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 Verwechslungs-Komödie
Victor/Victoria Eine Frau spielt einen Mann, der Frauen spielt
© Andreas Etter
© Andreas Etter
Trotz einer wunderbaren Zodwa Selele in der Titelrolle zerfasert die Musical-Version des Blake Edwards Films unter der Regie von Erik Petersen im Laufe des Abends zu einem plumpen Abklatsch der Filmvorlage und weiß nicht recht, ob sie Boulevard-Spaß oder clevere Komödie sein will.
(Text: Jens Alsbach) Premiere: | | 09.10.2021 | Rezensierte Vorstellung: | | 09.10.2021 | Dernière: | | 13.06.2022 | Showlänge: | | 180 Minuten (ggf. inkl. Pause) |
Das Werk "Victor/Victoria" hat eine komplexe Entstehungsgeschichte. Zuerst gab es 1933 einen deutschen UFA-Film, darauf folgte 1982 eine Neuverfilmung mit Julie Andrews und James Garner in den Hauptrollen. 1995 schaffte es die Musical-Version an den Broadway. Während der Entstehung des Musicals starb jedoch Filmkomponist Henri Mancini, so dass einige zusätzliche Musiktitel von Frank Wildhorn beigesteuert wurden. Hierzulande gab es 1998 die europäische Premiere an der Staatsoperette Dresden.
Nun präsentiert also das Staatstheater Mainz die Verwechslungs-Show, um damit ihre Post-Corona-Spielzeit zu eröffnen. Mit Zodwa Selele bringt man einen bekannten Namen ans Haus. Die Darstellerin wurde durch diverse Hauptrollen in "Aida", "Sister Act" oder "König der Löwen" bekannt und glänzt auch hier durch ihre charmante Spielweise, ihr Comedy-Timing und ihre wunderbare Soul-Stimme. Ihr Können steht auf der Haben-Seite des Abends, wenngleich ihre Verwandlung zum Mann nicht so überzeugend gelingt wie einst bei Julie Andrews mit ihrer Kurzhaarfrisur.
Auch Toddy-Darsteller Michael Dahmen, Henner Momann als King Marchan und Beatrice Reece als Norma machen ihre Sache generell gut. Das Problem der Produktion liegt eher in der Inszenierung selbst. Sowohl die Regie von Erik Petersen als auch die Ausstattung von Kristopher Kempf und letztlich auch Sabine Artholds Choreografie wissen nicht recht, wohin die Reise gehen soll. Will man eine platte Boulevard-Komödie mit einem Gag-Feuerwerk liefern? Oder will man eine elegante Verwechslungs-Show präsentieren, die sich an dem clever gemachten Hollywood-Film orientiert? Das Ergebnis ist ein Mischmasch, der zwar gelungene Ansätze bietet, aber letztendlich nicht wirklich abliefert.
Die Show legt nach der ersten halben Stunde eine Art Hau-drauf-Manierismus an den Tag, bei dem kein Gag über das benachbarte Wiesbaden ausgelassen wird und auch das Gender-Sternchen seinen Auftritt hat. Die Rolle des Squash Bernstein (Stefan Reil) wird mit einem bayrischen Akzent ausgestattet, den der Darsteller jedoch zwischendurch immer wieder vergisst. Und auch alle schwulen Klischees werden bedient, so dass das Publikum mit reinen Abziehbildern beliefert wird. Hier setzt Petersen bewusst auf "einfaches" Entertainment, was schade ist, denn die Geschichte an sich bietet so viel Cleverness und feine Nuancen der Unterhaltung. Zwischendurch blitzen diese auch kurz auf. Das anfängliche Kennenlernen zwischen Victoria und Toddy wird beispielsweise sehr charmant und glaubhaft dargestellt. Leider gelingt dies jedoch zu selten.
Im zweiten Akt gerät dann auch die Figuren-Regie ins Stocken. So wird bei einem wichtigen Gespräch zwischen den Hauptcharakteren die Nummer ständig durch vier durch die Szene laufende Hotel-Angestellte gesprengt, die mit Staubwedeln die Szenerie "putzen". Auch hier steht augenscheinlich pures Slapstick-Entertainment im Vordergrund.
Kristopher Kempfs Ausstattung passt sich an; manche Handlungsorte sind nur schwer nachvollziehbar. Besonders deutlich wird dies bei der eigentlich grandiosen Showstopper-Nummer "Chicago, Illinois", gesungen von Beatrice Reece als Norma. Gedacht als sexy Showgirl-Performance findet der Song hier in einer Art Western-Saloon-Kulisse statt. Die Darstellerinnen und Darsteller tanzen auf einem Tisch, bekleidet mit Cowboy-Kostümen. Der elegante Stil des 30er Jahre Nachtclubs und die vielschichtige Rolle der Norma mutieren leider auch zur Hau-drauf Nummer, bei der Beatrice Reece keine Chance hat, ihre Rolle zu entwickeln. Anstatt den dynamischen Song für eine mitreißende Choreografie zu nutzen, beschränkt sich diese hier größtenteils auf das mehrmalige Umziehen von Normas Kleid.
Positiv herausstellen muss man die Hotel-Kulisse, die von der Hinterbühne nach vorne fährt. Diese funktioniert sehr gut, wird jedoch am Ende recht häufig vor- und zurückgerollt.
Ebenso positiv sei das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung von Tjaard Kirsch erwähnt, das grandios aufspielt. Auch die Ensemblenummern gehören musikalisch zur Plus-Seite des Abends, besonders wenn sie im englischen Original dargeboten werden.
Am Ende bleibt jedoch der Eindruck, dass die Inszenierung - vielleicht auch bedingt durch den Hunger des Publikums nach Unterhaltung - verkrampft witzig sein will. Dafür ist das eher subtil unterhaltsame und vielschichtige "Victor/Victoria" jedoch nicht das richtige Stück. Es wäre wesentlich spannender gewesen, hätte man dem Publikum ein wenig mehr zugemutet und die Feinheiten des Stoffes herausgearbeitet.
(Text: Jens Alsbach)

Kreativteam
Besetzung
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Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 1 Zuschauer hat eine Wertung abgegeben:

    32257 Inszenatorisch gescheitert
02.02.2022 - Man könnte eine ganze Dissertation über diese in weiten Teilen gescheiterte Inszenierung schreiben.
Aber machen wir es kurz.
Das Grundübel ist eine Besetzungspolitik, die auf Teufel komm raus gegen den Strich besetzt hat.
Die Hauptcharaktere, die insbesondere durch die grandiose Filmvorlage und ihre genialen Darsteller geprägt wurden, sind kaum wiederzuerkennen, wenig sympathisch und noch weniger glaubwürdig.
Zodwa Selele (singt wie alle großartig) kann nicht als strenge, britische Sopranistin Victoria überzeugen. Noch viel weniger glaubt man ihr den androgynen polnischen Travestie-Darsteller Victor. Ein vollkommen uninspiriertes Kostümbild macht die Sache nur noch schlimmer.
Michael Dahmen ist viel zu jung, um ihren väterlichen Mentor Toddy glaubhaft zu machen.
Auch Henner Momann wirkt als Gangsterboss King Marchan viel zu jungenhaft und unsicher.
Beatrice Reece als Norma ist nicht mehr das intelligent gestaltete Klischeebild einer oberflächlichen Blondine, sondern eine walkürenhafte Dampfwalze, die alles platt macht.
Diese fehlerhafte Ausgestaltung der Protagonisten potenziert sich dann natürlich noch in den unterschiedlichen Paarkonstellationen und mach diese vollkommen unglaubwürdig.
Wie gesagt singen alle Darsteller großartig und spielen engagiert. Das Problem scheint mir in der Besetzungspolitik und der inszenatorischen Herangehensweise zu liegen.
Auch der Versuch mit platten, teilweise vulgären Gags den Humorfaktor des Stückes anzuheben verpufft in teilweise peinlichen Momenten.
Das Kostümbild will scheinbar überhaupt nicht das charmante und pittoreske Ambiente des Paris der 1930er Jahre wiedergeben, sondern vergaloppiert sich wirr in sämtlichen Jahrzehnten.
Die Choreografie ist dezent und unauffällig. Was für das Thema nicht von Vorteil ist.
Auf der Habenseite stehen die Gesangsnummern der Künstler, die zu den losgelösten Höhepunkten des Abends werden, das Philharmonische Staatsorchester Mainz, das die Partitur opulent, swingend und jazzig zum Besten gibt und ein stimmungsvolles, prächtiges Lichtdesign.
Unter dem Strich wäre aber insgesamt sehr viel mehr möglich gewesen.

kevin (198 Bewertungen, ∅ 3.3 Sterne) 
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| Handlung | Im Paris der 30er Jahre gibt die mittellose britische Sängerin Victoria Grant in der Hoffnung, eine Anstellung zu finden, auf Anraten ihres schwulen Freundes Carol Todd vor, ein männlicher Travestiedarsteller zu sein. mehr Und wirklich - "Graf Victor Grazinski" ist bald gefeierter Star auf den Pariser Bühnen. Doch das falsche Spiel droht aufzufliegen, als Gangsterboss King Marchand unerwartete Gefühle für Victor entwickelt und zunächst an Victors Männlichkeit, dann an seiner eigenen Sexualität zweifelt.
| Weitere Infos | Der Stoff wurde bereits 1933 im UFA-Film "Viktor und Viktoria" bearbeitet. 1982 entdeckte der bekannte amerikanische Regisseur Blake Edwards ihn wieder und verarbeitet ihn zu seiner musikalischen Komödie "Victor/Victoria" mit Julie Andrews in der Titelrolle, James Garner als King und Robert Preston als Toddy. Die Musik schrieb Henry Mancini, die Texte Leslie Bricusse. Der Film gewann einen Oscar für die beste Original-Musik und war für sechs weitere der begehrten Trophäen nominiert. Den Sprung auf die Broadway-Bühne schaffte das Musical erst 1995, ein Jahr nach Mancinis Tod. Frank Wildhorn schrieb einige zusätzliche Songs, die Hauptrolle übernahm abermals Julie Andrews.
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
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