Ann Sophie Dürmeyer (Mata Hari), Ensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz © Marie-Laure Briane
Ann Sophie Dürmeyer (Mata Hari), Ensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz © Marie-Laure Briane

Mata Hari (2023)
Staatstheater am Gärtnerplatz, München

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Das Gärtnerplatztheater München schickt mit seinem neuesten Auftragswerk das Musicalpublikum auf die Spurensuche der immer noch geheimnisumwitterten Mata Hari. Das Autorenteam Marc Schubring und Kevin Schröder belässt es jedoch nicht dabei, eine eindimensionale Geschichte zu erzählen, sondern wagt das Experiment gleich dreier Erzählstränge: Der erste Strang erzählt die Lebensgeschichte von Margaretha “Griet” Zelle, bevor sie zu Mata Hari wurde. Der zweite Strang besteht aus elf Songs, die von Mata Hari, dem Popstar, in Bezug auf die Handlung des ersten Strangs eingeflochten werden. Der dritte Strang besteht aus fiktiven Zeugenaussagen nach der Enttarnung Mata Haris als Doppelagentin, die als Videoprojektionen eingespielt werden. Was in Erinnerung bleibt, ist ein großartiger Cast, ein tolles Orchester und eine Popsängerin mit Gänsehautgarantie in einem Konzept, dass sich allerdings als völlig überambitioniert herausstellt.

Eigentlich verwunderlich, dass Mata Hari, die sagenumwobene Schönheit, deren Legende sich im wahrsten Sinne des Wortes am Ende als Doppelleben erwies, bisher auf den Musicalbühnen wenig Widerhall gefunden hat. Hält die Geschichte doch eigentlich alles parat, was ein gutes Musical braucht: eine bekannte Titelfigur, eine Story mit vielen Twists und vor allem die Möglichkeit ganz großer Shownummern. Im Interview im Programmheft zur Inszenierung des Staatstheaters am Gärtnerplatz berichtet Komponist Marc Schubring allerdings, dass er lange Zeit gehadert habe, ob Mata Hari ein guter Musicalstoff sei. Viel zu nah seien seiner Meinung nach die Assoziationen zu den Klischees “Nackttänzerin” und “tragische Spionin”. Erst als er den Stoff unter dem Gesichtspunkt einer unkonventionellen Frau, die sich neu erfindet, gesehen hat, konnte er sich auf den Stoff einlassen. Unkonventionell ist das Musical “Mata Hari” tatsächlich geworden. Die Musik im Strang, der das Leben Griets in der damals niederländischen Kolonie Javas und ihre Schwierigkeiten, ihren Platz in der angestaubten Gesellschaft zu finden, erzählt, erinnert in vielen Momenten an die musikalische Sprache Stephen Sondheims. Im deutlichen Gegensatz dazu stehen dann die Songs des Popstars Mata Hari, von denen viele für sich genommen das Potenzial zu Eurovision-Song-Contest-Hits haben. Leider haben die beiden Gattungen und letztendlich auch die Themen der Popsongs so wenig mit den Themen der Handlung aus dem ersten Strang zu tun, dass eine Verbindung zueinander in den allermeisten Fällen arg an den Haaren herbeigezogen wirkt.

Die Bühne wird dominiert von einem riesigen, aus mehreren Elementen und einer großen Treppe bestehenden Konstrukt, das auf einer Drehbühne platziert wurde. Zusätzlich lassen sich einzelne Elemente noch in die Höhe fahren oder im Bühnenboden versenken. Das Seitenelement der Treppe bietet eine große Fläche, auf die unter anderem die hochwertig produzierten Filmausschnitte der Zeugenaussagen im Prozess gegen Mata Hari projiziert werden. Die Bühnentechnik ermöglicht rasche und flüssige Szenenwechsel. Besonders beim Wechsel zwischen den einzelnen Erzählsträngen ist das für eine Uraufführung typische enorm enge Zusammenspiel des gesamten Creativ-Teams sehr gut zu erkennen. Vor allem beim In-Szene-Setzen der Popsongs kann die Bühnentechnik ihr gesamtes Potential entfalten: Beim Popsong “Schwerelos” wird Mata Hari auf einem Hubpodium immer weiter in den Bühnenhimmel gefahren. Zum leisen Ausklang des Songs fährt das Podium wieder nach unten und die Drehbühne fährt Mata Hari gleichzeitig ins dunkle Off.

Die hochwertigen Kostüme von Alfred Mayerhofer wurden entsprechend der jeweiligen Erzählebene gefertigt. Im Kolonialstil des frühen 20. Jahrhunderts in Griets Szenen und modern mit Anleihen an die großen Revuen zu Beginn der 1920er Jahre in den Showblocks Mata Haris. Ob es die – schon beinahe obligatorisch für deutsche Theater – in schwarze Latexanzüge gekleideten Tänzer braucht, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Leitung von Andreas Partilla spielt die Partitur mit viel Schwung. Die Herausforderung, den Ton bei so derart unterschiedlichen Stilrichtungen auf einem gleichbleibend hohem Level zu bewahren, gelingt die gesamte Show über bemerkenswert gut.
Florine Schnitzel gibt der Rolle der Griet eine energische Charakterfärbung und die Darstellung ihrer Unangepasstheit an die damalige Zeit gelingt ihr extrem gut. Das Publikum ertappt sich selbst das eine oder andere Mal dabei, sich für ihr Verhalten fremdzuschämen. Vor allem gleich zu Beginn der Show, wenn Griet auf einem Gruppenfoto mit der feinen Gesellschaft Javas posieren soll und weder ihren Platz auf dem Foto noch die ihr zugewiesene starre Haltung mit Kopfstütze akzeptiert und stattdessen immer wieder von ihrem Platz losspringt, gelingt es einem selbst nur schwer, Geduld zu bewahren. Die Entwicklung, die Griet im Verlauf des Stücks macht, sei es die anfängliche Verliebtheit in ihren Ehemann Rudolf oder die spätere Abneigung gegen ihn, stellt sie vollkommen überzeugend dar. Armin Kahl, der den Rudolf spielt, vermag es ebenfalls seiner Rolle Tiefe zu geben. Auch er kann die verschiedenen Charakterzüge und Entwicklungen, die seine Figur kennzeichnen, nachvollziehbar darstellen. Gesanglich meistern sowohl Florine Schnitzel als auch Armin Kahl die anspruchsvolle Partitur der ersten Erzählebene mühelos. Ihre Stimmen harmonieren auf eine ganz besondere Art und Weise miteinander.

Dagmar Hellberg ist eine der Rolle entsprechend resolute Friga van der Rheede, die die Oberschicht in der Kolonie anführt und anfänglich einen Gegenpart zu Griet, später dann aber eine Art mütterliche Verbündete darstellt. Die Nebenrollen des Stücks werden von Gunnar Frietsch (Jeroen Kuipers, einem Luitenant), Xiting Shan als Merbati, die Tagesmutter des Sohnes von Griet und Rudolf, sowie von Erwin Windegger als General Cornelis Fock sehr gut dargestellt. Der alles überstrahlende Star der Show ist jedoch Ann Sophie Dürmeyer in der Rolle der Mata Hari, des Popstars. Ihre Rolle hält schauspielerisch keinerlei Anforderungen für sie parat. Sie erscheint zwischen den Szenen auf der Bühne und performt ihre Popsongs. Ihre unglaublich warme und kraftvolle Stimme sorgt jedoch für Gänsehautgarantie.

Zum Ende der Show werden die bis dahin streng voneinander getrennten Erzählebenen Griets und Mata Haris zusammengeführt. In einem Streit zwischen Griet und Rudolf, der schließlich zu ihrer endgültigen Entzweiung führt, steht plötzlich nicht mehr Griet vor Rudolf, sondern Mata Hari. In diesem Moment geht die Szene in den Party Popsong “Larger than life” über, in dem das Publikum zum Mitklatschen animiert wird. Der Song und die Szene münden in der Erschießung Mata Haris durch ein französisches Exekutionskommando, während das Publikum noch fröhlich mitklatscht. Das Ende des Songs wird mit lautem und jubelndem Applaus bedacht, was allerdings so überhaupt nicht zum Geschehen auf der Bühne passen will. An dieser Stelle wird die größte Schwäche des Stücks deutlich: Das Buch und seine Erzählart vermag es nicht, Sympathien oder Antipathien für seine Figuren zu schaffen. Die Erschießung der Titelfigur geht unter im Spektakel und lässt das Publikum völlig kalt. Obwohl in den immer wieder eingespielten Zeugenaussagen per Videoprojektion auf den Gerichtsprozess, der schlussendlich zum Todesurteil führte, hingewiesen wird, kommt das dramatische Ende der Titelfigur allerdings auch völlig überraschend. Die beiden anderen Handlungsstränge nehmen darauf zu keiner Zeit Bezug. Die Geschichte von Griet endet vor der vermeintlichen Karriere als Spionin und der Strang um Mata Hari, den Popstar, folgt keiner Handlung. Um die Beantwortung der Frage, ob Mata Hari nun wirklich eine Doppelagentin war oder nicht, drücken sich die Autoren des Stücks damit.

Im anschließenden Finale gerät die Handlung dann völlig in den Hintergrund, wenn Griet und Mata Hari – zwar sehr schön inszeniert – gemeinsam einen Song interpretieren dürfen. Versöhnen kann so ein Ende allerdings leider auch nicht und so lässt einen die Show etwas ratlos zurück: Auf der Haben-Seite steht eine tolle Besetzung sowohl auf der Bühne als auch im Orchestergraben. Auf der anderen Seite allerdings ein nicht ausgegorenes Buch mit einer Idee, die wahrscheinlich für jede Bühne zu groß wäre.

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
MusikMarc Schubring
Buch / LiedtexteKevin Schroeder
IdeeMarc Schubring
Kevin Schroeder
Auftragswerk des Staatstheaters am Gärtnerplatz
DirigatAndreas Partilla
RegieIsabella Gregor
ChoreografieAdam Cooper
BühneKarl Fehringer
Judith Leikauf
KostümeAlfred Mayerhofer
LichtMichael Heidinger
DramaturgieMichael Alexander Rinz
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
Mata Hari, PopstarAnn Sophie Dürmeyer
Manon, BackgroundsängerinJulia Sturzlbaum
Inès, BackgroundsängerinDenise Lucia Aquino
Jean-Pierre, BackgroundsängerChristian Schleinzer
Margaretha Geertruida "Griet" ZelleFlorine Schnitzel
Rudolph, "Jonny" McLeod, Margarethas EhemannArmin Kahl
Friga van Rheede, verwitwete OffiziersgattinDagmar Hellberg
Jeroen Kuipers, LuitenantGunnar Frietsch
Merbati, Tagesmutter im Hause der McLeodsXiting Shan
Cornelis Fock, GeneralErwin Windegger
EnsembleFrank Berg
Martin Hausberg
Peter Neustifter
Holger Ohlmann
Ann-Katrin Naidu
Tracey Adele Cooper
Frances Lucey
Elaine Ortiz Arandes
Tänzerinnen
Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Do, 23.03.2023 19:30Staatstheater am Gärtnerplatz, MünchenPremiere
Fr, 24.03.2023 19:30Staatstheater am Gärtnerplatz, München
Fr, 31.03.2023 19:30Staatstheater am Gärtnerplatz, München
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