Anke Sieloff, Patrick Imhoff, Elpiniki Zavrou, Luc Steegers, Sebastian Schiller © Pedro Malinowski
Anke Sieloff, Patrick Imhoff, Elpiniki Zavrou, Luc Steegers, Sebastian Schiller © Pedro Malinowski

Das Licht auf der Piazza (seit 11/2025)
MiR (Großes Haus), Gelsenkirchen

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Was du liebst, lass‘ gehen: Das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen überzeugt in Kooperation mit der Oper Wuppertal mit einer einfühlsamen Inszenierung der Musical-Perle „Das Licht auf der Piazza“, die einen gekonnten Balanceakt schafft – zwischen Humor, verträumter Romantik und der gleichermaßen respektvollen wie relevanten Darstellung des Lebenswegs von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung.

Das am Broadway gefeierte und vielfach Tony-prämierte Musical aus der Feder von Adam Guettel ist in deutschsprachigen Gefilden noch ein Geheimtipp: Erst zweimal wurde das große erste Werk des Enkels von Musical-Urvater Richard Rodgers hier gespielt, nämlich 2018 bei den Landesbühnen Sachsen und 2024 beim Landestheater Linz in Österreich. Nun wagt sich Regisseur Carsten Kirchmeier auf das noch recht unberührte Terrain von einem Komponisten, der bisher neben „The Light In The Piazza“ nur in den USA mit „Floyd Collins“ und seinem neuesten Stück „Days of Wine and Roses“ dezente Bekanntheit erreicht hat.

Die Geschichte spielt im Jahr 1953 in Florenz: Margaret Johnson unternimmt mit ihrer Tochter Clara eine Reise, die sie beide näher zusammen führen soll. Margaret möchte ihr Kind vor der Außenwelt beschützen, denn durch einen Reitunfall als kleines Mädchen hat Clara eine kognitive Entwicklungsverzögerung davon getragen, die ihr geistiges Alter deutlich unter ihren 26 Lebensjahren zurückließ. Zudem fühlt sie sehr intensiv und benimmt sich oft ungefiltert, womit sie zuweilen aneckt. Trotz vieler Hürden und Ängste beweist sie immer wieder den Mut, sich dem Leben mit Hoffnung und Frohsinn zu stellen. So verliebt sich Clara während ihrer Reise in den Italiener Fabrizio, mithilfe dessen Familie schnell eine Verlobung erwirkt wird. Margaret sieht sich im Zwiespalt: Unterstützt sie die Wünsche ihrer Tochter oder sind ihre Mutterinstinkte stärker? Ist Clara bereit für die Welt oder bedarf sie weiterhin des Schutzes durch Margaret? Das Publikum begleitet die selbst in einer unglücklichen Ehe steckende Frau auf dem Weg zur bekannten Volksweisheit: Was du liebst, das lass‘ frei.

Einfühlsam und ruhig entfaltet sich Kirchmeiers Regieansatz auch mittels Katharina Rückls Dramaturgie für diese komplexe Geschichte. Seine Bildsprache ist reich und die Hauptakteure fungieren als vortreffliche Übersetzer für die ZuschauerInnen. Mit Fokus auf Figurenführung wird die Wandlung von Clara und ihrer Mutter sorgfältig nachgezeichnet. Dabei wird aber auch immer wieder subtile Komik eingestreut, die vor allem von Mutter Margaret und der Familie Naccarelli getragen wird. Die Darstellung von Clara wird durch diese Inszenierung stets respektvoll, aber auch eindringlich und bewegend in den Fokus gerückt. Julia Schnittgers verträumtes Bühnenbild strahlt trotz homogener Optik eine gewisse künstlerische Opulenz aus, die das träumerische Buch und die schwelgenden Melodien visuell auffängt: Große, goldverzierte Bilderrahmen, mal gefüllt mit barock anmutenden Gemälden und mal als Bildfläche für die Bühnenfiguren frei gelassen, vermitteln augenblicklich das Setting der prunkvollen und geschichtsträchtigen, vor allem auch als Kunstmetropole bekannten Stadt in der Toskana. Kontrastreiche Lichtstimmungen von Thomas Ratzinger setzen die Geschichte in einen beinahe kammerstückartigen Blickpunkt, der immer wieder zwischen groß gedachten Bildern und kleinen, introspektiven Momenten changiert. Hedi Mohrs Kostüme setzen die Handlung stimmig in das Italien der 1950er und erinnern optisch nicht selten an die letzte große Produktion im Haus, „Hello, Dolly!“. Einwandfreie Tontechnik, für die Dirk Lansing verantwortlich zeichnet, erfreut vor allem die oft Stadt- und Staatstheater-geplagten Musicalfans, die in Gelsenkirchen für diese Inszenierung keine Unsauberkeiten zu befürchten haben.

Die neue Philharmonie Westfalen spielt die anspruchsvolle, bildreiche und motivverwobene Partitur mit Bravour: Guettels Stil ist irgendwo zwischen den großen Filmmusicals der 40er bis 60er mit der Opulenz des Großvaters, der musikalischen Finesse seiner Mutter Mary Rodgers und der narrativen Komplexität eines Stephen Sondheim zu verorten. Durch Mateo Peñaloza Cecconis Leitung wird die musikalische Untermalung der Geschichte zu einem der großen Stärken dieser Inszenierung.

Das Ensemble agiert dezent im Hintergrund und füllt die eindrücklichen Bilder sinnig und stimmungsvoll auf. Klaus Brantzen gibt den verzweifelten und besorgten, von der Mutter entfremdeten Vater Roy Johnson trotz geringer Bühnenzeit nachdrücklich wie handlungsrelevant und erweist sich als dynamischer Gegenpart für Margaret. Der Gigolo-hafte Bruder der Naccarelli-Familie, Giuseppe, wird von Sebastian Schiller trotz lasterhaftem Lebensstils als sympathisch gezeichnet; gerade in den Italo-Drama-Szenen, die das humoristische Klischee bedienen, sorgt er für Lacher. Seine Ehefrau wird von Rebecca Davis mit Ambivalenz versehen: Sehnsüchtig nach Liebe ist sie zu „Die Freude, die du fühlst“ eine kurzweilige Confidante für Clara, eckt aber aufgrund ihrer eigenen Unzufriedenheit mit temperamentvollem Spiel nicht nur bei der Protagonistin, sondern auch beim Zuschauer an. Elpiniki Zervou stellt Mutter Naccarelli mit wissender Süffisanz dar, was zu gefallen weiß. Der Vater der Familie wird eindrücklich facettenreich von Patrick Imhof verkörpert. Nach seinem Duett „Let’s Walk“ schafft er mit einem unerwarteten Kuss auf Margarets Lippen einen eindringlichen Moment des Raunens. Lustig überspitzt wirken alle Naccarelli-FamiliendarstellerInnen im theatralischen „Aiutami“ zusammen – ein humoristischer Höhepunkt des Stücks, an dem neben Imhof vor allem Luc Steegers maßgeblich beteiligt ist. Er brilliert in der Rolle des Fabrizio: Leidenschaftlich, sanft, dringlich und in den richtigen Momenten verständnisvoll rückt er die Liebesbeziehung zu Clara in ein anrührendes Licht. Sein träumerisches „Il Mondo Era Vuoto“ und sein Endsolo „Liebe zu mir“ vor der Hochzeit bewegen. Bemerkenswert gut wird von ihm auch die sprachliche Barriere, die sich allmählich auflöst, und die nonverbale Kommunikation zu Clara dargestellt – eine besondere Herausforderung des Stücks, das seine AkteurInnen an vielen Stellen bilingual in Erscheinung treten lässt, was eine ungeahnte Authentizität mitbringt, die von den ProtagonistInnen hervorragend umgesetzt wird.

Steegers‘ Duette mit der Hauptdarstellerin Katherine Allen zu „Sag es irgendwie“ und „Passeggiata“ sind himmlisch romantisch und erinnern schauspielerisch an das goldene Hollywood-Zeitalter. Allen ist als Clara hervorragend besetzt: Sie schafft es, mittels Mimik und Körpersprache die Beeinträchtigungen ihrer Figur eindringlich, aber nie überspitzt oder überdramatisiert zum Ausdruck zu bringen. Trotz dessen, dass dies ihr erstes Engagement in Deutschland und auf Deutsch ist, spricht und singt Allen makellos und kann so die Zuschauer auf die Reise in Claras Leben mitnehmen. Profund und nuanciert im Schauspiel gewinnt sie in Windeseile alle Sympathien und verleiht in den unterschiedlichen Liedern von „Die Schönheit ist“ über „Hysterie“ bis zum wunderschönen „Das Licht auf der Piazza“ nicht nur gesanglich ihrer Figur eine ganze Farbpalette an Emotionen, die Clara greifbar machen und die Frage „Was ist schon normal und was nicht?“ aufkeimen lässt. Stimmgewaltig eröffnet sie zusammen mit Anke Sieloff zu „Statuen und Geschichten“ die Handlung, die im Folgenden von Sieloffs Margaret immer wieder introspektiv forterzählt wird. Sieloff ist eine wahre Charakterdarstellerin: Mit feiner Komik, authentisch gespielter Muttersorge, einer spürbaren inneren Zerrissenheit und einer übersprühenden Wärme zeichnet sie die Mutter von Clara, die auf der Reise auch einiges über ihr eigenes Lebenskonzept lernen muss. Ihren Charakterbogen spannt sie von „Tag der Teilung“ an bis zum endgültigen Freilassen ihrer Tochter zu „Fabel“ anrührend und menschlich.

Durch die starken HauptdarstellerInnen wird diese Inszenierung zu einem vollen Erfolg, der ein viel zu selten auf die Bühnen gebrachtes Thema auf humaner und respektvoller Ebene behandelt und dadurch besondere Relevanz verkörpert.

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
Musik und SongtexteAdam Guettel
BuchCraig Lucas
ÜbersetzungRoman Hinze
InszenierungCarsten Kirchmeier
BühneJulia Schnittger
KostümeHeide Mohr
Musikalische LeitungMateo Peñaloza Cecconi
Askan Geisler
ChoreinstudierungUlrich Zippelius
DramaturgieKatharina Rückl
LichtThomas Ratzinger
TonDirk Lansing
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
== Cast Gelsenkrichen ==
Margaret JohnsonAnke Sieloff
ClaraKatherine Allen
Fabrizio NaccarelliLuc Steegers
Giuseppe NaccarelliSebastian Schiller
Franca NaccarelliRebecca Davis
Signor NaccarelliPatrick Imhof
Signora NaccarelliElpiniki Zervou
Roy JohnsonKlaus Brantzen
PadreMaksim Andreenkov
ReiseleiterinBeatrice Boca
== Cast Wuppertal ==
Margaret JohnsonEdith Grossman
ClaraHarriet Jones
Fabrizio NaccarelliMerlin Wagner
Giuseppe NaccarelliAgostino Subacchi
Franca NaccarelliN. N.
Signor NaccarelliOliver Weidinger
Signora NaccarelliBanu Schult
Roy JohnsonN. N.
PadreN. N.
ReiseleiterinN. N.
OrchesterSinfonieorchester Wuppertal
  
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE
So, 07.12.2025 18:00MiR (Großes Haus), Gelsenkirchen
Fr, 19.12.2025 19:30MiR (Großes Haus), Gelsenkirchen
So, 04.01.2026 18:00MiR (Großes Haus), Gelsenkirchen
Do, 12.02.2026 19:30MiR (Großes Haus), Gelsenkirchen
Do, 12.02.2026 19:30MiR (Großes Haus), Gelsenkirchen
So, 15.02.2026 16:00MiR (Großes Haus), Gelsenkirchen
Sa, 07.03.2026 19:30Opernhaus, WuppertalStandort-Premiere
Sa, 14.03.2026 19:30Opernhaus, Wuppertal
So, 12.04.2026 19:30Opernhaus, Wuppertal
Sa, 09.05.2026 19:30Opernhaus, Wuppertal
▼ 3 weitere Termine einblenden (bis 18.07.2026) ▼
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE (HISTORY)
So, 02.11.2025 18:00MiR (Großes Haus), GelsenkirchenPremiere
Fr, 07.11.2025 19:30MiR (Großes Haus), Gelsenkirchen
Fr, 07.11.2025 19:30MiR (Großes Haus), Gelsenkirchen
▼ 1 weitere Termine einblenden (bis 23.11.2025) ▼
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