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Ein Handlungszeitraum von 150 Jahren, 175 Figuren und zahlreiche Ortswechsel – es gibt einfachere Aufgaben für einen Autor und Regisseur. Henry Mason stellt sich dieser Herausforderung und erledigt sie – unterstützt von einem hervorragenden Ensemble, abwechslungsreichen Kompositionen von Thomas Zaufke und einer schlichten, aber punktgenauen Ausstattung – mit Bravour.
Netsuke sind kleine geschnitzte Figuren aus Japan. Eine davon ist der titelgebende Hase, seit Kindertagen das Lieblingsstück von Iggie von Ephrussi. Nach seinem Tod hinterlässt er die Sammlung von 264 dieser Figürchen seinem Neffen Edmund de Waal. Grund für den Briten, die Geschichte seiner Familie großmütterlicherseits zu erforschen und aufzuschreiben: Die Ephrussis stammen aus Odessa, breiten ihre Handels- und Bankgeschäfte über Paris nach Wien aus und steigen zu einem der reichsten Finanzimperien Europas auf. In der Nazizeit werden sie enteignet, verlieren alles und die Familie wird über die ganze Welt verstreut. Dass die Netsuke nicht mit den anderen Kunst- und Wertgegenständen nach dem Anschluss Österreichs 1938 konfisziert werden, ist der Zofe Anna zu verdanken. Sie versteckt die Figuren in ihrer Matratze und übergibt sie nach dem Krieg wieder der Familie.
Edmund de Waals Buch ist kein epischer Familienroman, sondern die penibel recherchierte Biographie einer jüdischen Handelsfamilie. Deren Mitglieder werden durch historische Dokumente charakterisiert. In Nebenaspekten geht es auch noch um japanische Kunstgeschichte, den Antisemitismus im Paris des späten 19. und im Wien des frühen 20. Jahrhunderts, die Erklärung des jeweiligen zeitgeschichtlichen Hintergrunds und dessen Auswirkungen auf die Familie Ephrussi. Auch wenn es sich sehr gut liest: Das Buch drängt sich nicht als Vorlage für ein Musical auf.
Henry Mason verdichtet die Handlung und bricht sie gleichzeitig auf. Trotz der Vielzahl an Figuren behält das Publikum den Überblick. Die Geschichte wird nicht brav chronologisch vom Kauf der Netsuke Mitte des 19. bis zur Fertigstellung des Buchs im 21. Jahrhundert erzählt, sondern springt zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Personen verschiedener Zeitebenen treten in Dialog miteinander, sehen zu oder kommentieren. Besonders schön ist das in den Szenen, in denen der alte Onkel Iggie auf sein Kinder-Ich trifft. Mason fügt eine ordentliche, aber nicht ins Kitschige abgleitende Dosis Emotion und hier und da eine Prise Humor hinzu. Einzige Wermutstropfen sind ein paar arg gezwungene Reime in seinen Liedtexten. Als Regisseur überzeugt er durch Liebe zu Details und präzise Personenführung, die mit Francesc Abós Choreographie Hand in Hand geht.
Dass man der Handlung gut folgen kann, liegt auch an Jan Meiers zeitlosem Bühnenbild und den zeitgenössischen Kostümen. Von wenigen Requisiten und fahrbaren Möbeln abgesehen, beherrscht eine große Projektionsfläche die Bühne, auf der Fotos und Animationen bei der räumlichen und zeitlichen Verortung helfen oder die Szenen grafisch unterstützen.
Thomas Zaufke orientiert sich mit seiner Musik am Stil der jeweiligen Zeit und kann aus den Vollen schöpfen: traditionelle jüdische Musik, patriotische Hymnen, Charleston, eine Marsch-Parodie und als Klammer dient die Moderne. Die Kompositionen sind Teil der Dramaturgie und treiben den Handlungsfluss voran. Es gibt keinen Showstopper, nur einige Solo-Stellen in den szenisch geschriebenen Ensemblenummern. Die Songs gehen nicht sofort ins Ohr, passen sich aber ins Gesamtkonzept ein. Christopher Mundy leitet umsichtig das erhöht im Hintergrund sitzende 12-köpfige Orchester. Der Klang ist tadellos und der Text jederzeit verständlich.
Das stimmlich und darstellerisch durch die Bank überzeugende und ausdrucksstarke Ensemble umfasst 15 Erwachsene und fünf talentierte, sehr natürlich spielende Kinderdarsteller. Christof Messner ist als Edmund ständig auf der Bühne. Für Edmund ist die Erforschung der Geschichte seiner Vorfahren auch eine Suche nach sich selbst. Er taucht so sehr in diese neue Aufgabe ein, dass er sogar Teil der in der Vergangenheit spielenden Szenen wird und seine Familie vernachlässigt. Durch den Handlungsstrang in der Jetztzeit bekommt die Rolle mehr Hintergrund und wird nicht auf „den Erzähler“ reduziert. Neben Messner hat nur Riccardo Greco mit ruhiger Ausstrahlung, aber emotional packend, als Familienoberhaupt Viktor einen einzigen Part. Alle anderen Darstellerinnen und Darsteller übernehmen mehrere Rollen, u.a. Anaïs Lueken (als Edmunds zweifelnde Ehefrau Sue sowie als hartnäckig für die Rechte ihrer Familie kämpfende Elisabeth), Carsten Lepper (u.a. als Charles, der von Künstlern wie Pierre-August Renoir und Edgar Degas als Jude verachtet, aber finanziell ausgenommen wird), Myrthes Monteiro (u.a. als von Melancholie umwehte und trotzig lebenslustige Emmy) und William Mason (u.a. als humorvoller alter Iggie).
„Der Hase mit den Bernsteinaugen“ zieht den Zuschauer genau wie Edmund in die Familiengeschichte der Ephrussis hinein. Die komplexe Vorlage ist meisterlich bühnengerecht bearbeitet und um weitere Ebenen ergänzt. Wenn sich beim Premieren-Schlussapplaus der zu Tränen gerührte „echte“ Edmund de Waal und sein Bühnen-Alter Ego in den Armen liegen, tut sich unerwartet noch eine neue Ebene auf.
Ein sehr berührender, eindrucksvoller Theaterabend!
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KREATIVTEAM |
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Musik | Thomas Zaufke | |||
Buch / Gesangstexte | Henry Mason | |||
nach dem gleichnamigen Buch von Edmund de Waal | ||||
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Inszenierung | Henry Mason | |||
Choreografie | Francesc Abós | |||
Bühne / Kostüme | Jan Meier | |||
Dramaturgie | Arne Beeker |
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CAST (AKTUELL) |
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Edmund de Waal | Christof Messner |
Sue Chandler, Elisabeth von Ephrussi | Anais Lueken |
Alter Iggie von Ephrussi, Manet | Klaus Brantzen William Mason |
Charles von Ephrussi | Carsten Lepper |
Louise Cahen dAnvers | Hanna Kastner |
Viktor von Ephrussi | Riccardo Greco |
Emmy von Ephrussi | Myrthes Monteiro |
Jiro Sugiyama | Wei-Ken Liao |
Anna (Zofe), Lemaire, Jeanne | Ariana Schirasi-Fard |
Junger Iggie von Ephrussi, Degas | Gernot Romic |
Edmond de Goncourt, Steinhäusser | Jan Nikolaus Cerha |
Rudolf von Ephrussi, Stefan, Monet | Florian Stanek |
Renoir | Christian Fröhlich |
Ellen | Lynsey Thurgar |
Junge Gisela | Angela Waidmann |
Matthew de Waal, Kleiner Charles | Gabriel Federspieler Clemens Herndler |
Ben de Waal, Kleiner Jules | Nepomuk Pichler René Unger |
Kleiner Ignace, Kleiner Iggie, Kleiner Hitler | Wendelin Burgstaller Matthias Körber |
Elisabeth Cahen dAnvers, Kleine Elisabeth | Magdalene Baehr Miriam Hollerweger |
Kleine Gisela | Elisabeth Baehr Selma Spitzer |
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GALERIE |
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TERMINE |
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keine aktuellen Termine |
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TERMINE (HISTORY) |
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Fr, 05.04.2019 19:30 | Schauspielhaus, Linz | Voraufführung | |||||||
Sa, 06.04.2019 19:30 | Schauspielhaus, Linz | Premiere | |||||||
Do, 11.04.2019 19:30 | Schauspielhaus, Linz | ||||||||
▼ 11 weitere Termine einblenden (bis 03.07.2019) ▼ | |||||||||
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Sa, 13.04.2019 19:30 | Schauspielhaus, Linz | ||||||||
Sa, 20.04.2019 19:30 | Schauspielhaus, Linz | ||||||||
Sa, 04.05.2019 19:30 | Schauspielhaus, Linz | ||||||||
Fr, 17.05.2019 19:30 | Schauspielhaus, Linz | ||||||||
Fr, 24.05.2019 19:30 | Schauspielhaus, Linz | ||||||||
Mo, 27.05.2019 19:30 | Schauspielhaus, Linz | ||||||||
Do, 30.05.2019 19:30 | Schauspielhaus, Linz | ||||||||
So, 09.06.2019 19:30 | Schauspielhaus, Linz | ||||||||
Mi, 19.06.2019 19:30 | Schauspielhaus, Linz | ||||||||
Di, 02.07.2019 19:30 | Schauspielhaus, Linz | ||||||||
Mi, 03.07.2019 19:30 | Schauspielhaus, Linz | ||||||||
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