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Das bittere Schicksal, dass die winterliche Krankheitswelle auch vor Musicaldarstellern keinen Halt macht, hat das Oldenburgische Staatstheater bei „Chess“ jüngst ereilt. Die heldenhafte Einspringerin Femke Soetenga und die beiden stimmstarken Männer an ihrer Seite führen den Abend letztendlich – zur sichtlichen Erleichterung aller Beteiligten – doch noch zu einem Bühnentriumph. Und das Ganze trotz schlechter Tontechnik!
„Chess“ als buchbedingt dramaturgisch etwas unausgereiftem Bühnenstück Kohärenz, Dramatik und Spannung zu verleihen, bedarf bei jeder Inszenierung einer mutigen und einfallsreichen Regie. Andrea Schwalbach gelingt in Oldenburg eine sehenswerte und kurzweilige Version des Musicals, die nicht nur den mittlerweile wieder brandaktuellen Ost-West-Konflikt, sondern auch die Menschlichkeit der einzelnen Figuren in den Fokus stellt. Jedem der Hauptcharaktere wird zwischen den Songs ausreichend Zeit zur charakterlichen Entfaltung und Profilbildung gelassen, ohne unnötige Längen zu kreieren. Diese Gratwanderung gelingt unter Schwalbachs Regie vortrefflich.
Stephan von Wedels Bühnenbild greift perfekt mit Frank Lichtenbergs Kostümkonzept und Arne Waldls Lichtdesign ineinander. Projektionen, die von einem überdimensionalen Schachspiel und Berglandschaften über fahrende Zügen, düstere Bahnhöfe und die bunten Straßen Bangkoks bis zu sehr stimmungsunterstreichenden Abbildungen einer Netzmatrix reichen, bilden einen adäquaten Backdrop für das eigentliche Bühnenkonstrukt aus begehbaren und beleuchteten Quadern. Dieses wird vor allem im zweiten Akt besonders imponierend genutzt, wobei die Drehbühne des Theaters effektvoll eingebunden wird und den Akteuren und der Handlung physische Dynamik verleiht.
Das gesamte optische Spektrum ist auf die klassischen Schach-Farben Schwarz und Weiß fokussiert und setzt sich in den Kostümen fort. Ausnahme hierbei sind die Zivilisten aus Meran und Bangkok, die den kriegsähnlichen Wettkampf der UdSSR und USA gegenüber recht neutral gesinnt sind. Florence wechselt passend zu ihrer Partnerwahl ebenfalls die Kostümfarbe und der Schiedsrichter trägt als Einziger beide Farben gleichzeitig – ein plakatives, aber in sich stimmiges und wirksames Konzept, das Bühnenbild und Kostüme vereint. Während der Schachspiele werden außerdem einige Schachfiguren mimende Darsteller mit Hängeseilen über das auf die Rückwand projizierte Schachbrett schwebend herabgelassen und verfallen in eine Art tänzerischen Luftkampf, was ästhetisch ansprechend ist und die ansonsten – der Spiel geschuldeten – ereignislose Abfolge an Schachzügen optisch eindrucksvoll umsetzt. Weiterhin nennenswert sind einerseits die grotesken Kostümierungen der Beamten der Einwanderungsbehörden, die sich, in Fatsuits gekleidet und mit fratzenhaften Masken ausgestattet, als korpulente Greise dem politischen Flüchtling Anatoly bedrohlich entgegenstellen, und andererseits die drolligen Anime-ähnlichen Maskottchen in den Bangkok-Szenen, die jedem Asienkenner in ähnlicher Manier schon begegnet sein könnten.
Die Choreographien von Kati Farkas sind weniger tänzerisch als vielmehr stakkatoartig angelegt und vermitteln in den meisten Szenen das gewünschte Gefühl von Beklemmnis, beispielsweise wenn die Hauptfiguren von sich in Kreisformationen bewegenden, mächtig singenden Männern eingeschlossen werden. Auch in den fröhlichen Liedern setzt Farkas die gewünschte Stimmung passend um, ohne dabei übertriebene Tanzchoreographien zu bemühen. Vielmehr kreieren ihre Bewegungsabläufe immer ein stimmiges Gesamtbild mit Aussage.
Das ausgesprochen gut besetzte Oldenburgische Staatsorchester lässt keine Wünsche offen: Sämtliche Streicher, Bläser und Saiteninstrumente sind vertreten und in der Gesamtheit tönt das Orchester vortrefflich, voll und wuchtig. Auch der Chor ist fast schon übervoll mit mächtigen Gesangsstimmen besetzt. Dies bringt das Oldenburger „Chess“ oftmals von einem eigentlich eher poplastigen Musical musikalisch in den operettenhaften, klassischen Bereich, was allerdings vor allem in den großen Ensemblenummern wie „Merano“ oder „Die russische Maschine“ durchaus gefällt. Leider ist die Tontechnik unausgereift und der Qualität der Musiker und Sänger absolut nicht gerecht werdend: Das Orchester ist viel zu laut und das Ensemble, ob Chor oder Hauptdarsteller, viel zu leise austariert. Glücklicherweise prangern die Lyrics auf der Projektionstafel über der Bühne, denn ansonsten wären die Texte nahezu unverständlich und ein Folgen der Handlung schwierig. Auch die gleichbleibend dumpfe Einstellung des Mikrofons der Hauptdarstellerin ist ein zusätzliches Ärgernis, das den guten Gesamteindruck der Inszenierung trübt. Etwas Gutes hat die mangelhafte Tontechnik aber immerhin noch: Wegen Kevin Schroeders eher funktionalen als ansprechenden deutschen Übersetzung, für die das Kreativteam des Staatstheaters natürlich nichts kann, schont es stellenweise wenigstens die Nerven, wenn die Texte nur halb verständlich bleiben.
Die Darstellerriege war an diesem Abend von spontanen Ausfällen und noch spontaneren Einspringern gekennzeichnet. Marvin Kobus Schütt springt für den Kammersänger Paul Brady ein und muss leider seine Parts in Gesang und Monolog während seiner Darbietung ablesen. Das fällt im ersten Akt kaum auf, da seine Rolle Molokov ohnehin in Planungen vertieft ständig in seine Listen spicken muss, aber im zweiten Akt, in dem Molokov viel gelöster und beinahe antagonistisch auftritt, ist es leider etwas störend.Nicht nur sein Mut für diesen spontanen Ersatzeinspringer, sondern auch seine wunderbare Gesangsstimme verdienen aber Lob und rechtfertigen die Applaussalve, die er zu seiner Erleichterung am Ende vom Publikum abstaubt.
Mark Serdiuk gibt einen unheimlichen, dem Conférencier aus „Cabaret“ nicht unähnlichen Schiedsrichter, der als Showmaster alle Fäden in der Hand hält und die Hauptcharaktere selbst wie Schachfiguren zu führen scheint, ohne je allzu direkt mit ihnen in Kontakt zu treten.
Ruud van Overdijk gibt einen neurotischen Frederick Trumper mit einer gewaltigen Pop-Rock-Röhre und einer Salve an Riffs in seinen Soloparts, vor allem bei der „Pressekonferenz“. Sein Schauspiel ist überzeugend und im Vergleich zu Marc Clear eher antagonistisch, aber nicht menschlich entrückt, angelegt. Clear gibt einen hervorragenden Anatoly Sergievsky, der vom Zweikampf durch seine zurückhaltende, besonnene und zunächst herzenswarm wirkende Performance die größere Sympathie mit sich trägt. Eindrucksvoll zerrissen zeigt er sich in „Wer ich sein will“. Dass sein Anatoly und Van Overdijks Frederick beide gleichermaßen gebrochene Personen sind, wird am Ende des zweiten Aktes durch Songs wie „Sei nie ein Kind“ oder „Hymne“ deutlich und lässt die Bühnenchemie der beiden Darsteller szenenübergreifend spürbar werden, was im Song „Lass uns über Schach reden“ am Ende kulminiert. Berührend singt Clears Anatoly zusammen mit Soetengas Florence am Ende „Du und ich“, was den hochemotionalen Performances dieses Darstellerpaars den gebührenden Abschluss bringt.
Martha Eason als Svetlana verkörpert ihre Rolle nach außen gefühlskalt, aber mit einer warmen und vollen Gesangsstimme brilliert sie im Duett „Ich kenn ihn so gut“ mit Femke Soetenga. Letztere ist die Heldin des Abends: Als Einspringerin für die erkrankte Ann Sophie Dürmeyer ist die deutschlandweit eingesetzte Dauer-Florence in ihrem Element. Es wirkt ganz so, als ob sie die Oldenburger Inszenierung seit Beginn spielt – so mühelos fügt sie sich in die Gegebenheiten ein und füllt ihre Rolle mit einer Plethora an Emotionen. Ihr beeindruckendes Stimmvolumen erfüllt den Saal – und das trotz der gegen sie arbeitenden Tontechnik! Gesangliche und schauspielerische Highlights erreicht sie mit „Jeder geht allein seinen Weg“ und „Hab ich eine Wahl“, in denen sie emotionale Tiefe mit grandioser Stimme kombiniert.
Eine insgesamt sehr kurzweilig und trotzdem eindrucksvoll inszenierte Version von „Chess“ mit drei starken Hauptdarstellern sowie einem tonal gewaltigen Ensemble und Orchester. Der Ton, der leider einiges kaputt macht, ist zwar ein typisches Problem von Theatern, die eher auf Opern als auf Musicals ausgelegt sind, aber hier besonders störend.
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KREATIVTEAM |
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Musikalische Leitung | Andreas Kowalewitz |
Inszenierung | Andrea Schwalbach |
Bühne | Stephan von Wedel |
Kostüme | Frank Lichtenberg |
Choreographie | Kati Farkas |
Video | Sven Stratmann |
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CAST (AKTUELL) |
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Florence Vassy | Ann-Sophie Dürmeyer Femke Soetenga |
Anatoly Sergievsky | Marc Clear |
Frederick Trumper | Ruud van Overdijk |
Walter de Courcy | Stephen K. Foster |
Alexander Molokov | Paul Brady, (Marvin Kobus Schütt) |
Schiedsrichter | Mark Serdiuk |
Svetlana Sergievskaya | Martyna Cymerman Martha Eason |
Ensemble | Evert Bakker Marlou Düster Yoko El Edrisi Brady Harrison Romeo Salazar Sarah Steinemer Jacky Smit Kevin Gordon Valentine |
Chor | Opernchor des Oldenburgischen Staatstheaters |
Orchester | Oldenburgisches Staatsorchester |
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