Das kunterbunte Musical von Scott Wittmann und Marc Shaiman kann auf der großen Bühne des Nürnberger Staatstheaters nur bedingt überzeugen. Der Slogan der Show „Niemand stoppt den Beat“ muss in Nürnberg eingeschränkt werden: Niemand stoppt den Beat – mit Ausnahme der Tontechnik und der überdimensionierten Bühnengröße. Übrig bleibt eine Show, die eigentlich so viel besser hätte sein können, aber letztendlich auch an der in weiten Teilen ideenlosen Inszenierung kränkelt.
Schon beim Betreten des Zuschauerraums fühlt man sich die in die Welt der Swinging Sixties zurückversetzt. Auf den Bühnenvorhang des Nürnberger Staatstheaters werden vor Beginn der Show knallbunte Cadillacs und Haarspraydosen projiziert. In der besuchten Show konnte man sich diese Slide-Show sehr ausführlich ansehen. Das Team des Theaters kämpfte nämlich an diesem Abend mit massiven Tonproblemen, wie zwanzig Minuten nach dem eigentlichen Beginn verkündet wurde. Mit einer knappen Stunde Verspätung konnte die Show dann starten – leider immer geplagt noch von Tonproblemen, die auch im Verlauf der Vorstellung nicht vollständig beseitigt werden konnten.
Erzählt wird die Geschichte des übergewichtigen Teenagers Tracy Turnblad, die keine Ausgabe der Corny-Collins-Show verpasst. Dort werden den Teenagern Baltimores jede Woche von einer Gruppe von coolen, scheinbar perfekten Mädchen und Jungen die neuesten Tanzschritte gezeigt – alle weiß und aus gutem Hause, die Mädchen rank und schlank, die Männer trainiert und ordentlich gescheitelt. Kurzum: alles Attribute, die die pummelige Tracy, deren Eltern einen Bügelservice und einen Scherzartikelladen betreiben so gar nicht erfüllt. Besonders der aufstrebende Star der Show Link Larkin hat es Tracy angetan. So beschließt sie – gegen jede Vorwarnung ihrer Eltern und ihrer besten Freundin Penny – an einem Vortanzen für einen Auftritt in der Corny-Collins-Show teilzunehmen. Natürlich kommt es, wie kommen muss: Tracy bekommt aufgrund ihres „nicht perfekten“ Körpers nicht mal die Möglichkeit vorzutanzen und wird von der Produzentin der Show Velma van Tussle hochkant aus dem Studio geworfen. Doch es kommt noch schlimmer: Weil sie für den Termin zum Vortanzen die Schule geschwänzt hat, muss sie auch noch nachsitzen. Dort trifft sie auf eine Gruppe dunkelhäutiger Mitschüler, die aufgrund der damals geltenden Rassentrennung niemals eine Chance gehabt hätten, in einer solchen Show aufzutreten. Sie beschließt, diesem Unrecht ein Ende zu machen und spannt nebenher einem der perfekten blonden Mädchen der Show ihren Freund aus: den von ihr stets angeschmachteten Link. Die Geschichte wird damit zu einem Manifest gegen Diskriminierung jeglicher Minderheiten. Dass sie nicht zu jeder Zeit logisch erzählt wird, macht dabei gar nichts aus. Bei dem Erzähltempo, das Hairspray vorlegt, geht es eben nicht immer logisch zu.
Optisch sieht die Show, die eine Zusammenarbeit der Oper Dortmund und des Staatstheaters Nürnberg ist, wie eine abgespeckte Version der bekannten Originalinszenierung vom Broadway, die später auch in Köln gezeigt wurde, und der deutschsprachigen Erstaufführung in St. Gallen aus. Alles ist knallbunt – sowohl die Kostüme im 60er-Jahre-Stil als auch das Bühnenbild, das mal als zweigeschossige Wohnung der Familie Turnblad, mal als Fernsehstudio entweder von oben oder von der Seite eingefahren wird.
Die riesige Bühne in Nürnberg erweist sich hierbei gleichzeitig als Fluch und Segen. Einerseits lässt sie tolle Effekte zu. Wenn zum Beispiel Tracy und ihre Freundin in Tracys Zimmer im zweiten Stockwerk der Wohnung die Corny-Collins-Show sehen, die Mutter im Erdgeschoss vor ihrem Bügeltisch über ihr Leben siniert und ihre Tochter ermahnt, ist das Publikum auf der rechten Bühnenhälfte gleichzeitig zu Gast in der Corny-Collins-Show. Zum Fluch wird die Bühnengröße dann aber, wenn in den Ensembleszenen auf leerer Bühne gespielt wird: Das Ensemble verliert sich auf der großen Fläche beinahe und in einigen Momenten muss sogar das Tempo der Musik reduziert werden, damit die Darsteller überhaupt die Möglichkeit haben, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort auf der Bühne zu stehen. Das ist natürlich bei einem dermaßen temporeichen Musical wie „Hairspray“ extrem schade. Der gesamte Abend verliert dadurch an Drive und Schwung. Seltsamerweise schafft man es dann im zweiten Akt solche Situationen zu vermeiden, indem einzelne Versatzstücke an den Bühnenrändern die Bühne verkleinern. Somit können viele Abläufe bedeutend flüssiger umgesetzt werden.
Im Großen und Ganzen ist das Stück solide besetzt. Marja Hennicke in der Hauptrolle der Tracy hat viel Energie und meistert die Anstrengung, beinahe den ganzen Abend auf der Bühne zu stehen, ganz hervorragend. Mit ihrer kräftigen Stimme und ihrem komödiantischen Talent überzeugt sie auf ganzer Linie. Benjamin Sommerfeld als Link macht seine Sache gut, ebenso wie Annakathrin Naderer als Tracys Freundin Penny. Besonders bedauerlich in der besuchten Show war, dass Velma von Tussles komplette Song der Tontechnik zum Opfer fiel. In der Reprise im zweiten Akt der Show konnte Sophie Berner dann innerhalb weniger Sekunden zeigen, was man im ersten Akt verpasst hat. Besonders erwähnt muss auf alle Fälle Deborah Woodson sein. Sie darf als Motormouth Maybelle mit „Ich weiss, wo ich war“ eine der Hymnen der Show singen und setzt ihr mit ihrer Intensität und Stärke beinahe ein Denkmal.
Für die Rolle von Tracys Mutter hat man sich auch hier wie üblich für einen Mann entschieden. In Nürnberg ist das der aus dem Quatsch-Comedy-Club bekannte Comedian Thomas Herrmanns, der als geborener Nürnberger einen gewissen Heimvorteil besitzt. Leider wird bereits in seiner ersten Szene deutlich, dass ein Comedian nicht unbedingt ein guter Schauspieler sein muss. Es gelingt ihm quasi nie, eine Verbindung zu seinen Bühnenkollegen aufzubauen; es entsteht keine Chemie und seine Texte klingen aufgesagt. Erst im zweiten Akt des Stückes, wenn die Regie es ihm erlaubt aus seiner Rolle zu schlüpfen und Thomas Herrmanns im Kostüm von Edna Turnblad zu sein, reist er das ganze Publikum mit und kann mit Witz und Spielfreude überzeugen.
Vielleicht beschreibt gerade diese Rollenbesetzung das Problem der Nürnberger Inszenierung am besten: Anstatt neues zu erfinden, verlässt man sich viel zu sehr auf bereits bewährte Ideen. Warum nicht mal etwas Neues probieren? Die Idee Edna mit einem Mann zu besetzen war sicherlich in der Broadwayfassung von 2002 und später in der Filmfassung von 2007 noch innovativ und witzig. Mittlerweile nimmt man eine solche Ideen einfach eher nur noch zur Kenntnis.
Auch bei der Umsetzung des Buches der Show könnte man bestimmt kleinere Anpassungen vornehmen. Der oft kalauerartige Humor der Show funktioniert an den meisten Stellen mittlerweile nicht mehr. Brachte der als lächerlich dargestellte offene Rassismus Anfang der 2000er Jahre das Publikum noch zum Schmunzeln, ist es heute beinahe schon peinlich, wenn sich zum Beispiel Pennys Mutter darüber sorgt, dass sie ihr Haus bestimmt nie wieder verkaufen könne, nachdem ein dunkelhäutiger Mann im Bett ihrer Tochter gelegen habe.
So verpasst man in Nürnberg leider die Chance „Hairspray“ völlig neu zu denken und das Stück weiterzuentwickeln. Verdient hätte es die Show sicherlich, ist doch die Botschaft der Show, gegen jegliche Art von Diskriminierung und Ungerechtigkeit einzustehen, heute noch genauso aktuell wie in den sechziger Jahren.
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