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Tipp der Redaktion
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Kammer-Musical
Aspects of Love Wer versteht, was Liebe ist
© Martina Pipprich
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Dem Trend der kleinen und sparsamen Inszenierungen folgend, hat Andrew Lloyd Webber sein ohnehin nur selten gespieltes Musical vor einigen Jahren für eine sehr reduzierte Begleitung durch zwei Klaviere und einem Schlagzeug für das Londoner Southwark-Playhouse überarbeitet. Carsten Lepper brachte diese Fassung in einer eigenen Inszenierung 2020 ins intime Theater Arche nach Wien. Offenbar konnte er die damit die Verantwortlichen des Theater Münsters vom Stück selbst überzeugen, denn jetzt darf Lepper im Großen Haus aus dem Vollen schöpfen. Und weiß Gott, er tut es! Und er tut es mit einer offenkundigen Liebe und großer Kenntnis zu und über dieses etwas andere Andrew-Lloyd-Webber-Musical.
(Text: Frank Guevara Pérez) Premiere: | | 26.10.2022 | Rezensierte Vorstellung: | | 26.10.2022 | Dernière: | | 19.03.2023 | Showlänge: | | 150 Minuten (ggf. inkl. Pause) |
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Eigentlich ist alles an "Aspects of Love" ziemlich ungewöhnlich. Es entstand in einer Zeit, in der Musicals im Londoner West End allesamt die Kategorie Blockbuster erfüllen mussten. In den Theatern rauschten Züge durchs Publikum, Hubschrauber landeten auf den Bühnen und Kronleuchter stürzten herab. In dieser Zeit brachte Lloyd Webber quasi ein Kammer-Musical mit nur fünf Darstellern und ohne jeden Special-Effekt – ja nicht einmal mit einer nennenswert berühmten Besetzung – auf die Bühne. Sogar der anfangs noch angekündigte Roger Moore in der Rolle des George Dillingham zog sich nämlich kurz vor der Premiere aus dem Projekt zurück, weil er erkannte, dass die Gesangsparts für ihn als Schauspieler zu anspruchsvoll waren. "Aspects of Love" erzählte eine Familiengeschichte. Der 17-jährige Engländer Alex Dillingham verliebt sich unsterblich in die mäßig erfolgreiche Schauspielerin Rose und kann sie überzeugen, ein paar Tage mit ihm auf dem Landsitz seines adeligen Onkels George zu verbringen. Als dieser ebenfalls auf dem Landsitz eintrifft, verliebt sich Rose beinahe augenblicklich in ihn und es entspinnen sich immer neue Liebeskonstellationen zwischen den drei Protagonisten, Georges Liebhaberin Guiliette und – Jahre später – der heranwachsenden Tochter von Rose und George, Jenny.
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Ungewöhnlich ist auch, dass "Aspects of Love" quasi mit einem Paukenschlag beginnt: Der 11-o'clock-Song der Show "Love Changes Everything" der seitdem quasi auf fast keinem Musical-Sampler mehr fehlen darf, ist bereits die Eröffnungsnummer. So natürlich auch in Münster, wo Mark Roy Luykx die Show mit "Wer versteht was Liebe ist" auf einer quasi schwarzen Bühne eröffnet. Das Team um Carsten Lepper brennt in den nächsten zweieinhalb Stunden ein solches Feuerwerk an kreativen Inszenierungsideen ab, dass dem Publikum wahrlich der Atem stockt. Dabei gehen Inszenierung, Bühnenbild, Beleuchtung, Choreographie und Kostüme Hand in Hand. Besonders beeindruckend gelingen hier immer wieder die immerhin vierzig Szenenwechsel. Wenn der junge Alex am Bahnsteig in Montpellier auf seine Liebe, die bedeutend ältere Rose Vibert wartet, die dann in letzter Minute eintrifft, wechselt die Szene – beinahe filmisch – vom Bahnsteig mit einfahrendem Zug ins Zugabteil, wo die beiden ihr erstes großes Duett "Wach ich oder träum ich" singen dürfen. Eine Szene, die am Premierenabend zu Recht mit tobendem Applaus quittiert wird.
Der für das Bühnenbild verantwortliche Charles Quiggin entwirft für jede Szene – und sei sie auch noch so kurz – aufwendige und stimmungsvolle Bühnenbilder. Grundelemente sind dabei zwei riesige Portale an den beiden seitlichen Bühneneingängen, die je nach Spielort als Eingänge etwa in ein typisch französisches Café oder in verschiedene andere Räume dienen. Wenn sich die Szene auf einen kleinen intimen Raum konzentriert, werden die Portale weit in die Bühnenmitte hineingeschoben und lenken so den Blick auf das Wesentliche. Fahren sie dann wieder an ihre ursprüngliche Position an den Bühnenrändern zurück, befindet sich dort bereits das Bild für die nächste Szene.
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Der Haupt-Spielort der Show, die Villa von Alex Onkel George in den französischen Pyrenäen gelingt dabei besonders eindrucksvoll. Die beiden Seitenelemente werden durch ein Mauer-Versatzstück in der Bühnenmitte ergänzt, das eine große Terrassentüre hat (das Bühnenbild von "Rebecca" lässt an dieser Stelle grüßen). Im Hintergrund der Bühne befindet sich eine die gesamte Bühnenbreite umspannende Konstruktion, die mit Stoff bedeckt ist und so ein sehr schönes surreales Bild der Pyrenäen zeichnet. Je nach Tages- oder Jahreszeit wird es von hinten sehr stimmungsvoll ausgeleuchtet. In viele der Szenenwechsel werden die Tänzer mit einbezogen, indem sie Bühnenteile auf und von der Bühne bringen oder mit ihren Choreographien von einer Szene in die nächste überleiten. So zum Beispiel, wenn die Tänzer einen Brief von Guilette aus ihrem Atelier in Rom nach Frankreich in die Villa "wandern" lassen. Die Kostüme der Show spiegeln die Mode Frankreichs der späten 1940iger Jahre sehr schön wider und verleihen der Show ein nostalgisches Flair.
Bei einem Stück, dass sich so sehr auf die Personen, auf ihre inneren Konflikte und ihre Verbindungen untereinander konzentriert, ist die Besetzung natürlich von besonders großer Bedeutung. Auch hier hat man in Münster ein äußerst glückliches Händchen bewiesen. Zwischen allen Darstellerinnen und Darstellern ist auf der Bühne eine gute Verbindung zu spüren und das Publikum ertappt sich sicherlich das eine oder andere Mal dabei, Vergleiche zur eigenen Familienkonstellation herzustellen. Katja Berg verleiht dem schwierigen Charakter der Rose das richtige Maß zwischen glänzender Schauspiel-Diva und verlorener Seele, auf der Suche nach Liebe und Anerkennung. Ihre große Solonummer "Alles nur nicht einsam" ist einer der emotionalen Höhepunkte der Show. Anfangs noch der stolze Star, verliert sie immer mehr die Fassung bis sie am Ende der Nummer Alex mit erstickter Stimme und unter Tränen anfleht, sie nicht zu verlassen.
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Gregor Dalal als George vermag es sowohl schauspielerisch als auch mit seiner sonoren Gesangsstimme, die Spannung zwischen ihm, Rose und Giulietta aufzubauen. Er bedient überzeugend die skurril-witzigen Szenen – so zum Beispiel, wenn sich bei einem Streit zwischen Rose und Alex ein Schuss aus Alex' Pistole löst und Georges erste Sorge nicht seiner Frau, sondern einem herabgestürzten Gemälde – seinem einzig echten Matisse – gilt. Aber auch in den nachdenklichen Momenten, wenn er über sein Leben und dessen Ende sinniert, kann er überzeugen.
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Obwohl die Rolle der italienischen Bildhauerin Giulietta Trapani und die Rolle der Jenny vergleichsweise kleinere Rollen sind, hinterlassen Floor Krijnen mit Giuliettas Song "Liebe ist viel mehr" und Deike Darrelmann als Jenny sowohl im Duett mit ihrem Vater als auch in ihrem "Meerjungfrauenlied" einen bleibenden Eindruck.
Als "Aspects of Love" mit dem damals noch bedeutend unbekannteren Michael Ball in London Weltpremiere feierte, war Andrew Lloyd Webber so von Balls Stimmumfang überrascht und begeistert, dass er den Titelsong umschrieb, um ihm die Möglichkeit zu geben, der Welt sein Hohes B zu präsentieren. Nur wenige auch außerhalb der Musical-Szene berühmt gewordene Songs sind so eng mit ihrem ursprünglichen Interpreten verbunden wie "Love Changes Everything" mit Michael Ball. Keine kleinen Fußstapfen, in die Mark Roy Luykx jetzt in Münster treten muss! Er lässt jedoch keine Zweifel offen, dass er dieser Aufgabe gewachsen ist! Ohne jede erkennbare Anstrengung singt sich Luykx durch die stimmlich anspruchsvolle Partitur und entwickelt die Rolle des Alex von einem jugendlichen Träumer hin zu einem erwachsenen Mann, der Verantwortung für sein Handeln und sein Leben übernimmt.
Unterstützt wird die erstklassige Besetzung aus dem Orchestergraben vom Sinfonieorchester Münster. Es ist eine wahre Freude, Lloyd Webbers aufwühlende und emotionale Partitur wieder in einer so großen Orchesterbesetzung zu hören. Ganz besonders, wenn sie so fein ausgesteuert und leidenschaftlich gespielt wird wie in Münster.
Das oft im Zusammenhang mit "Aspects of Love" kolportierte Zitat Lloyd Webbers, dass es seine persönlichste Show sei, deutet Carsten Lepper im Interview mit der Musicalzentrale so, dass es in der Show weder um Archetypen noch um Spektakel ginge, sondern um die leisen Zwischentöne und die feinen Nuancen des menschlichen Miteinanders. Jedem, der sich auf diese Reise – auch ins eigene Seelenleben – einlassen möchte, sei der Besuch im Theater Münster wärmstens zu empfehlen.
(Text: Frank Guevara Pérez)

Verwandte Themen: Hintergrund: 3 Fragen an... Carsten Lepper (21.10.2022)
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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