (Jens Kilian, Mara Lena Schönbörn), der Kostümausstattung (Falk Bauer) sowie dem Lichtdesign (Michael Grundner) Erstaunliches geleistet. Das Bühnenbild ist enorm plastisch und vielschichtig. Im Hintergrund wird die Skyline von New York dreidimensional projiziert, weiter vorne ist Rogers und Marks Appartement freistehend zu sehen, während eine Stufe tiefer eine weitere Ebene entsteht, auf der z.B. Telefonate geführt werden.

Dazu bewegt sich die Bühne stets von oben nach unten, um neue Szenerien zu kreieren wie das Life Café oder Maureens Bühne. Mehmert erschafft dabei Bilder, die an ein Kinoerlebnis erinnern und randvoll mit Details sind. Beispielsweise ist der Auftritt der Selbsthilfegruppe dramaturgisch und szenisch stark in Szene gesetzt, da sich im unteren Raum der Stuhlkreis bildet, während oberhalb Roger ganz allein in seinem Apartment mit seiner AIDS-Erkrankung hadert.

Trotz noch recht sommerlichen Temperaturen in der realen Welt kommt im Theater Weihnachtsstimmung auf, dank geschickt konstruierter Müll-Tannenbäume und konstant auf die Bühne rieselndem Schnee. Tom stibitzt sich im ersten Akt die Krone einer bekannten Fast-Food-Kette vom Müll-Baum und im Hintergrund betteln Obdachlose. Diese detailverliebten Bilder sind ein Genuss. Wenn man hieran überhaupt etwas aussetzen kann, dann ist es die Angst, in der Masse etwas zu verpassen. Gerade wenn der Zuschauer im Parkett nah an der Bühne sitzt, ist es fast unmöglich, das Geschehen mit all seinen Details und liebevoll inszenierten kleinen Momenten zu erfassen.

Außerdem arbeitet Mehmert sehr gekonnt mit stoppenden Momenten, in denen nur die beiden Charaktere interagieren, um die es gerade geht. Der Rest um sie herum friert ein und ergibt so ebenfalls ein kinoreifes Stillleben.

Intelligent ist auch der Einfall, wie die vielen Szenen umgesetzt worden, in denen auf den Anrufbeantworter gesprochen wird: Der jeweilige Anrufer fährt an Seilen gehalten hoch oben über die Bühne, während er seinen Text einspricht.

Die Kostüme sind so divers wie die Charaktere und passen zu jedem Einzelnen. Da ist Angel in Glitzer, Maureen im Catsuit oder Roger cool in seiner Lederjacke. Die Bohemes sind bunt, während die Obdachlosen die graue, harte Wirklichkeit mit vielen Lagen Kleidung genau widerspiegeln.

Rockmusicals leben auch von der Band – diese fällt mit nur fünf Mitgliedern zwar klein aus, spielt sich aber sauber und kraftvoll durch die Partitur, egal ob in leisen oder kraftvollen Momenten. Nur die Abmischung am Premierenabend ist noch nicht perfekt und gerade die Einzeltexte in Ensemble-Nummern gehen manchmal in der Rockmusik verloren.

“RENT” am Theater Dortmund ist gewagt, divers, oft düster und trotzdem voller Hoffnung. Neben seiner Diversität überzeugt das Stück mit starken weiblichen Hauptrollen, die man selten in dieser Menge und Vielschichtigkeit gemeinsam auf derselben Bühne findet. Die Cast im Zusammenspiel mit den cineastischen Bühnenbildern ist ein Erlebnis – hier fühlt sich alles an wie aus einem Guss. Dafür gibt es bei der Premiere zu Recht begeisterte Standing Ovations.

 
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KREATIVTEAM
Buch, Musik und LiedtexteJonathan Larson
ÜbersetzungWolfgang Adenberg
ArrangementsSteve Skinner
Musikalische LeitungJürgen Grimm
Karsten Scholz
InszenierungGil Mehmert
ChoreografieMelissa King
BühneJens Kilian
Mitarbeit BühneMara Lena Schönborn
KostümeFalk Bauer
LichtdesignMichael Grundner
DramaturgieDr. Daniel C. Schindler
StudienleitungThomas Hannig
ProduktionsleitungFabian Schäfer
DancecaptainYara Hassan
 
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CAST (AKTUELL)
Mark CohenDominik Hees
Christof Messner
Roger DavisDavid Jakobs
Tom CollinsAlex Snova
Benjamin Coffin IIIPedro Reichert
Joanne JeffersonAmani Robinson
Angel Dumott SchunardLukas Mayer
Mimi MarquezPatricia Meeden
Maureen JohnsonBettina Mönch
EnsembleLouisa Heiser
Antonia Kalinowski
Tamara Köhn
Friederike Zeidler
Max Aschenbrenner
Til Ormeloh
Julius Störmer
Richard-Salvador Wolff
Cross-SwingYara Hassan
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 30.09.2023 19:30Opernhaus, DortmundPremiere
Sa, 07.10.2023 19:30Opernhaus, Dortmund
So, 15.10.2023 19:30Opernhaus, Dortmund
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