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Es lässt sich schon beinahe als Coup bezeichnen, was das Landestheater Linz in der Spielzeit 2022/23 auf seiner Homepage angekündigte: Sie präsentieren in besonderer Zusammenarbeit mit Stage Entertainment die österreichische Erstaufführung von „Anastasia“. Nicht als ein Klon der bereits am Broadway und später in den Niederlanden und in Deutschland gezeigten Inszenierung, sondern als eigenständige Interpretation der Show um die vermeintlich noch lebende russische Zarentochter. Allerdings vermag es leider auch die Linzer Fassung trotz einiger schöner Inszenierungsideen und einer in weiten Teilen großartigen Besetzung nicht, die massiven Schwächen des Buchs auszugleichen.
Bis vor beinahe zwanzig Jahren erschienen immer wieder Frauen auf der Bildfläche, die behaupteten Anastasia, die jüngste Tochter des letzten russischen Zaren zu sein, der gemeinsam mit seiner Familie in Folge der Oktoberrevolution von 1917 und der Machtübernahme der kommunistischen Bolschewiki ermordet wurde. Das Kalkül dahinter ist einfach: Als einzige Überlebende des Erschießungskommandos wäre die wirkliche Anastasia rechtmäßige Erbin des unermesslichen Vermögens der Zarenfamilie Romanov. Auf dem Gerücht des Überlebens der Zarentochter basiert auch der Animations-Film aus dem Hause 20th-Century-Fox von 1997 und die daraus entwickelten Musicalfassung von 2016: Die beiden Betrüger Dimitri und Wlad sind auf der Suche nach einer jungen Frau, die sie der im Exil in Paris lebenden Zarenmutter als ihre Enkelin Anastasia unterjubeln und damit die ausgelobte Prämie kassieren können. Fündig werden sie in der unter Amnesie leidenden Anja, die sich ihren Lebensunterhalt als Straßenkehrerin in St. Petersburg verdient. Zu dritt machen sie sich auf den Weg nach Paris.
Die Bühnenfassung des Animation-Films, für den Stephen Flaherty und Lynn Ahrens bereits die Musik geschrieben haben, sollte keine Eins-zu-Eins-Kopie werden, sondern den Sprung vom Märchen für Kinder zu einem anspruchsvollen Musical für Erwachsene schaffen. So strichen sie – gemeinsam mit dem für das Buch verantwortlichen Terrence McNally – die kindgerechten Elemente der Fledermaus Bartok und Anastasias Hündchen Pooka und ersetzten die Figur des Bösewichts Rasputin durch den regimetreuen Kommunisten Gleb. Außerdem übernahmen sie lediglich sechs Songs der Filmfassung und schrieben einen Großteil der Musik neu.
Die im Landestheater Linz gezeigte Fassung hat sich auch optisch weit von der Zeichentrick-Film-Vorlage entfernt. Während die Broadway-Fassung der Stage Entertainment und alle darauf aufbauenden Inszenierung beinahe die Optik eines Zeichentrick-Films kopieren, ist die Linzer Fassung deutlich spartanischer ausgestattet und dunkler inszeniert. Dominierendes Bühnenelement ist eine sich über die Hälfte der Bühnenhöhe erstreckende Gerüstkonstruktion, die links und rechts von Treppen begrenzt wird und damit einen kleineren Bühnenraum ermöglicht. Damit gelingt bereits zu Beginn der Show einer der eindrucksvollsten Momente des Abends: Wenn beim Ball am russischen Zarenhof die Familie und ihre Gäste immer wieder für Fotos posieren, wird dies durch den dumpfen Ton und das kurze Aufleuchten eines damals typischen Magnesium-Blitzes symbolisiert. Dieser wird allerdings zunehmend durch gleißende Blitze und donnernde Schüsse und Granateneinschläge übertönt. Zum Ende der Szene fallen die vielen geschwungenen Vorhänge, die den Ballsaal angedeutet haben und übrig bleibt besagte Gerüstkonstruktion als Ruine des ehemals prächtigen Zarenpalasts.
Beinahe den gesamten ersten Akt verändert sich das Bühnenbild nur wenig. Der jeweilige Spielort wird durch wenige Requisiten und entsprechender Beleuchtung stimmungsvoll verdeutlicht. Im zweiten Akt kommt dann bedeutend mehr Bewegung in die Bühne: Immer wieder rotiert die Drehbühne, gibt den Blick auf immer neue Spielorte im Paris der frühen zwanziger Jahre frei und symbolisiert so den Zeitgeist und die ausschweifende Lebensfreude dieser Epoche in Mitteleuropa im Gegensatz zum Stillstand und der Eintönigkeit des kommunistischen Russlands. Auch die der Epoche nachempfundenen Kostüme tragen zur stimmungsvollen Inszenierung bei: prächtig strahlend und ausladend in den während der Zarenzeit spielenden Szenen, Grau- und Brauntöne im kommunistischen Russland und bunt und mitunter offenherzig in den Szenen in Paris.
Die Musik zu Anastasia wechselt zwischen großen Musical-Balladen wie dem bereits aus dem Animations-Film bekannten und preisgekrönten „Reise durch die Zeit“ oder „Im Dezember vor Jahren“, folkloristisch angehauchten Songs wie „Mein Land“, bei dem sich auf dem St. Petersburger Bahnhof die verbliebenen russischen Intellektuellen versammeln, um endgültig ihre Heimat zu verlassen, sowie typischen Charleston-Klänge der 20-iger-Jahre, wenn die Handlung nach Paris wechselt. Gespielt vom Orchester des Landestheaters Linz – für diese Inszenierung umbenannt ins Newa-Cluborchester – klingt die Orchestrierung satt und voll und ist perfekt ausgesteuert. Jede Nuance, jede Besonderheit der unterschiedlichen Musik-Stile, findet sich in der Umsetzung durch das Orchester wieder.
Eine Besonderheit des Landestheaters Linz ist, dass es sich ein eigenes Musical-Ensemble leistet, das nur manchmal durch Gäste ergänzt wird. Einer dieser Gäste ist bei „Anastasia“ Nikolaj Alexander Brucker in der für die Musicalfassung hinzugefügten Rolle des Kommissars Gleb. Während Rasputin als Gegenspieler im Film sehr eindimensional als typischer Bösewicht gezeichnet war, ist Gleb auf der Bühne deutlich mehrdimensionaler. Nikolaj Alexander Brucker gelingt es, die Ambivalenz seines Charakters mit seinen wenigen Auftritten überzeugend über die Bühne zu bringen. In seinem Song „Die Newa fließt“ und vor allem auch in dessen Reprise zum Ende des Stückes hin, wenn er in Paris ein letztes Mal auf Anja trifft und es nicht übers Herz bringt, sie zu erschießen, wie es sein Auftrag wäre, spürt man in jedem seiner Worte die Zerrissenheit zwischen Pflichtbewusstsein und Zuneigung. Leider ist Gleb aber auch die einzige Rolle im gesamten Stück, dem das Buch eine Entwicklung angedeihen lässt.
Lukas Sandmann in der männlichen Hauptrolle hat es da schon deutlich schwerer. Die Rolle des Dimitris ist dermaßen schwach gezeichnet, dass die Liebesgeschichte zwischen Anja und ihm erst in der zweiten Hälfte des zweiten Aktes deutlich wird. Zwar blitzt in der Szene, wenn Wlad und Dimitri Anja beibringen wollen, sich wie Anastasia zu verhalten, ein Flirt auf, doch verliert sich dieser Handlungsfaden schnell und wird erst wieder aufgenommen, wenn sich Anja an eine Begegnung mit dem achtjährigen Dimitri erinnert, als sie noch Anastasia war. Diese Love-Story ist selbst für ein Musical, das aus einem Zeichentrickfilm hervorgegangen ist, ziemlich dünn. Dabei liegt die Schuld auf keinen Fall an der Interpretation durch Lukas Sandmann. Sandmann singt und tanzt mit großem Talent und einer offenbaren Freude und überzeugt im Zusammenspiel sowohl mit Anastasia als auch mit Dimitris Kumpanen Wlad. Allerdings gibt das Buch Sandmann nicht die Möglichkeit, einen wirklichen Charakter zu entwickeln.
Hanna Kastner in der Titelrolle hat zumindest die besten Songs des Musicals abgestaubt. Sie erobert die Herzen des Publikums im Sturm. Mit ihrer warmen Stimme und ihrem ausdrucksstarken Spiel schafft sie die Wandlung von der Straßenkehrerin zur Zarentochter mühelos. Bereits nach ihrem ersten Solo „Im Traum“ wird klar, dass sie sich hinter keiner der Interpretinnen der großen Stage-Inszenierungen verstecken muss. Ganz im Gegenteil!
Leider geraten die Rollen des Wlad und seiner ehemaligen Geliebten Lily, die nach der Ankunft in Paris als Türöffner zur Zarenmutter dienen soll, im Musical zu semi-witzigen Sidekicks. Während Karsten Kenzel als Wlad zumindest noch im ersten Akt zum Fortgang der Handlung beitragen darf, muss er dann im zweiten Akt gemeinsam mit Judith Jandl als Lilly Texte aufsagen, die nicht annähernd dem Können der beiden Künstler entsprechen.
Die Probleme an denen „Anastasia“ bereits am Broadway und in allen nachfolgenden Inszenierungen krankt, kann auch das Team des Landestheaters Linz nicht ungeschehen machen: Anstatt die Handlung stringent und flüssig zu erzählen, fügten Flaherty, Ahrens und McNally immer noch eine zusätzliche zeitraubende Shownummer ein. Anstatt Personen zu entwickeln, Motivationen zu erklären, um damit den Charakteren Tiefe zu geben, werden Handlungen kurz angerissen, um sie entweder überhaupt nicht fortzuführen oder später völlig unvermittelt wieder aufzunehmen. So bleibt es beispielsweise unklar, warum die Zarenmutter sich erst weigert mit Anja zu sprechen, weil diese sicherlich nur eine weitere Hochstaplerin sei, um dann wenig später ohne jede Erklärung bei ihr im Hotelzimmer zu stehen. Völlig unerklärlich ist es auch, wie es passieren konnte, dass die Schlüsselszene des Musicals – nämlich, wenn die Zarenmutter erkennt, dass Anja wirklich Anastasia ist und ihr damit ihre Identität zurückgibt – eine reine Schauspielszene ist. Zwar lässt eine Spieluhr mit der Melodie von „In Dezember vor Jahren“ das Leitmotiv der Show anklingen; ansonsten kommt die Szene aber völlig ohne Musik aus.
In einem Interview sagten Stephen Flaherty und Lynn Ahrens einmal, dass sie mit ihrer Bühnenadaption eine romantischere und abenteuerlichere Version der Legende um die russische Zarentochter erschaffen wollten. Diesem Anspruch sind sie leider nur in den wenigsten Punkten gerecht geworden. Das Team um die Linzer Inszenierung hingegen macht aus dem vorliegenden Material das Beste und das Premierenpublikum dankt es ihnen mit euphorischem und langanhaltendem Schlussapplaus.
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KREATIVTEAM |
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In besonderer Zusammenarbeit mit Stage Entertainment, Tom Kirdahy und Hunter Arnold | ||||
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Inspiriert durch den Twentieth-Century-Fox-Film mit spezieller Übereinkunft mit Buena Vista Theatrical | ||||
Nach dem Theaterstück von Marcelle Maurette in der Adaption von Guy Bolton | ||||
Buch | Terrence McNally | |||
Musik | Stephen Flaherty | |||
Gesangstexte | Lynn Ahrens | |||
Deutsche Dialoge | Ruth Deny | |||
Deutsche Gesangstexte | Wolfgang Adenberg | |||
In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln | ||||
Musikalische Leitung | Tom Bitterlich | |||
Inszenierung | Matthias Davids | |||
Bühne, Co-Regie | Andrew D. Edwards | |||
Kostüme | Aleš Valášek | |||
Choreografie | Kim Duddy |
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CAST (AKTUELL) |
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Anja | Hanna Kastner |
Dimitri | Lukas Sandmann |
Wlad | Karsten Kenzel |
Gleb | Nikolaj Alexander Brucker Mathias Edenborn (23.10., 15.12.) |
Zarenmutter | Daniela Dett |
Lily | Judith Jandl |
Zar / Graf Iplitow / Graf Gregory | Joel Parnis |
Gorlinski / Graf Leopold | Gernot Romic |
Zarin / Dunja | Sanne Mieloo |
Tatjana / Paulina | Celina dos Santos |
Olga / Marfa / Gräfin Gregory | Bettina Schurek |
Ensemble | Anastasia Bertinshaw Barbara Castka Alexander Findewirth Julia Hübner Albert Jan Kingma Nils Klitsch Luca Marchetti Susannah Murphy Maura Oricchio Noa Joanna Ryff Pascal Schürken Aday Velasco |
Gesangsensemble | Nathan Mitterbauer |
Ensemble-Swing | Hannah Moana Paul |
Junge Anastasia | Emilie Eder Luisa Kircher Helena Unger |
Alexej | Jakob Blaimschein Fabian Harrich Antonin Stamm |
Band-Verantwortlicher | Ewald Zach |
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GALERIE |
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TERMINE |
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