Klaus Seiffert studierte in München Theaterwissenschaft, bevor er im Musicalstudio Theater an der Wien zum Sänger, Tänzer und Schauspieler ausgebildet wurde. Für eine Fortbildung ging er nach New York. Im Laufe seiner Karriere spielte Klaus Seiffert in über 35 Theaterproduktionen mit, zuletzt als Erstbesetzung vom Krankenhausgeist in der deutschen Erstaufführung von „Ghost“ am Theater des Westens in Berlin. Am Apollo Theater Stuttgart war Klaus Seiffert für „42nd Street“ 2003/004 als künstlerischer Leiter verantwortlich. Als Co- Regisseur von Helmut Baumann arbeitete er an „Swinging Berlin“ und „Victor/Victoria“ in Bremen. Zu seinen eigenen Erfolgen als Regisseur zählen rund 40 Musicals, Operetten, Komödien und Revuen, unter anderem in Hamburg, Cottbus, Stuttgart und Schwerin. Die von ihm und Matthias Binner geschriebene musikalische Krimikomödie „Der Raub der Mona Lisa“ wurde 2015 in Berlin uraufgeführt.
Klaus, deine jüngste Regiearbeit – „Evita“ am Nordharzer Städtebundtheater – stand coronabedingt zunächst unter keinem guten Stern. Ihr wart fertig geprobt und startklar, doch dann musste die für den 30. April 2021 geplante Premiere auf unbestimmt verschoben werden. Wie fühlt es sich jetzt für dich und alle weiteren Beteiligten an, wenn sich morgen Abend in Halberstadt endlich zum ersten Mal der Vorhang heben darf?
Wir alle sind erleichtert und erfreut, insbesondere weil das Ensemble eine sehr lange Zeit nicht mehr vor Publikum auf der Bühne spielen durfte. Ungewöhnlich ist jedoch, dass zwischen Generalprobe und Premiere fast sechs Wochen liegen und es jetzt nur noch eine Durchlaufprobe gibt.
Als Regisseur kann ich der Pandemie kurioserweise sogar etwas Positives abgewinnen: Wegen des langen Vorstellungsverbots war das ganze Ensemble sechs Wochen lang ausschließlich auf die EVITA-Proben konzentriert. Da fast alle während dieser Zeit auch auf der Bühne Masken getragen haben, konnte ich jedoch fast sechs Wochen lang keine Gesichter sehen.
Etwas kniffelig beim Inszenieren war, dass aufgrund der behördlichen Vorgaben immer nur 12 Personen gleichzeitig und mit Abstand auf der Bühne erlaubt sind. In Summe sind mit Solisten, Chor und Ballett jedoch 31 Personen beteiligt. Gemeinsam mit meinem Choreografen Mario Mariano habe ich deshalb sehr schnelle personelle Wechsel entwickelt. Bei der bekannten Balkonszene, in der vier Personen (Evita, Perón, ein Minister und ein Offizier) oben an der Brüstung stehen, blieben nur noch acht Menschen in 1,50 Meter Abständen als jubelnde Masse übrig. Wir haben dafür eine gute Lösung entwickelt, wobei uns zugutekommt, dass durch die Anschaffung zusätzlicher Mikroport-Sender die übrigen Sänger*innen aus dem Off mitsingen. Ich bin mir sicher, dass wir trotz widriger Umstände etwas Schönes auf die Bühne bringen.
„Evita“ wurde am Nordharzer Städtebundtheater zuletzt 2014 gezeigt. Wie gehst du bei einem Stück an die Arbeit, das sich landauf landab längst im Repertoire etabliert hat? Gibt es neue Sichtweisen oder Besonderheiten bei deiner ersten Evita-Inszenierung?
Tatsächlich hatte ich noch nie die Gelegenheit, „Evita“ zu inszenieren. Der Score gehört für mich zu Andrew Lloyd Webbers stärksten. Egal um welches Stück es sich handelt, gehe ich ganz simpel vor: Ich lese das Buch und frage mich: Worum geht es hauptsächlich? Bei „Evita“ ist das für mich in erster Linie die Rolle der Frau in einer männlich dominierten, südamerikanischen Gesellschaft der 1940er Jahre. Auch wenn sie eine zwiespältige Persönlichkeit ist, ist Eva die erste Frau, die unter diesen Bedingungen in der Politik Macht erreicht und sich sehr für Frauenrechte einsetzt. Unter anderem durch ihr Engagement erhielten Frauen in Argentinien erstmals das aktive und passive Wahlrecht. Schon deshalb gibt es diesen Widerspruch zwischen Heiligen-Verehrung durch das einfache Volk und ablehnenden Hass von Adel und Militär.
Ich maße mir nicht an, nach so vielen Interpretationen diesem Stück noch etwas völlig Neues abzugewinnen. Man muss es auch nicht durch den Fleischwolf drehen, um es interessant und aktuell zu gestalten, denn das ist es ohnehin. Ich sehe „Evita“ auch vor dem Hintergrund der in Deutschland anstehenden Wahlen als Stück über die Glaubwürdigkeit von Politikern und deren durch Eitelkeit getriebenen Ehrgeiz. Die verbreitete Theorie „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau“ trifft sicher auch auf die Peróns zu. Deshalb hat zum Beispiel Eva bei uns in einem abstrahierten, nicht historisierenden Kostümbild auch ‚mal eine Hose an. Die Zeitlosigkeit des Stoffes unterstreichen wir zusätzlich durch ein abstraktes Bühnenbild mit verschiebbaren Podesten.
Auch für diejenigen, die das Stück bereits in anderen Inszenierungen gesehen haben, lohnt sich der Besuch unserer Produktion, die ab Oktober 2021 wiederaufgenommen wird, nicht zuletzt durch die starke Besetzung.
Du bist Gründungsmitglied der Deutschen Musical Akademie und engagierst dich für die Anerkennung der Sparte Musical in Deutschland und für die Entwicklung eigener Stoffe. Wie beurteilst du aktuell die Situation von Musicals in Deutschland? Welche Perspektiven gibt es?
Sowohl der Rück- als auch der Ausblick fallen getrübt aus. Das Genre hat es immer noch sehr schwer und stößt in den Führungsetagen vieler Stadt- und Staatstheater auf eine Mauer des Unverständnisses. Zwar möchte auch deren Publikum professionell gemachte Musicals sehen, doch vielfach stehen diese nicht gleichberechtigt neben den Sparten Oper und Schauspiel. Es ist sehr traurig, dass die im Jahr 2007 in Hildesheim gegründete TfN-MusicalCompany immer noch die einzige Musical-Company mit einem festen Ensemble an einem kommunal finanzierten Theater in Deutschland ist.
Uns als Deutsche Musical Akademie ist es wichtig, dass mehr Musicaldarsteller fest in die Ensembles von Stadt- und Staatstheater engagiert werden. Sie sind bestens, weil dreifach ausgebildet: Die meisten Absolventen der staatlichen Musicalschulen in Deutschland sind gut im Schauspiel, können tanzen und sind gesanglich versiert. Die Fähigkeiten sind ganz klar da. Dennoch wird auf Musicaldarsteller oft geringschätzend herabgeschaut. Ich wünsche mir da mehr Anerkennung und Zusammenarbeit. Wir als Deutsche Musical Akademie wollen das weiterbringen und sind deshalb vor kurzem Mitglied im Deutschen Bühnenverein geworden.
Dabei muss diese Zusammenarbeit keine Einbahnstraße sein. Die etablierte deutsche Stadt-und Staatstheaterlandschaft kann sogar von einem kommerziellen Anbieter wie der Stage Entertainment lernen und ihre Qualität steigern. Als Beispiel nenne ich das Angebot der Stage an ihre nicht-deutschsprachigen Darsteller, einmal pro Woche bei einem professionellen Coach ihre Phonetik zu trainieren. Wenn ich in einem Opernhaus in der Vorstellung sitze, kommt es schon vor, dass ich nicht verstehen kann, welche Sprache der Chor gerade singt. Ein Phonetikkurs könnte wahre Wunder bewirken.
Wenn ich auf das Musical-Repertoire in Deutschland blicke, dann ist es mir wichtig, dass dieses Genre sehr viel mehr ist als „My Fair Lady“, „Hello, Dolly!“ und eine Handvoll weiterer Stücke, die wie in Dauerschleife alle paar Jahre wieder auf den Spielplänen auftauchen. Auch wenn das gute Stücke sind, ist es ungemein wichtig, ebenso neue oder unbekanntere Stücke zu spielen. Aus vielen Intendanzen kommen dann Sätze wie „Das können wir nicht spielen, das kennt doch keiner“. Dem Publikum müsse auf jeden Fall der Titel geläufig sein und es würde vermeintlich gutes Musical danach beurteilen, ob es wenigstens einen bekannten Hit enthalte. Meiner Meinung nach stimmt das nur bedingt. Neben Hildesheim beweisen einige wenige Häuser wie Bielefeld, Kassel, Radebeul oder das Gärtnerplatztheater in München, dass es sich lohnt, das Publikum herauszufordern, indem Neues oder Unbekanntes auf den Spielplan kommt. Nur durch diesen Mut können die Zuschauer herausfinden, was gut geschrieben, gut komponiert und auch gut gemacht ist. Wir brauchen da unbedingt ein Umdenken in den Chefetagen der Häuser.
Leider hat die Coronakrise tiefe Löcher in die Kassen der Kommunen gerissen. Ich befürchte daher in den nächsten Jahren an den deutschen Stadt- und Staatstheatern massive Einsparungen. Deshalb möchte ich dem Karl Valentin zugeschriebenen Spruch „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ unbedingt hinzufügen „… und kostet Geld“.
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