Mit „Fack ju Göhte“ wagt sich Stage Entertainment auf neues Terrain. Das filmbasierte Hip-Hop-Rap-Pop-Musical in einer alten Speicherhalle, die zum Theater umgebaut wurde, soll eine neue junge Zuschauergruppe ansprechen. Die Rechnung geht auf: Der Erfolgsfilm funktioniert auch als Musical auf der Bühne.
Das Gesamtkonzept von „Fack ju“ beginnt schon beim Betreten des Münchener Werksviertels unweit des Ostbahnhofs. Ein Mix aus Containern und alten Speicherhallen schafft eine Hinterhof-Szenerie, die auf das Stück einstimmt. Das von der Stage neu erworbene Werk7 Theater ist ein ehemaliger Kartoffelspeicher des Pfanni-Konzerns, der für fünf Millionen Euro komplett entkernt und zum Theater umgebaut wurde. Dabei ging der Industrial-Charme nicht verloren. Im Gegenteil: Es entstand eine riesige Halle, bei der Foyer, Bühne und Backstage-Bereich eine große Einheit bilden, um den Fabrik-Style zu erhalten. So stehen dann auch durchaus einmal Requisiten der Show im Zuschauer-Foyer oder die Darsteller laufen auf dem Weg zu ihren Garderoben durch die Menge, was ein sympathisches Gefühl von Verbundenheit und Intimität vermittelt. Selbst die Tatsache, dass die Toiletten nur über den Außenbereich erreicht werden können, passt ins Konzept – alles hat eben den Charme einer runtergekommenen Brennpunkt-Schule und zwar im positiven Sinne. Und wenn dann noch in regelmäßigen Abständen ein Schulgong ertönt und Direktorin Gerster verkündet, dass ein „Dildo im Mädchenklo gefunden wurde“ oder die „große Pause nun langsam zu Ende sei“, dann kann man schon ohne den Theatersaal betreten zu haben, der Stage zur Wahl der neuen Location und zum ausgeklügelten Gesamtkonzept der Show gratulieren.
Die Bühne an sich ist eine Art halbrundes Amphitheater, das einer Sporthalle nachempfunden wurde und mit Plastikstühlen und Basketballkorb an die eigene Schulzeit erinnern lässt. Auch hier wird Authentizität großgeschrieben. Dabei haben die Kreativen den geschickten Spagat zwischen den schwierigen Begebenheiten der Halle und den Anforderungen an die Show clever bewältigt, denn das Werk7 Theater bietet keinerlei Schnürboden und einen ungemein kleinen Backstage-Bereich ohne Seitenbühnen, so dass alles entsprechend einfach, aber stückspezifisch kongenial gelöst wird. Der größte Teil der Requisiten wird beispielsweise auf Mattenwagen, die man wohl oder übel noch aus dem Sportunterricht kennt, hereingefahren – sei es Frau Gersters Büro oder Lisis Bett. Dies ist zwar einfach, schafft aber Atmosphäre. Mit kleinen Gimmicks wie Leuchtstreifen im Boden oder einer zweiten Ebene entstehen so die aus dem Film bekannten Szenen. Hier gefallen kleine Dinge, wie beispielsweise ein stapelbarer Sprungkasten, der als unterirdischer Tunnel fungiert. Clever gelöst.
Selbst die Schwimmbadszene fehlt nicht, hier hervorragend aufgezogen (Bühnenbild: Andrew Edwards) mit dicken blauen Matten und Trampolinen, mit denen die Darsteller Sprünge ins Wasser simulieren. Diese Szene und der Song „Spring’ ins kalte Wasser“ bilden gleichzeitig eines der choreografischen und darstellerischen Highlights des energiegeladenen Casts. Die jungen Darsteller haben allesamt eine professionelle Musicalausbildung hinter sich und bereits Erfahrungen durch andere Engagements vorzuweisen. Brillant meistern sie die schwierige Aufgabe, die Stereotypen aus dem Film nicht platt zu kopieren, sondern ein Stück weit für sich selbst weiterzuentwickeln. Allen voran gelingt es Max Hemmersdorfer, seinem Zeki Müller einen eigenen Stempel aufzusetzen. Seine Rolle ist wahnsinnig körperlich, er ist beinahe ständig auf der Bühne und meistert seine Comedyszenen perfekt. Herrlich beispielsweise, wenn er vom Süßigkeitenautomaten mit der Paintball Gun auf seine Schüler ballert! Gerade am Schluss, wenn Herr Müller nicht mehr nur Hau-drauf-Lehrer ist, sondern Herz im Umgang mit den Schülern und Lisi beweist, ist man beinahe ein wenig gerührt von seiner und Johanna Spantzels Darstellung. Auch Spantzel kann als Referendarin Lisi Schnabelstedt mit Comedytalent punkten. Gleiches gilt für Elisabeth Ebner als Direktorin Gerster, die dem Publikum bereits durch die Toneinspieler bekannt ist und permanent mit einem umgehängten Klebestift zum Schnüffeln durch „ihre“ Schule läuft.
Rebekka Corcodel als Chantal und Lukas Sandmann als Danger sind auch auf der Bühne Publikumslieblinge, verkörpern ihre Alter Egos aus dem Film würdig und ernten dafür jede Menge Szenenapplaus. Besonders in der „Romeo und Julia“-Szene gegen Ende dürfen die beiden zeigen, was sie können, und nutzen dies auch gnadenlos aus. Überhaupt merkt man dem gesamten Cast an, dass sie jede Menge Freude an der Sache haben. Dieser Funke springt 1:1 ins Publikum über.
Spannend bei Musicals, die auf Filmvorlagen basieren, ist natürlich immer, wie die Szenen mit Musik bzw. Choreografie gefüllt werden. Nico Rebscher und Simon Triebel sind eher bekannt aus dem Popmusik-Bereich. Rebscher ist Gründer und Frontmann der Band „Lauter Leben“ und Triebel Gitarrist der Band „Juli“. Die beiden haben einen Score erarbeitet, der als Mischung aus Hip-Hop, Rap und Pop-Balladen bezeichnet werden kann. Die musikalische Varianz ist groß: Es gibt auch einen Ausflug nach Bollywood (ausgelebt in einer urkomischen Szene, in der Lisi, mit einem Schlafmittelpfeil abgeschossen, halluziniert) sowie eine sehr einprägsame Ballade gegen Ende. Überhaupt haben viele Songs einen hohen Wiedererkennungseffekt und man ertappt sich beim Verlassen des Theaters dabei, dass man beispielsweise den Schwimmbad-Song „Spring’ ins kalte Wasser“ oder das fetzig-flotte „Nein. Doch“ vor sich her summt. Die Texte von Kevin Schroeder sind mit viel Wortwitz versehen und immer passend zur Vorlage. Dass es dabei auch mal derbe zur Sache geht und das ein oder andere unter die Gürtellinie trifft, ist klar und passt zum Stück.
Der Schwede Fredrik Rydman hat eine aktive Choreografie ausgearbeitet, der es gelingt, die erwähnten Trampoline, Yogamatten und sonstige Hilfsmittel mit einzubeziehen. Er nimmt dabei viele Anleihen beim tatsächlichen Pausenhofgehabe heutiger Jugendlicher, wie dem aus sozialen Medien bekannten „Dab“. Das ist nicht nur innovativ, sondern unterhält auch prächtig.
Regisseur Christoph Drewitz hält sich größtenteils an die Filmvorlage und fügt lediglich einige bühnentaugliche neue Szenen wie die erwähnte Bollywood-Traumsequenz ein. Auch der etwas stärker ausgearbeitete Schluss bietet mehr Potential für die Figurenentwicklung und liefert ein schlüssiges Ende. Außerdem wertet Drewitz einige Figuren auf. So bekommt Lisis Schwester Laura (Sandra Leitner) mehr Raum, ihre Rolle zu entwickeln, und ein zusätzlicher Klassenstreber (Robin Cadet) sorgt für Amüsement.
Auch die so wichtigen Zitate des Films („Chantal, heul’ leise!“) finden sich im Musical wieder und werden teilweise in neuen Zusammenhängen präsentiert. Dabei gefällt besonders der intensive Publikumskontakt der Darsteller. Immer wieder streifen die Schauspieler durch die Reihen und interagieren mit den Zuschauern.
Die fünf Musiker um den musikalischen Leiter Philipp Gras sind im oberen Bereich der Bühne untergebracht, der auch immer wieder für Auf- und Abgänge genutzt wird. Die Musik ist stilbedingt sehr Synthesizer-lastig und kommt völlig mit einer kleinen Band aus. Die Aussteuerung funktioniert bestens und sorgt für einen ausgewogenen Klang in der kleinen Halle.
Wie so häufig bei Wagnissen, wird das Stück vermutlich den ein oder anderen Kritiker hervorrufen. Vielleicht ist die Story zu flach, die Musik zu wenig Musical-geeignet oder das Stück mit zu vielen Stereotypen gespickt. Vielleicht gefallen die Plastikstühle im Auditorium auch nicht jedem. Aber gerade dieses „gewollt Unperfekte“ trägt dazu bei, dass diese Inszenierung so neu, spannend und sehenswert ist und man möchte sagen: Glückwunsch, Stage Entertainment! Gut, dass ihr dieses Wagnis eingegangen seid. Endlich mal was Neues!
Diesem jungen Team sei es gegönnt, dass der Spruch aus ihren sozialen Netzwerken auch richtungsweisend für sie selbst und diese Produktion ist: „Ich schwöre, du bist voll Mjusicäl-Star!“
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