 Rockoper
Jesus Christ Superstar Would you die for me?
© Harald Dietz / SFF Fotodesign
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Andrew Lloyd Webbers biblische Rockoper in einer Inszenierung, die an sich nicht vollständig überzeugen kann, aber trotzdem in ihrer Gesamtheit einen positiven Eindruck hinterlässt – nicht zuletzt dank starker Darsteller, geschickter Personenregie und einer tollen Orchestrierung.
(Text: Claudia Leonhardt) Premiere: | | 26.04.2014 | Rezensierte Vorstellung: | | 01.06.2014 | Letzte bekannte Aufführung: | | 09.07.2014 |
Es ist vor allem die großartige Charakterzeichnung, die Roland Hüves Inszenierung auszeichnet und ihr Tiefgang verleiht. Da ist ein Jesus (Christian Venzke), der zu keinem Zeitpunkt des Stücks unnahbar wirkt. Trotz seines "Superstar"-Status gibt er sich nie arrogant, seine Wut kommt eher einer hilflosen Ohnmacht gleich und sein Ringen mit dem Schicksal ist stets gegenwärtig. Da ist ein Judas (Chris Murray), der anfänglich noch als Stimme der Vernunft auftritt, doch zunehmend zwischen Loyalität und Angst hin- und hergerissen ist – und dessen Verstand mehr und mehr daran zerbricht. Maria Magdalena (Birgit Reutter) ist weder zarte Verführerin noch chillige Hippie-Braut, sondern eine gestandene Frau mit Vergangenheit, die sichtlich mit ihren Gefühlen für Jesus hadert. Pilatus (Birger Radde) sieht sich als römischer Stadthalter, der eigentlich nicht über Jesus richten will, zunehmend mit seiner Machtlosigkeit konfrontiert. Selbst Herodes (Karsten Jesgarz) – häufig als überdrehte Karikatur dargestellt, die auf Lacher abzielt – ist in Hof eine greifbare Figur: ein selbstherrlicher Herrscher, der nur Verachtung und Spott für den vom Volk gefeierten "Judenkönig" übrig hat.
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Mit nuancierter Darstellung gelingt es den Akteuren, ihre Rollen glaubhaft mit Leben zu füllen. Auch stimmlich können die Solisten überzeugen. Christian Venzkes warmes Timbre sorgt vor allem in den tiefen Tonlagen für Gänsehaut-Momente und setzt einen interessanten Gegenpol zur kraftvollen, ungewohnt rauen Rock-Röhre, mit der Chris Murray Judas' innerliche Zerrissenheit unterstreicht. "Pilatus Traum" wird dank dem wohlklingenden Bariton und der eindringlichen Interpretation Birger Raddes zu einem Highlight der Aufführung.
Unterstrichen wird die Leistung der Darsteller durch eine Reihe von kleinen, aber wichtigen Momenten zwischen und am Rande der großen Szenen. Etwa, wenn Jesus am Ende von "Wie soll ich ihn nur lieben?" rechtzeitig aus dem Schlaf erwacht, um Marias "Ich lieb ihn so" zu hören und sie flieht, als er auf sie zugehen will. Oder wenn Judas das Blutgeld für den Verrat nicht sofort erhält, sondern erst nach Judas Verhaftung, ganz bewusst vor den Augen seiner ehemaligen Freude. Auch wenn Pilatus den Soldaten, der Jesus auspeitscht, zur Seite stößt, als dieser zum vierzigsten (und damit tödlichen) Hieb ausholt, ist das eines dieser Details, die der Charakterisierung zugute kommen und im Gedächtnis bleiben.
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Doch während die Inszenierung in dieses Momenten brilliert, bleibt abseits davon der großen Aha-Effekt aus und auch sonst ist Hüves Interpretation in sich nicht immer schlüssig. Anfangs- und Schlussszene geben dem Stück die angedeutete Rahmenhandlung einer Theaterinszenierung, die den Bogen zur Moderne schaffen soll, darüber hinaus aber keinen Tiefgang bietet. Diesem recht überflüssigem Stilmittel ist es wohl auch zu verdanken, dass die Kostüme sich aus einem kruden, unlogischen Mix aus moderner Alltagskleidung (z.B. Simon in Rolling Stones T-Shirt und Lederjacke), glitzernden Abendroben (einige Damen im Ensemble) und historischen Kostümen (z.B. Pilatus und die Hohepriester) zusammensetzen.
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Überhaupt ist die Ausstattung die Schwachstelle der Inszenierung. Auch das betont minimalistische Bühnenbild, das ausschließlich aus einer Treppenkonstruktion und einem großen Holzkreuz für die Kreuzigungszene besteht, ist wenig einfallsreich. Glücklicherweise macht die grandiose Lichtregie (Jürgen Burger) optisch einiges wett, erzeugt mit farbigen Highlights gekonnt Stimmung, setzt Aktente und lenkt den Blick der Zuschauer.
Für eine starke und klangvolle musikalische Untermalung sorgen die Hofer Symphoniker unter Leitung von Ivo Hentschel, die mit einigen innovativen Neuarrangements aufwarten. Besonders bei "Verdammt für alle Zeit" läuft das Orchester zu Höchstform auf und setzt im Zusammenspiel mit Chris Murrays dynamischer Interpretation ein deutliches Ausrufezeichen. In den Ensembleszenen kann der Opernchor des Theaters Hof mit stimmlichem Klangvolumen begeistern.
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"Jesus Christ Superstar" in Hof ist eine Produktion, die in dieser Form nicht funktionieren würde, wenn die Beteiligten auf der Bühne und im Orchestergraben die Schwächen von Inszenierung und Ausstattung nicht so gekonnt (im wahrsten Sinne des Wortes) überspielen würden.
(Text: Claudia Leonhardt)

Kreativteam
Besetzung
Produktionsgalerie (weitere Bilder)
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 1 Zuschauer hat eine Wertung abgegeben:

    30399 Musikalischer Tiefpunkt trifft "Irgendwas Mit Modern"
14.06.2014 - Die obige Kritik empfinde ich als wesentlich Realitätsnäher als die Rezensionen der regionalen Zeitungen und auch der Fachzeitschrift „thats musical“. Aber auch hier werden die musikalischen Schwächen leider nicht auf den Punkt gebracht.
Das „Konzept“ der Produktion: einem Sammelsurium an Fundusfetzen. Antike Kostüme paaren sich mit modernen Turnschuhen in geschmack- und konzeptlosen Kombinationen. Die letzten Tage Jesu beginnen auf offener Bühne mit einer Versammlung von Theaterleuten in heutigen Straßenklamotten. Wie einfallsreich. „Irgendwas mit modern“ ließen sich die Ansätze dieses unkonkret-oberflächlichen, unfertig wirkenden „Regiekonzeptes“ wohl am besten zusammenfassen.
Natürlich gibt es auch ergreifende Momente. Natürlich wirken einige Bilder des 2. Akts sehr stimmungsvoll. Und das genügt dem Hofer Publikum schon für stehendes Beifallsgejohle, obwohl sonst während der Premiere erschreckendes Schweigen während nahezu allen der ungeschickten Übergänge herrscht? Da wirkt der Webber. Aber mal ehrlich: Regiekunst ist anders.
Doch damit nicht genug. Christian Venzke gibt einen extrem menschlichen und femininen Jesus, der absolut zerbrechlich wirkt – leider vor allem stimmlich. Wie fast das ganze Ensemble ist auch er dieser schweren Rock-Oper alles andere als gewachsen. Die Spitzentöne der eingekauften Solisten rutschen unkontrolliert weg oder werden noch schnell unschön herausgebrüllt. Die Intonation des wortwörtlichen leidenden Jesus gleicht der gealterter Damen eines dörflichen Kirchenchors. Und neben dem eingeschüchterten Jesus agiert sein „Mit-, halb Gegenspieler“ Judas (Chris Murray) als ungebändigter Löwe, der jegliche diabolische Mephisto-Darstellung übertrumpft. Mit fanatischem Blick zieht der groß angepriesene Gast-Musicalstar das Publikum in seinen Bann. Eben nur ein Mann. Und auch er als zweiter gealterter Bariton im Hauptdarsteller-Bund versucht seine Überforderung mit der Rock-Tenorrolle durch enormen Druck auf den Stimmkomplex zu kompensieren. Der einzige, der bei seiner – zugegebenermaßen: klassischen - Stimme bleibt und damit sicher fährt, ist Bariton Birger Radde als Pilatus. Weiterer Lichtblick neben ihm: Birgit Reutter. Sie rührt als Maria Magdalena durch authentisches Spiel, begreift die Rolle und weiß sie auch stimmlich auszufüllen. Wenigstens punktet das restliche Ensemble sonst mit guter Bühnenaktivität.
Kraftvoll, mit Wucht und einer Menge falscher Töne lässt Dirigent Ivo Hentschel dagegen die Blechbläser bei der Premiere erklingen. Allgemein spielt das gesamte Orchester derart unkonzentriert, als fühle es sich mit dem Werk Webbers unterfordert. Dabei versucht der engagierte Leiter vergeblich, die unterschiedlichen Tempi von Orchestergraben und Bühne zu vereinen. Stattdessen deckt die ihm entglittene Lautstärke die nuschelnden, mit laienhaft-rauschender Tontechnik abgemischten Darsteller vollkommen zu, sodass der Text wohl im Originaltext in der Bibel nachgelesen werden muss. Auch eine Art von Mission. Viele falsche Töne und Gebrülle – „thats musical“ nennt es pure Musik und „schiere musikalische Kraft“.
Lieber Herr Regisseur Hüve, liebes Theater Hof: etwas mehr kann man selbst dem „Provinz-Publikum“ zutrauen! Diese Inszenierung jedenfalls schaut nicht dem Heute ins Gesicht, sondern blinzelt höchstens einmal kurz in die Gegenwart.

Luca Simon (3 Bewertungen, ∅ 2.3 Sterne)

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