Wenn Erzieher Dennis zum Elternabend einlädt, könnte das ein beschaulicher Abend werden. Wären da nicht die Eltern – und vor allem Peter Lund (Buch) und Craig Simmons (Regie), die mit einer diabolischen Freude und Präzision die Veranstaltung im Kinderhort immer tiefer in menschliche Abgründe stürzen.
Simmons hat ein gutes Gespür und eine feine Hand in der Personenführung. Er genießt es sichtlich, das abendliche Treffen auf der Bühne von einer Eskalation in die nächste zu treiben. Während der Elternabend zu Beginn noch eher einer Komödie mit etwas überzogenen Charakteren gleicht, bröckelt die heile und z.T. schrullige Fassade im Laufe des Abends immer weiter. So lange, bis tiefe Abgründe zwischen den Charakteren stehen, sich immer neue Rudel formieren und auf der abstrusen Suche nach heiler Welt, Anerkennung, eigenen Idealen, dem Versagen und Schuld der Miteltern und Erzieher immer mehr zum Tier werden. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Eltern und Kind zunehmend. Craig Simmons kostet diese Gruppendynamik aus und erhält dabei hervorragende Unterstützung der anderen Gewerke.
Der Hildesheimer Elternabend spielt in einer Legowelt, die vor einem überdimensionalen Kasperletheater aufgebaut ist (Ausstattung: Hannes Neumaier). Das Licht hält sich dezent und unaufgeregt zurück, unterstreicht allerdings gekonnt die Grüppchenbildung im Stück. Zudem gelingt es, die immer schneller werdenden Rollenwechsel zwischen Eltern und Kindern deutlich hervorzuheben und von der übrigen Szene abzugrenzen. Die Choreographien von Dominik Büttner komplettieren den optischen Eindruck. Hier wird eingekesselt, gegeneinander getanzt und es entstehen immer wieder starke Schlussbilder.
Die Musik von Thomas Zaufke setzt dabei geschickt einen Kontrastpunkt zur Handlung, hat allerdings wenig Ohrwurmcharakter. Oft ist sie sehr fröhlich und lebensbejahend, während sich auf der Bühne bereits die nächste Katastrophe abzeichnet. Ein gutes Beispiel und den einzigen Ohrwurm bildet das Lied „Ritalin“, in dem Vera (Marysol Ximénez-Carrillo) das gleichnamige, umstrittene Medikament zu latein-amerikanischen Rhythmen besingt. Wie immer präzise und bester Spiellaune ist dabei auch die Band um Andreas Unsicker. Nicht ganz auf den Punkt ist hingegen der Ton. Zeitweise sind Gesangstexte schwer zu verstehen, da die Abmischung in Hildesheim Gesang und Musik nahezu gleichlaut aussteuert. Zum Ende der besuchten Vorstellung werden zudem vermehrt Mikrofone nicht rechtzeitig hochgezogen und es sind nur noch Mundbewegungen zur Musik zu sehen.
Das Publikum in Hildesheim hat viel Zeit, die einzelnen Charaktere mit ihren Schrullen, Wünschen und Sorgen kennenzulernen. Dafür sorgt auch das hervorragende Musical-Ensemble am TfN mit einer starken Gesamtleistung und viel darstellerischer Liebe ins Detail. Es kann mitgefiebert und gelacht werden. Manchmal auch fremdgeschämt und zuletzt sicherlich zutiefst verachtet. Selbst wenn das überraschend böse Ende des Stücks noch mit einem kleinen Kniff abgefedert wird, sitzt der Schockmoment tief.
Im Foyer liegt eine junge Frau nach der Premiere weinend im Arm einer Freundin. Es gibt viel zu erleben und viel zu fühlen bei diesem Elternabend in der Legowelt. Simmons und das gesamte Ensemble holen das Stück so nah an die Realität, dass es zum Teil weh tut, es zu erleben. Eine hervorragende Gesamtleistung und wirklich sehens- und fühlenswerte Umsetzung des Lund/Zaufke-Stoffs.
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