Studioaufnahme des Musicals aus der Feder von Christopher J. Ortons und Gareth Evans. Aufgenommen mit Musicalstars aus dem Londoner West End.
Es gibt wahrscheinlich wenige literarische Werke, die in den vergangenen Jahren so viele Musical-Adaptionen hervorgebracht haben wie Bram Stokers Vampir-Klassiker “Dracula”. Die Version des britischen Komponisten-/Schreiberduos Christopher J. Orton und Gareth Evans bleibt sehr nah an der Romanvorlage. Obwohl die CD gerade einmal die Hälfte der Songs beinhaltet, die im Musical zu finden sind (das Booklet enthält einen ausführlichen Überblick über Handlung und Musiknummern), schafft sie es dennoch, die Handlung als zusammenhängendes Gesamtwerk zu präsentieren.Stilistisch erinnert Ortons Musik etwas an Wildhorn, so dass sich ein Vergleich der beiden “Dracula”-Musicals förmlich aufdrängt. Trotz der Tatsache, dass es sich bei der Orton/Evans-Version bisher nur um ein Konzeptalbum handelt, wirkt sie ausgereifter, sowohl was die Musik als auch die Umsetzung des literarischen Stoffes angeht. Die Songs sind deutlich weniger eingängig als bei Wildhorn – man muss die CD mehrmals hören, bis man die Melodien verinnerlicht hat (mit Ausnahme von “The Lady in White”, der einzig wirklichen Ensemblenummer des Albums, die streckenweise stark an “Murder” aus “Jekyll & Hyde” erinnert) – dafür aber gerade bei den Balladen weniger austauschbar. Evans Texte zeichnen sich durch präzise Wortwahl und oft subtilen Humor aus. Besonders beim Liebesduett “The Proper Thing to Do” zwischen Mina und Jonathan zu Beginn des Stückes kommt der leicht ironische Unterton hervorragend zu tragen, während Songs wie “For the Angel You Are” und “Never to Die” für die notwendige Dramatik sorgen, ohne vom Pathos verschluckt zu werden.
Besonders erfreulich ist, dass Dracula in dieser Version nicht weichgespült wird und zum Softie-Vampir verkommt: Er mag faszinieren, man versteht ihn, bedauert ihn sogar zuweilen – aber am Ende bleibt er dennoch ein selbstsüchtiges Monster, das nicht von Liebe, sondern von Obsession und Rachsucht getrieben wird. Das macht nicht nur Dracula als Charakter interessanter, sondern auch Mina (mit klarer, angenehmer Stimme: Stephanie Benavente), die mehr sein darf als nur der ergebene “love interest” und am Ende mit ihrem Sieg über Dracula trotz aller Schicksalsschläge einen Moment des Triumphes erleben kann. Für die Intonation der Titelrolle konnte West-End-Star Michael McCarthy gewonnen werden. McCarthy kann mit enormem Stimmumfang aufwarten und haucht der Rolle mit einer überraschend intensiven und facettenreichen Interpretation Leben ein. Ob beim unheilschwangeren Auftaktsong “I Am Condemned”, beim eher schwermütigen “Never to Die” oder beim verführerischen Duett “Your Heart’s Desire” – McCarthy schafft es trotz kraftvoller Stimme eine faszinierende gesangliche Leichtigkeit an den Tag zu legen.
Auch ansonsten gelingt es dem Album, die einzelnen Charaktere, die oft nur einen oder zwei Songs haben, um sich zu präsentieren, geschickt in den Mittelpunkt zu rücken. Besonders charismatisch dabei: Robert Fardell als verbissener Vampirjäger Van Helsing mit seiner Kampfansage “For the Good of Mankind” und Draculas Diener Renfield, der aus Bewunderung zu Mina sein Leben opfert (“For the Angel You Are”) und zu einer der tragischen Figuren des Stückes wird.Die Orton/Evans Version von “Dracula” ist nicht revolutionär, weder inhaltlich noch musikalisch – aber es ist sehr gut gemachtes Musiktheater und vielleicht die bisher ausgereifteste Musical-Adaption des Stoffes.