Ensemble © Ludwig Olah, Staatstheater Nürnberg
Ensemble © Ludwig Olah, Staatstheater Nürnberg

La Cage aux Folles (seit 06/2025)
Opernhaus, Nürnberg

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Als „La Cage aux Folles“ 1983 in Boston seine Tryouts feierte, war die Sorge der Produzenten groß: Wie würde ein Musical, in dem ein homosexuelles Paar im Mittelpunkt steht, beim amerikanischen Publikum ankommen – mitten in einer Zeit, in der die AIDS-Pandemie die gesellschaftliche Stimmung prägte? Dass das Stück dennoch ein Erfolg wurde, ist seiner Mischung aus Humor, Herz und Haltung zu verdanken. Und genau diese Qualitäten stellt Melissa King in ihrer Nürnberger Inszenierung eindrucksvoll ins Zentrum: Mit ihrer Doppelfunktion als Regisseurin und Choreographin gelingt ihr der Beweis, dass ein über 40 Jahre altes Musical alles andere als angestaubt sein muss – wenn man es mit klarem Blick in die heutige Zeit holt.

Kings Regie verzichtet auf radikale Eingriffe in die Struktur des Stücks – stattdessen verlegt sie die Handlung mit feinem Gespür ins Heute und lässt dabei die Originalhandlung intakt. Ihre Aktualisierungen sind klug dosiert und äußern sich eher in pointierten Details als in großflächigen Änderungen. So wird Zaza in einer der Showszenen im La Cage aux Folles zur Justizia, während ihre Chagelles plötzlich Masken von Putin, Le Pen, Trump und Höcke tragen. Auch die Eltern Dindon, deren Vater Vorsitzender einer Partei für „Tradition, Familie und Moral“ ist, erscheinen in Uniformen, deren Farb- und Formgebung unmissverständlich an eine aktuelle rechtspopulistische Bewegung erinnert. Regie und Choreographie greifen bei Melissa King dabei nahtlos ineinander: In Verbindung mit dem wandelbaren Bühnenbild sorgt ihre Handschrift dafür, dass die Show mit enormem Tempo erzählt wird – ohne lästige Umbaupausen, aber mit fließenden Übergängen und einem ständigen Rhythmus, der die Inszenierung lebendig hält.

Die Bühne der Staatsoper Nürnberg bietet enorme Tiefe und Höhe – ein Raum, den Kings Inszenierung mit der Ausstattung von Stephan Prattes wirkungsvoll zu nutzen weiß. Im Zentrum steht eine großflächige Wand im 60er-Jahre-Rautendesign, verziert mit Penissen, Vaginas und Regenbogenherzen, die sich über die gesamte Bühnenhöhe und -breite zieht. Sie dient nicht nur als visuelles Statement, sondern auch als zentrales Element der Raumbühne: Für große Szenen wird sie komplett zurückgefahren und gibt die gesamte Spielfläche frei; in intimeren Momenten – etwa in der Wohnung von Georges und Albin – verkleinert sie den Raum und schafft Nähe. Die Szenerien wechseln fließend: Möbel, Tische, Stühle oder eine monumentale Restauranttafel schweben von oben, von der Seite oder aus dem Bühnenboden ins Bild. Ob es dafür auch den überdimensionalen Penis-Sessel in der Wohnung gebraucht hätte, bleibt Geschmackssache – hier wäre weniger mehr gewesen. Auch bei den Kostümen zeigt Prattes Sinn für Humor und feine Details: Das Tapetenmuster findet sich in den Outfits von Georges und Albin wieder – ein augenzwinkernder Effekt. Die Chagelles tragen fantasievolle Kreationen, die geschlechtlich offen bleiben und jeder Figur eine individuelle Note verleihen. Zazas Showkostüme sind bunt, überladen, glamourös – und bewusst überzeichnet. Eindrucksvoll etwa im Song „La Cage aux Folles“ am Ende des ersten Aktes, wenn sich ihr monumentales Kleid als Chagelles-Ensemble entpuppt, das sich nach und nach selbstständig macht. Das Lichtdesign von Michael Grundner setzt wirkungsvolle Akzente. Besonders in den Showszenen sorgt er mit pastelligen Farbtönen für eine Atmosphäre, die sich stimmig in das Zusammenspiel von Bühne und Kostüm einfügt.

In der Rolle des Georges überzeugt Martin Berger, als Albin steht ihm Gaines Hall zur Seite – ein Duo, das vom ersten Moment an wie ein eingespieltes Paar wirkt. Ihre Darstellung ist von einer Natürlichkeit geprägt, die den Kern des Stücks trägt: Sie spielen ein ganz gewöhnliches Ehepaar – mit allen Reibungen, Routinen und einer tiefen Vertrautheit. Gerade darin liegt die Stärke ihrer Interpretation: Trotz der Exaltiertheit, die Halls Albin mitbringt, wirken beide in ihrer Zweisamkeit vollkommen authentisch. Berger und Hall meistern die Balance zwischen leisen, berührenden Momenten und komödiantischer Leichtigkeit mit großem Feingefühl – ohne ihre Figuren je der Lächerlichkeit preiszugeben, was bei diesen Rollen durchaus eine Gefahr sein kann. Besonders in „Ich bin, was ich bin“ setzt Gaines Hall einen starken Akzent: Seine Interpretation beginnt verletzlich und entwickelt sich zu einer kraftvollen, immer stolzer werdenden Botschaft – vom Publikum mit langanhaltendem Applaus honoriert. Eine stimmige Besetzung, die das emotionale Zentrum der Inszenierung glaubhaft und nuanciert füllt.

Ihnen zur Seite steht ein gut aufgelegtes Ensemble: Terry Alfaro gibt die dramatisch überdrehte Zofe – pardon, den Butler – Jacob mit viel Sinn für Timing und exzentrisches Spiel. Fabio Kopf überzeugt als Jean-Michel mit feiner Singstimme und glaubwürdiger Darstellung des zwischen den Welten stehenden Sohnes von Georges und Albin. Anna Hirzberger als Anne Dindon und Fabio Kopf bilden ein harmonisches Bühnenpaar. Annes Anlehnung an Wednesday Addams bleibt allerdings ebenso rätselhaft wie Jean-Michels comichafte Kostümierung, die eher an eine überdrehte Trickfigur erinnert als an eine realistische Figur. Kira Primke und Thorsten Tinney verkörpern Annes Eltern Marie und Edouard Dindon und sorgen mit ihrer bieder-moralinsauren Haltung für einige komödiantische Kontraste zur Welt des Cage. Besonders Hirzberger hat dabei ein gutes Gespür für trockenen Humor. Ein besonderes Highlight sind die Chagelles, die mit beeindruckender tänzerischer und akrobatischer Präzision überzeugen. Ihre Auftritte – etwa auf mehrere Trampoline während einer der Shownummern im Cage – beeindrucken durch Exaktheit, Tempo und scheinbare Mühelosigkeit. Jeder Schritt sitzt; jede Bewegung wirkt spielerisch leicht, ohne dabei an Ausdruckskraft zu verlieren.

Die Nürnberger Staatsphilharmonie spielt unter der Leitung von Jürgen Grimm in großer Besetzung und bringt die Melodien von Jerry Herman mit viel Schwung und Druck auf die Bühne. Der volle Klang passt hervorragend zum Tempo der Inszenierung und verleiht der Musik einen zusätzlichen modernen Touch, ohne dabei den Broadway-Charme der Vorlage zu verlieren. Unterstützt wird das musikalische Erlebnis durch eine sehr gut ausgesteuerte Tontechnik, die sowohl Orchester als auch Gesang differenziert und klar zur Geltung bringt.

In der letzten Szene kommt Georges nochmals auf die Bühne des „La Cage aux Folles“ und kündigt das große Finale an. In der Nürnberger Inszenierung wird dies dann zu einem eindrucksvollen Statement für Akzeptanz, Freiheit und die Selbstverständlichkeit vielfältiger Lebensentwürfe. Beim letzten Auftritt der Chagelles an diesem Abend verwandelt sich die Bühne in ein buntes Meer aus Regenbogenflaggen und Symbolen der queeren Community. Überall wehen Pride-Farben in ihren unterschiedlichen Ausprägungen – ein kraftvolles Bild, das deutlich macht, worum es an diesem Abend auch geht: Sichtbarkeit, Respekt und die Anerkennung menschlicher Vielfalt. Eine klare Botschaft des Staatstheaters in der Stadt der Menschenrechte Nürnberg.

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
Musikalische LeitungJürgen Grimm
Regie, ChoreografieMelissa King
BühneStephan Prattes
KostümeJudith Peter
LichtMichael Grunder
DramaturgieWiebke Hetmanek
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
GeorgesMartin Berger
AlbinGaines Hall
JacobTerry Alfaro
Jean-MichelFabio Kopf
Anne DindonAnna Hirzberger
Edouard DindonThorsten Tinney
Marie DindonKira Primke
JacquelineElisabeth Kuck
FrancisTobias Link
Hannah, CagelleAlan Byland
Phädra, CagelleAnneke Brunekreeft
Chantal, CagelleJohan Vandamme
Mercedes, CagelleRhys George
Jenny Thalia, CagelleAlessandro Ripamonti
Madame Ovary, CagelleEllie van Gele
Doris, CagelleJan Eike Majert
Violet von der Vulva, CagelleChristopher Bolam
M. RenaudMaximilian Vogt
Mme. RenaudXiao Liu
ColetteSchirin Hudajbergenova
EtienneJulian Acht
SwingChristopher Tim Schmidt
OrchesterStaatsphilharmonie Nürnberg
  
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TERMINE
Fr, 07.11.2025 19:30Opernhaus, Nürnberg
Fr, 21.11.2025 19:00Opernhaus, Nürnberg
Sa, 22.11.2025 19:00Opernhaus, Nürnberg
Mi, 26.11.2025 19:00Opernhaus, Nürnberg
So, 07.12.2025 18:00Opernhaus, Nürnberg
So, 14.12.2025 18:00Opernhaus, Nürnberg
Di, 16.12.2025 19:00Opernhaus, Nürnberg
Mi, 17.12.2025 19:00Opernhaus, Nürnberg
Sa, 27.12.2025 19:00Opernhaus, Nürnberg
Di, 30.12.2025 19:00Opernhaus, Nürnberg
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TERMINE (HISTORY)
Di, 17.06.2025 18:15Opernhaus, NürnbergÖffentliche Probe
Sa, 21.06.2025 19:30Opernhaus, NürnbergPremiere
Do, 26.06.2025 19:30Opernhaus, Nürnberg
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