Daniela Dett (Elisabeth I.), Alexandra-Yoana Alexandrova (Maria Stuart) © Barbara Pálffy
Daniela Dett (Elisabeth I.), Alexandra-Yoana Alexandrova (Maria Stuart) © Barbara Pálffy

Die Königinnen (2024)
Großer Saal Musiktheater, Linz

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Musicals über die berüchtigte Tudor-Dynastie und ihre auch heute noch aus verschiedensten Gründen sehr bekannten Königinnen sind aktuell wirklich en-vogue: Während „Six“ mit den Frauen Heinrich des Achten von gleich sechs Regentinnen dieser Zeit berichtet und „Lady Bess“ die Fehde zwischen Elisabeth I und Mary Tudor in den Vordergrund stellt, zeigt Thomas Zaufkes und Henry Masons Musicalthriller „Die Königinnen“  als Auftragswerk des Linzer Landestheaters den Aufstieg und Fall der schottischen Königin Maria Stuart im epischen Dauerzwist mit Königin Elisabeth von England. Ein gleichermaßen packendes wie düsteres Historienstück gespickt mit großen, klassischen Musical-Melodien und einprägsamen Bildern, das mit jeder Facette reinstes Drama ausstrahlt – ganz als wäre Friedrich Schillers Bühnenwerk „Maria Stuart“ in Linz als Musical wiedergeboren worden.

Das Stück beginnt mit der gealterten Königin Elisabeth I. von England, die widerwillig und mit sich ringend das Todesurteil für ihre eingekerkerte, kranke Nichte Maria Stuart unterzeichnet und bewegt sich von dort an als Rückblende chronologisch durch das Leben beider für den Königsthron auserkorenen Frauen. Dabei treten beide Königinnen auf einer Metaebene in Dialog, lassen die vergangenen Geschehnisse Revue passieren und bewerten sie frei heraus, während sie diese bei der Entfaltung beobachten oder kurzzeitig aus der Szene narratorisch heraustreten – was ihnen in den jeweiligen Situationen als Frauen ihrer Zeit in Wirklichkeit nicht möglich gewesen war. Dieses interessante Erzählelement trägt sich durch die Handlung, die von Marias aussichtsvoller Geburt über ihre Zeit als Königin am französischen Hof sowie der Regierungsperiode in Schottland und ihrer Rolle als Schachfigur zwischen den Religionen und Ländern bis zu ihrem jähen Tod nach langer Gefangenschaft auf dem Schafott erzählt. Auch Elisabeths Geschichte wird parallel dazu von dem beschwerlichen Weg zum englischen Thron über ihre innenpolitischen Herausforderungen bis hin zum Entscheidungsschlag gegen ihre Rivalin gezeichnet. Dabei werden beide Königinnen nicht nur als politische Figuren und Repräsentantinnen ihres jeweiligen Glaubens, Landes und internationalen Bündnisses präsentiert, sondern auch von ihrer menschlichen Seite beleuchtet: Beide Frauen durchlaufen über die im Stück umrissenen 40 Jahre zahlreiche Prägungen, Wandlungen, Niederschläge, Traumata und Triumphe sowie den körperlichen Verfall des Alterns. Auf ihren Eskapaden werden sie von schier unzähligen historischen Weggefährten – zumeist männlicher Natur – begleitet, manipuliert, gerettet und letztlich auch zerstört. Namen wie William Cecil, Heinrich VIII, Marie de Guise, Caterina de Medici, Henri II., David Rizzio oder James V. treten als Freunde und Feinde der Königinnen in Erscheinung und wirken am politischen Ränkespiel mit.

Henry Mason hat sich mit seinem Buch einer Mammutaufgabe verschrieben, ein mehrdimensionales Bild zweier Geschichtsikonen zu zeichnen und sie so facettenreich wie möglich in verschiedene Bedeutungskontexte ihrer Zeit einzubetten. Das Resultat ist ein langes, aber mitnichten langweiliges Musical, das sich sehen lassen kann und zu begeistern weiß. Das zuweilen übergroße Buch, das mit nahezu allen historisch relevanten Figuren der Biographien von Elisabeth und Maria Stuart gefüllt ist, gibt gegebenenfalls für weniger geschichtsinteressierte Zuschauer einige Längen preis – für Geschichtsenthusiasten und Tudor-Fans vergeht die Zeit durch Masons dramatisches Buch wie im Flug. Ein Ereignis reiht sich ans nächste, Protestanten und Katholiken werden abwechselnd unterdrückt und bestärkt, Intrigen und Anschläge reihen sich an Skandale und Zerwürfnisse, sodass die Handlung in ein hochspannendes Epos ausufert, das den Zuschauer – sofern er sich darauf einlässt und bei der Masse der Figuren und Geschehnisse am Ball bleibt – mit dem Gefühl zurücklässt, einen Historien-Blockbuster erlebt zu haben.

Thomas Zaufkes Melodien sind im besten Sinne denen von Sylvester Levay nicht unähnlich. Balladenhafte, klassische Musical-Songs mit vielen Belting-Passagen reihen sich an wuchtig-epochale Partituren und chorale Gruppenlieder, die allesamt einen Hang zur Dramatik nicht leugnen können – der Vergleich mit Levays Lady Bess ist da nicht nur in musikalischer Hinsicht gegeben. Alle Melodien gehen ins Ohr und transportieren die hochdramatische Geschichte spürbar. Ein herzzerreißender Song jagt den nächsten, sodass das Stück fast vor lauter Dramatik zu ersticken drohen würde, wenn das klug strukturierte Buch von Henry Mason nicht immer wieder für ruhige, den nächsten Spannungsmoment abfangende Intermezzi sorgen würde. Zaufke und Mason beweisen sich als hervorragendes Autorenteam, das ein auf vielen Ebenen noch deutlich eindrucksvolleres Werk als ihr Musical-Debut Der Hase mit den Bernsteinaugen darstellt. Der einzige Wehrmutstropfen: Die so episch erzählte Geschichte enthält in einigen Songs einige unpassend wirkende, neudeutsche oder denglische Begriffe, die in den ansonsten sehr ansehnlich und stimmig verfassten Songtexten recht disharmonisch zum sonstigen Stil der Geschichte wirken.

Das Bruckner Orchester Linz spielt Zaufkes Partitur überwältigend kraftvoll und mit allem dazugehörigen Bombast. Die Tonabmischung ist von Orchesterseite her optimal und auch die DarstellerInnen auf der Bühne sind in ihren Monologpassagen sowie Solosongs gut ausgesteuert  zu hören, verwischen aber in Duett- und Gruppennummern etwas, was der Textverständlichkeit entgegenspielt. Im Großen und Ganzen ist das Landestheater Linz allerdings mit hervorragender Sound- und Bühnentechnik ausgestattet und die Touchscreens an jedem Publikumssitz, über den man den Text des Stückes simultan komfortabel mitlesen kann, sind ein nettes Gimmick, das diesem Stück zuträglich ist.

Michael Grundners Lichtdesign ist geradezu perfekt und kreiert viele einprägsame, düstere und bedrückende Momente, die dem Schlüsselwort Drama vollen Tribut zollen. Stephan Prattes Bühnenbild besteht aus einer voll drehbaren Treppenformation in der Optik eines steinernen Kerkers, der in einzelne Elemente aufgebrochen werden kann, um Perspektiven und Schauplätze zu verändern. Durch das Bühnenbild und das Lichtdesign ist die Gesamtoptik des Stücks sehr düster und erinnert an zahlreiche Historienfilme und -serien zum Thema Mittelalter, was dem Stück optimal zu Gesicht steht. Conny Lüders liebevoll konzipierte Kostüme fügen sich einwandfrei in das Gesamtbild ein. Unter den zahlreichen Roben und Haartrachten für die beiden Protagonistinnen des Stückes befinden sich einige Stücke, die ohne weiteres auch von Helen Mirren in Elizabeth oder Saoirse Ronan in Queen of Scots hätten geträgen werden können: Opulent, farbenfroh, hochwertig, zeitgemäß und einfach wunderschön. Simon Eichenbergers Choreographie besticht durch vielseitige Abläufe, die sowohl seichte Gefühle als auch bleiern schwere Szenen gekonnt umsetzt. Unterhaltsame und rasante Choreographien mit zum Teil bisher so kaum gesehenen Abläufen wechseln sich mit Marschtänzen und Formationen ab, die an das Kunze-Levay-Musical Elisabeth oder an Tanz der Vampire erinnern und mitreißen.

Die Besetzung ist makellos: Angefangen bei Maria Stuarts vier Kammerzofen, gegeben von Gabriela Ryffel, Valerie Luksch, Livia Wrede und Lynsey Thurgar, die als Patroninnen der schottischen Königin jede ihrer Gemütslagen spiegeln und in Liedern wie Königin sein schauspielerisch wie stimmlich brillieren.

Gernot Romic als Marias Halbbruder Moray mit Max Niemeyer als dessen Handlanger Morton und Christian Fröhlich als Elisabeths Staatssekretär William Cecil geben die wahren Antagonisten des Stückes mit Hingabe zum patriarchischen Übermut und politischen Kalkül, das im mitreißenden Lied Monströses Regiment kulminiert. Lucius Wolter als Marias zweiter Mann Lord Darnley versteht es, mit intensivem und energetischem Schauspiel die opportunistische und selbstgefällige Figur nicht zuletzt im Song König Darnley zu einer Plage für beide Seiten des englischen Throns zu machen. Alle genannten Herren vermögen es durch ihr darstellerisches Können als eine Art männlicher Gegenpol zu den beiden Hauptakteurinnen des Abends eine antagonistisch gezeichnete Einheit zu bilden, die den Königinnen das Leben in vielerlei Hinsicht erschweren.

Lukas Sandmann gibt als Dauphin Francois, Marias erstem Mann, und ihrem späteren Sekretär David Rizzio zunächst einen Funken jugendlicher Leichtigkeit und später eine ordentliche Portion frivole Unbeschwertheit in die dunkle Erzählung hinein und geht dabei so behutsam vor, dass die Farbtupfer, die er mit seinen Figuren in die Geschichte setzt, eine Bereicherung statt ein Stilbruch werden. Sanne Mieloo brilliert darstellerisch wie stimmlich als Marie de Guise in Stell dir vor und Im Spinnennetz und schauspielerisch als Elisabeths oberste Hofdame Kat Astley. Auch Leonie Cydlik als junge Maria Stuart glänzt mit für ihr Alter ungewöhnlich authentischem Schauspiel am Anfang des Stücks. Das gesamte Ensemble spielt die vielen unterschiedlichen Rollen überzeugend und singt virtuos mit allerhöchster Qualität.

Das Rampenlicht gebührt Alexandra-Yoana Alexandrova als Maria Stuart und Daniela Dett als Elisabeth I. Beide Darstellerinnen geben ihre Charakterrollen nuanciert und facettenreich. Ihnen gelingt es, die Wandlung der beiden Frauen von Prinzessinnen voller jugendlichem, an Überheblichkeit grenzenden Leichtsinn und energetischem Tatendrang zu mit allen Wassern gewaschenen Königinnen mit leidgeprüften, mitfühlenden wie willensstarken Handlungsmotiven zu vollziehen. Die unterschiedlichen Spannungsverhältnisse stellen Alexandrova und Dett bemerkenswert differenziert dar –  sei es zwischen ihnen als Verwandte, als Konkurentinnen um den Thron und als Wetteifernde um einen Thronfolger, als Symbole ihrer Nationen und Religionen, als Getriebene der patriarchalen Welt, als Schachfiguren und Ränkeschmiede und als Frauen ihrer Zeit. Dass sie dabei in der übergeordneten Erzählebene fließend zwischen pragmatischen Kommentatorinnen und wahrhaft leidenden, die Geschichte am eigenen Leib erlebenden Regentinnen wechseln und sich in die zahllosen Wechsel der Emotionen überzeugend einfinden, zeigt ihr meisterhaftes Schauspielhandwerk. Auch gesanglich überzeugen beide Damen auf ganzer Linie: Alexandrova glänzt mit überwältigender Stimmkraft unter anderem in den anspruchsvollen Balladen Im Spinnennetz und ihrem Todeslied Ihr seid nicht meine Richter. Detts große musikalische Momente zeigen sich in den Songs Dein Sohn und Auf dem Parkett der Politik. Besonders beeindruckend sind die Duette beider Darstellerinnen, in denen sich ihre kraftvolle und doch konträre Schauspielweise mit ihren gänzlich unterschiedlichen Gesangstimbres zum Höhepunkt der Dramatik des Stücks mausern. Darunter sind im ersten Akt das ohrwurmträchtige Letzter Auftritt Maria Stuart und das einfühlsame Liebe Cousine herausstechend, wobei der Opener des zweiten Aktes Loreley, das opulent tönende Loch Leven und das Finale Wie Königin geht den ersten Akt sogar noch übertrumpfen.

Mit Die Königinnen ist hier eine Uraufführung auf die Bühne gekommen, deren epische Ausmaße es hoffentlich noch auf weitere Bühnen tragen werden. Unbedingtes Muss für alle Historien-Musical-Fans und Liebhaber düsterer-dramatischer Geschichten sowie komplexer Frauenfiguren. Ein weiterer Lichtblick zum Schluss: Ab dem 27. April soll Die Königinnen als CD erscheinen!

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
MusikThomas Zaufke
Buch und GesangstexteHenry Mason
OrchestrierungMarkus Syperek
Musikalische LeitungTom Bitterlich
Inszenierung und ChoreografieSimon Eichenberger
BühneStephan Prattes
KostümeConny Lüders
LichtdesignMichael Grundner
DramaturgieArne Beeker
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
Maria StuartAlexandra-Yoana Alexandrova
Elisabeth I.Daniela Dett
Marie de Guise / Kat Astley / EnsembleSanne Mieloo
Caterina de Medici / EnsembleAriane Swoboda
Marie 1 / Marie Fleming / EnsembleGabriela Ryffel
Marie 2 / Marie Beaton / EnsembleValerie Luksch
Marie 3 / Marie Livingston / EnsembleLivia Wrede
Marie 4 / Marie Seton / EnsembleLynsey Thurgar
William Cecil / EnsembleChristian Fröhlich
James V. / Erzbischof von Canterbury / Morton / Papst Pius V. / EnsembleMax Niemeyer
Henri II. / Earl of Moray / EnsembleGernot Romic
Dauphin / Rizzio / James VI. / EnsembleLukas Sandmann
Darnley / EnsembleLucius Wolter
Heinrich VIII. / Earl of Bothwell / EnsembleKarsten Kenzel
Leicester / Babington / EnsembleJoel Parnis
Kapitän / EnsembleMaximilian Klakow
Walsingham / EnsembleEnrico Treuse
EnsembleMatteo Vigna
Gifford / EnsembleKevin Arand
EnsembleStefan Gregor Schmitz
Ulrike Figgener
Tina Schöltzke
  
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE
keine aktuellen Termine
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE (HISTORY)
Fr, 09.02.2024 19:30Großer Saal Musiktheater, LinzPreview
Sa, 10.02.2024 19:30Großer Saal Musiktheater, LinzPremiere
Do, 15.02.2024 19:30Großer Saal Musiktheater, Linz
▼ 11 weitere Termine einblenden (bis 23.06.2024) ▼
Zur Zeit steht die Funktion 'Leserbewertung' noch nicht (wieder) zur Verfügung. Wir arbeiten daran, dass das bald wieder möglich wird.
Overlay