Christian Venzke (Rasputin), Stefanie Rhaue (Galina) und Ensemble © H. Dietz Fotografie, Hof
Christian Venzke (Rasputin), Stefanie Rhaue (Galina) und Ensemble © H. Dietz Fotografie, Hof

Rasputin (2017)
Theater, Hof

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Nur wenige Takte Ouvertüre und schon öffnet sich vor dem gespannten Publikum im Landestheater Hof ein Fotoalbum mit Szenen aus dem Leben des Wanderpredigers Rasputin. Seite um Seite nimmt uns Paul Graham Brown mit auf eine spannende musikalische Reise ins untergehenden Zarenreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Der sibirische Bauer Grigori Rasputin rettet den an der Bluterkrankheit leidenden, todgeweihten Zarewitsch Alexei und steigt damit zum engsten Vertrauten der russischen Kaiserin Alexandra auf. Sein Einfluss auf die Politik der Kaiserin und der Romanows wächst – wie auch die Missgunst der konservativen Bojaren (russische Adlige) und das Misstrauen des Volkes, das in Rasputin einen mystischen und dämonischen Wunderheiler und Wahrsager sieht. Die Situation eskaliert und die Bojaren ermorden Rasputin.

“Rasputin” beleuchtet nicht nur die Rolle des charismatischen Predigers beim Fall der 300-jährigen Romanow-Dynastie, sondern auch die Gesellschaft eines Landes auf dem Weg zum Zusammenbruch. Die Ergebnisse waren die russische Februar- und Oktoberrevolution 1917/1918 und die Ermordung der Romanows durch die Bolschewiken.

Aus Paul Graham Browns Feder stammen Buch, Texte und Musik. Thematisch knüpft er an die Biografie-Musicals von Sylvester Levay an. Musikalisch arbeitet er einerseits wie Levay mit musikalischen Motiven, andererseits folgt Brown der eingängigen Eleganz von Andrew Lloyd Webbers Melodien und spielt beispielsweise wie der Großmeister mit Taktarten. Dissonanzen und komplexe Harmonien erinnern an Stephen Sondheim und fordern das Gehör der Zuschauer. Brown kopiert nicht, sondern lässt sich inspirieren und erschafft seine eigene musikalische Sprache.

Für “Rasputin” hat sich Brown intensiv mit der russischen Klangwelt auseinandergesetzt. Viele farbenfrohe Melodien haben Ohrwurm-Potenzial. Der “Ballsaalwalzer” ist eine Hommage an die Jazz-Suite von Shostakovich. “Mein Zug” ist ein russisches Kinderlied mit Drums, die das Schnaufen und Stampfen einer Dampflok imitieren. “20 Rubel” könnte aus “Anatevka” stammen. Andere Stücke erinnern an die Operetten Künnekes oder Kalmans. Musikalische Zitate der “Berliner Luft” von Linke sind witzig. “Do You Hear the People Sing” aus “Les Miserables” inspirierte Brown zweifelsohne zur Hymne der Arbeiter “Es gibt eine andere Welt”.

Roland Hüve inszeniert die spannende Geschichte als lebendiges Fotoalbum. In den überdimensionalen Fotorahmen der Bühneneinfassung lässt er originale Fotos projizieren. Eindrucksvoll verschwimmen die physischen Grenzen der Bühne und die Darsteller werden zu lebendigen Teilen der Bilder. Seite an Seite reihen sich die Szenen zu einer spannenden Geschichte aneinander.

So spartanische die Requisiten sind, so opulent hat Annette Mahlendorf den feinen oder schlichten Zwirn der Darsteller kreiert. Die detailverliebten historischen Kostüme spiegeln authentisch die Zeit von 1900-1917 wider.

Moritz Staemmlers deutsche Übersetzung ist treffend. Dezent treibt das Libretto die Handlung voran. Pornografisch provozierend zelebriert es die dämonenhafte Seite Rasputins und dessen sexuelle Ausschweifungen nicht nur in “Wodka trinken, Frauen vögeln”.

Michael Falk leitet die Hofer Symphoniker sensibel durch die abwechslungsreiche Partitur. Die Register folgen der gefühlvollen Komposition: Weiche Streicher harmonieren mit transparenten Reeds. Der opulente Blechbläsersatz strahlt. Das Schlagwerk und Exoten wie eine Balalaika fügen sich sensibel ein. Der Orchestergraben ist großflächig überbaut, um auf der zusätzlichen Bühnenfläche die Figuren aus den Fotos heraus nahe ans Publikum zu bringen. Der Preis dafür ist allerdings zu hoch, denn dem Orchesterklang fehlt viel Kraft. Die Tontechnik kompensiert den Verlust an Volumen nicht einmal ansatzweise. Daraus resultieren wahrscheinlich die mitunter schlecht abgestimmten Tempi zwischen Orchester und Sängern.

Der etwa 20-köpfige gemischte Chor unter Claudio Novato bewältigt die anspruchsvollen Harmonien meist kraftvoll und mühelos. Nur der Eröffnungs- und Schlusschor sind eher einem russischen Männerchor wie den Don Kosaken auf den Leib geschrieben – völlig ungeeignet für den gemischten Chor. Der schwache Bass lässt dröhnende Wucht schmerzlich vermissen.

Unfallbedingt musste nur wenige Tage vor der Premiere umbesetzt werden: Christian Venzke tauschte die Rolle des Zaren gegen die Rasputins. Thilo Andersson folgte Venzke als Zar Nikolaus II. Text und Intonation sitzen deshalb nicht immer. Venzkes Bühnenpräsenz als Rasputin überstrahlt mit Schauspiel und stimmlichen Volumen. Verzweifelt, verzückt oder verärgert spürt er der ambivalenten Figur Rasputins als Dämon und Heiliger nach. Thilo Andersson nimmt sich bewusst zurück, um den realitätsfernen und unsicheren Zaren glaubhaft zu spielen.

Cornelia Löhr als Kaiserin Alexandra zeigt eine enorme gesangliche und schauspielerische Bandbreite: ängstliche Mutter, devote Unterordnung und absoluter Herrschaftsanspruch.

Als Rasputins Freundin Galina ist Stefanie Rhaue zu sehen. Die sozial engagierte Fabrikarbeiterin ist der einzige ruhende Pol in Rasputins Leben. Frech, kommentierend und immer in Bewegung liefert Rhaue ein überzeugendes Bild ihrer Figur ab. Als Jungfrau Maria in Rasputins Visionen scheint sie über die kitschige Inszenierung der Figur selbst unglücklich zu sein.

Die ehemaligen Kommilitonen Felix Fürst Jussopow und Oswald Rayner waren ein Paar. Nach vielen Jahren sehen Sie sich nun wieder und die alte Liebe erwacht – doch Felix ist verheiratet und Oswald verfolgt als britischer Geheimdienstler seine eigenen dunklen Ziele. Dirk Konnerth als Felix und Daniel Printz als Oswald finden sich nach anfänglichen Schwierigkeiten schnell in Ihre Rollen hinein und arbeiten sensibel Sorgen, Hoffnungen und Ängste des homosexuellen Liebespaars heraus, ohne in Klischees abzugleiten.

Der zwölfjährige Elias Himes als Zarewitsch Alexei stiehlt allen die Schau. Selbstbewusst spielt und singt er wie ein ausgebuffter Profi und wickelt sich das versammelte Publikum um die kleinen Finger.

Felix forsche Frau Irina hat keinerlei Interesse an Ihrem Mann, solange nur der äußere Schein gewahrt bleibt. Als die Kaiserin unter Rasputins Einfluss Irinas Kontrolle entgleitet, stellt Irina intrigant die tödliche Falle für Rasputin. Wenn Judith Jakob als Irina die Bühne betritt, sind Egoismus und Boshaftigkeit fast körperlich spürbar. Und genau diesen Ausdruck legt Jakob auch in Ihren satten Mezzosopran.

Nach einigen sehens- und hörenswerten neuen Werken wie “Einstein – Das Musical” oder “Der große Houdini” (ebenfalls von Paul Graham Brown) beweisen Intendant Reinhardt Friese und das Landestheater Hof wieder einmal viel Mut und ungebändigte Kreativität.

Die Premiere stand unter keinem guten Stern, durch die Umbesetzung fehlte an vielen Stellen die Zeit, um das Stück reifen zu lassen. Was bleibt, ist ein sehenswertes Musical abseits vom Compilation-Stumpfsinn in einer ambitionierten und spannenden Inszenierung.

 
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KREATIVTEAM
Musik, Buch und LiedtextePaul Graham Brown
Deutsche ÜbersetzungMoritz Staemmler
RegieRoland Hüve
Musikalische LeitungMichael Falk
ChoreografieBarbara Buser
Bühne und KostümeAnnette Mahlendorf
DramaturgieLothar Krause
 
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CAST (AKTUELL)
RasputinChristian Venzke
Zar Nikolaus I.Thilo Andersson
Zarin AlexandraCornelia Löhr
Felix FelixowitschDirk Konnerth
IrinaJudith Jakob
Leutnant Oswald RaynerDaniel Printz
GalinaStefanie Rhaue
ZarewitschElias Himes
KisluhkinPeter Potzelt
Valentin BazhanovChristian Seidel
EnsembleDong-Joo Kim
Wladimir Polatynski
Daniel Milos
Dong-Joo Kim
Opernchor Theater Hof
Statisterie
Hofer Symphoniker
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 28.10.2017 19:30Theater, HofPremiere
So, 29.10.2017 19:30Theater, Hof
Sa, 04.11.2017 19:30Theater, Hof
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