© Udo Krause
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Hanf. Ein berauschender Abend (seit 03/2024)
ubs / Kleiner Saal, Schwedt (Oder)

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Ein kleines uckermärkisches Dörfchen als legales Kiffer-Paradies? Im neuen Musical “Hanf” scheint das möglich. Ein gutes Darsteller-Quintett, abwechslungsreiche Musik und freche Liedtexte überzeugen allerdings mehr als die klischeehaften Typen in Buch und Inszenierung.

Ein putziger Dinosaurier in grellen Farben trifft die verführerische Hanfpflanze Mary Jane, die ihm einen Joint reicht. Gleich zu Beginn von “Hanf” wähnt sich das Publikum halluzinierender, durch das Rauchen von Cannabis verursachter Bilder. Inszeniert mit dem Mitteln des Schwarzen Theaters, bei denen fluoreszierende Elemente in einem dunklen Raum durch Schwarzlicht sichtbar werden, wird den Zuschauern – wie im Untertitel des Stücks versprochen – optisch dieser rauschähnliche Zustand perfekt suggeriert.

Auch wenn das Stück voller Anspielungen auf die Kiffer-Szene steckt – sie bezeichnet zum Beispiel Marihuana/Gras/Hanf als Mary Jane – huldigt Tom van Hassels Musical allerdings weder dem ungehemmten, freien Konsum, noch übt es Kritik anlässlich des fundamentalen Wechsels in der deutschen Drogenpolitik, der Erwachsenen ab 1. April 2024 einen kontrollierten Umgang mit Cannabis erlaubt.

Über die Bühne der Uckermärkischen Bühnen Schwedt geht vielmehr eine in der Region im Nordosten Brandenburgs spielende Musical-Komödie. Im Zentrum der Handlung steht Chris Paffke, der im Haus seiner Großmutter wohnt und sein Leben mit ihrer Rente finanziert, sich im Gegenzug aber auch rührend um die alte Dame kümmert. Im Dorf Klein Fumo gilt er dennoch als kiffender, klein-krimineller Looser. Grund genug für seine Jugendliebe Sabine, sich nach 4 Jahren und 355 Tagen aus der Beziehung mit Chris zu verabschieden, um sich in weißer Weste ihrem Jura-Studium zu widmen.

Oma Paffke rät ihrem Enkel, mehr aus seinem Leben zu machen, um Sabine davon zu überzeugen, dass er der richtige Mann an ihrer Seite ist. Bei einem letzten Joint hält Chris Zwiesprache mit Mary Jane, die ihm die Erkenntnis bringen soll, was in Zukunft seine berufliche Berufung ist. Da die Uckermark in der Vergangenheit ein wichtiges Anbaugebiet für Tabakpflanzen war, beschließt Chris, den Garten hinter dem Haus mit Hanf zu bestellen und in Klein Fumo ganz nach Tante Emma-Vorbild einen “Onkel Chris-Laden” zu eröffnen. Hier bietet er Waren auf Basis der Kulturpflanze zum Verkauf an. Per Zufall entwickelt sich unter der Dorfbevölkerung eine mit dem rauschbewirkenden psychoaktiven Cannabinoid THC versetzte Milch zum Umsatz-Bringer. So wird Chris im Netz als “Hanfmilch-Mann” zu einer viralen Berühmtheit und das Getränk nach seinem Geheimrezept lässt die Kasse klingeln.

Weder Autor Tom van Hasselt noch Regisseur André Nicke gelingt es, der vorhersehbaren Handlung dieser vom Tellerwäscher-zum-Hanfunternehmer-Liebesgeschichte im Cannabis-Rausch inhaltliche Substanz zu verleihen. Da können sich die fünf guten Darsteller noch so abrackern. Die ganz auf unterhaltsame Komödie zugeschnittene Inszenierung schrammt mit ihren klischeebehafteten Figuren und Mitmach-Aktionen des Publikums scharf an der Klamauk-Grenze entlang. Schließlich lösen sich all ihre Konflikte plötzlich in Wohlgefallen auf. So schmeißt nicht nur die illegal in Deutschland rackernde, polnische Putzkraft Justina ihre erniedrigenden Mehrfach-Jobs hin, sondern auch Jura-Mäuschen Sabine entledigt sich ihres braven Faltenrock-Looks und den strengen Konventionen ihrer Eltern. Auch der sich für unwiderstehlich haltende, fiese Immobilienmakler Jesko ist geläutert und stoppt den illegal eingefädelten Verkauf des “Hanf-Hauses”.  

Im Finale paffen die Klein Fumoer mit den Paffkes friedlich Joints und gründen einen Hanf-Club, die einzige vom Gesetzgeber genehmigten legalen Bezugsquelle. Damit kehrt auch die heitere Bühnen-Musical-Uckermark in die Realität zurück.

Auf der Haben-Seite des Hanf-Musicals stehen auf jeden Fall die Kompositionen und Liedtexte von Tom van Hasselt. Unter seiner musikalischen Leitung am Piano erklingt die für Bass und Schlagwerk arrangierte, abwechslungsreiche Partitur voll spitzzüngiger Worte. So sind zum Beispiel Songs wie “Ein bisschen illegal sind wir alle mal”, “Hanf kann’s” und das rock’n’rollige “Hanfmilch-Mann” grandiose Show-Stopper mit Hit-Potenzial. Viel Gefühl steuert der Komponist in der zu Herzen gehenden Enkel-Oma-Ballade “Vergiss nicht” oder dem sentimental angehauchten Song “Wie die Zeit vergeht” bei.

Ausstatterin Anke Fischer hat nicht nur die bereits erwähnten, fluoreszierenden Kostüme für den Dinosaurier und die Hanfpflanze entworfen, sondern kleidet die Uckermark-Charaktere ganz heutig ein. Fischers grasgrüne, mit flackernden Birnchen umrahmte Bühne wird im Hintergrund von drei drehbaren Elementen dominiert, die wahlweise den Blick auf eine Dorfstraße, eine Bretteroptik oder eine Hanfplantage freigeben. Damit schafft sie auch viel Raum für Sven Niemeyers schwungvolle Choreografien, die fast jeden der Songs illustrieren.

Seit vielen Jahren sind an den Uckermärkischen Bühnen auch Darsteller mit Musicalausbildung engagiert, sodass in musikalischen Produktionen auf Gäste weitgehend verzichtet werden und Spiel, Gesang und Tanz auf sehr hohem Niveau gezeigt werden kann. So ist es auch wieder bei “Hanf”, bei denen alle Darsteller in mehreren Rollen auftreten und in Soli wie im Ensemble-Gesang gefordert sind. Katarzyna Klucna glänzt unter anderem als auf Recht und Ordnung fixierter Dorfpolizist Meister Kapczinsky, Jesko Oelsch gibt einen schmierigen, von sich selbst überzeugten Immobilienhai und Ines Venus Heinrich ist unter anderem eine schrullige Seniorin, die bereits seit den 1960er-Jahren als Brandenburgische Hanf-Pionierin kifft.

Antonia Schwingel zeigt als Sabine glaubhaft den Wandel vom spießigen Mäuschen zur selbstbewussten jungen Frau. Als Einspringer hat in allen angesetzten Vorstellungen David Alonso die Rolle des Chris von dem ursprünglich vorgesehenen, leider längerfristig erkrankten Musical-Kollegen Michael Kuczynski übernommen. Dies erweist sich nicht nur für die Produktion als wahrer Glücksgriff. Alonso verfügt zwar hörbar nicht über eine vollständig ausgebildete Gesangsstimme, macht das aber souverän mit seinem pointierten, lockeren Spiel und zackigen Tanzbewegungen wett.

Wie aktuell Musical sein kann, zeigt die Uraufführung von “Hanf” wenige Wochen vor der geplanten Teillegalisierung von Cannabis. Wenn das Stück allerdings auf anderen Bühnen nachgespielt werden soll, bedarf es einer Überarbeitung des Buches mit einer anderen, nicht auf die Uckermark fixierte Lokalisierung der Handlung. Dann kann der Auftritt von Mary Jane und dem Dinosaurier auch Publikum in Bayern, Sachsen oder Schleswig-Holstein halluzinieren.

 
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KREATIVTEAM
InszenierungAndré Nicke
Musikalische LeitungTom van Hasselt
AusstattungAnke Fischer
ChoreografieSven Niemeyer
 
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CAST (AKTUELL)
Chris Paffke / DinosaurierDavid Alonso
Sabine / Mary JaneAntonia Schwingel
Jesko / Bauer Pfeiffer / Pflanze 1 / Mr. DupontJanik Oelsch
Meister Klein / Justina / K. Obermeier / Pflanze 2 / Harry AnslingerKatarzyna Kluczna
Oma Paffke / Frau Schmidt / Pflanze 3 / Mr. HearstInes Venus Heinrich
Stimme Erzähler / NachrichtensprecherChristian Hirseland
BandTom van Hasselt
Tobias Fuchs
Roland Fidezius
  
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TERMINE
Sa, 11.05.2024 19:30ubs / Kleiner Saal, Schwedt (Oder)
So, 12.05.2024 15:00ubs / Kleiner Saal, Schwedt (Oder)
So, 19.05.2024 15:00ubs / Kleiner Saal, Schwedt (Oder)
Sa, 25.05.2024 19:00Hof-Theater, Bad Freienwalde (Oder)
Fr, 21.06.2024 19:00Kulturfabrik, Fürstenwalde (Spree)
 
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TERMINE (HISTORY)
Fr, 08.03.2024 19:30ubs / Kleiner Saal, Schwedt (Oder)Premiere
Sa, 09.03.2024 19:30ubs / Kleiner Saal, Schwedt (Oder)
So, 24.03.2024 15:00ubs / Kleiner Saal, Schwedt (Oder)
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