Enrico de Pieri (© Claudia Dilay Hauf)
Enrico de Pieri (© Claudia Dilay Hauf)

3 Fragen an... Enrico de Pieri

Enrico de Pieri, der gebürtig aus Kiel stammt, ist sowohl auf der Bühne als Charakterdarsteller, als auch hinter der Bühne als Gesangscoach bei zahlreichen Produktionen dabei gewesen. Darunter waren auch Hauptrollen in einigen deutschsprachigen Uraufführungen wie “Disneys Aladdin” oder “Hape Kerkelings Kein Pardon”. Seit einem Jahr ist er nunmehr hauptberuflich Professor für Gesang an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Wie er seine unterschiedlichen Jobs vereint und wie es ihm dabei so geht, erzählt er unserem Redakteur. Dieser hat De Pieri im Rahmen seiner aktuellen Rolle als Jamie in “The Last Five Years” am Staatstheater Darmstadt getroffen – eine Rolle, die er bereits 2015 in Kiel verkörpert hatte.

Lieber Enrico, Dschinni in “Aladdin” und Peter Schlönzke in “Kein Pardon” – du bist ein großer Name in der deutschen Musical-Szene und bekannt für komödiantische Rollen. Nun spielst du bereits das zweite Mal die Rolle des Jamie aus “The Last Five Years”. Vor Jahren hast du das Stück in Kiel gespielt und jetzt mit Beatrice Reece in Darmstadt. Was ist für dich das Besondere an diesem Musical – auch in Hinblick auf Comedy und Drama – und was hat sich im Vergleich zum ersten Mal als Jamie bei dir geändert?

Für mich problematisiert das Stück nach wie vor, dass in einer Beziehung die Kommunikation ausschlaggebend ist, auch wenn man dasselbe will und dasselbe fühlt, so ist Liebe doch oft nicht ausreichend. Unbeschwertheit und Trauer liegen in dem Stück nahe beieinander. Natürlich bringt meine Bühnenpartnerin eine ganz andere Dynamik mit in das Stück, die andere Besetzung ändert also viel im Vergleich. Die Art der Inszenierung ist auch eine ganz andere als damals – durch die Videoaufnahmen und das filmische Format in der Darmstädter Inszenierung werden ganz andere Arten von Schauspiel verlangt. Man spielt mehr innerlich und zeigt äußerlich weniger, da man nicht so viel senden und zeigen muss – das übernimmt die Kamera hier. Zudem ist die Orchestrierung in Darmstadt sehr schön. Natürlich ist man auch älter und weiser geworden, insofern ist Jamie jetzt eine andere Figur. Ich glaube, ich hatte weniger Scheu, die Figur edgy anzulegen. Zu Peter-Schlönzke-Zeiten war ich es gewohnt, dass die Leute mich und meine Rolle lieb haben und am liebsten direkt umarmen wollen. Das habe ich sehr genossen, und es war natürlich eine Überwindung, das nicht zu wollen und zu zeigen, dass die Figur Jamie nicht nur Opfer, sondern auch Täter sein darf. Lustig zu spielen ist trotzdem erfüllend, auch wenn ich denke, dass mir sowohl Comedy als auch Drama liegt, beides gleichermaßen komplex ist und ich es ebenbürtig bedienen kann. Nur ist es nun mal so, dass wenn man lustig ist – was eben nicht jeder ist – man dafür gerne gecastet wird, denn die Leute wissen ja salopp gesagt: Der macht das schon. Man muss gutes Timing besitzen und ein Gefühl für das Gegenüber mitbringen, was eine große Challenge ist. Leute zum Lachen bringen wird zwar nicht so respektiert wie Leute zum Weinen zu bringen, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass Comedy einen Zugang zu Tiefgängigem erlaubt. Wer Leute zum Lachen bringen kann, der kann sie auch zum Weinen bringen. Dass ich als lustig gesehen werde, hat aber sicher auch etwas mit der Physis zu tun. Gerade als ich vor 15,16 Jahren angefangen habe, waren die Grenzen noch schärfer gezogen: Der Dicke ist der Lustige, das war einfach so.

Du bist seit einem Jahr auch Professor an der Folkwang Universität der Künste. Wie sieht der Alltag in dieser doch sehr ungewöhnlichen und spannenden Berufskombination aus und wie funktioniert die Verbindung beider Berufssparten für dich?

Mein Darstellerjob ist mittlerweile mein Zweitjob und meine Professur mein Hauptjob – mit Vollzeitstelle und Verbeamtung. Ich habe aktuell 12 Studenten, die mit mir arbeiten. Im Moment muss ich die Studenten der höheren Semester mit Gesangsstunden versorgen, was in der Regel sechs Stunden am Tag sind. Ich weiß, andere Leute arbeiten acht oder neun Stunden – Gesangsunterricht ist aber auch eine sehr intensive Geschichte, bei der man 100% konzentriert sein muss. Man wächst aber in den Job rein, am Anfang hat es mich doch sehr gerädert. Die Arbeit mit meinen Studenten, das steht im Fokus. Das heißt, wenn ich etwas Anderes machen möchte, muss ich das so organisieren, dass es meinen Unterricht nicht stört. Natürlich kann man hier und da mal etwas verschieben und später nachholen, aber ich kann nicht mehr acht Shows die Woche spielen. Das habe ich ja auch bereits alles gemacht – mit Mitte 40 werden andere Dinge im Leben wichtiger außer dem Beruf. Ich genieße es auch sehr, nicht mehr ständig auf Jobsuche zu sein oder jedes Jahr woanders zu spielen. Mittlerweile kann ich mir die Projekte aussuchen, die mir Freude machen. Ich kann Stücke wählen, weil sie schön sind und nicht, weil ich sie machen muss. Die Art von Arbeit, die ich jetzt für meinen Unterhalt bestreite, empfinde ich daher schon als leichter, was eine schöne Position für mich ist. Auch “The Last Five Years” habe ich nicht angenommen, weil ich das Stück zwingend noch einmal spielen wollte, sondern weil Beatrice Reece angefragt wurde, mit der ich schon seit Jahren befreundet bin. Da wusste ich, das wird ein tolles und spannendes Projekt und eine schöne Kombination, weswegen ich das Stück angenommen habe. Das ist der pure Luxus, den ein Musicaldarsteller eigentlich nicht hat. Normalerweise ist dieser Job voller Probleme; man ist oft unzuverlässig bei Freunden und Familie, weil man ständig so absorbiert von den Projekten ist, dass man kein Telefonat beantwortet und keinen Brief mehr öffnet. Man schaut nur, dass man überlebt, und dafür haben viele kein Verständnis und das wiederum birgt Konfliktpotenzial. Mit der Zeit muss man also schauen, dass man den Fokus von der Karriere weg bewegt und sich fragen: “Wozu mache ich das alles eigentlich nochmal genau?”. Man macht es, um ein schönes und glückliches Leben zu führen und Partnerschaft und Freundschaften zu pflegen. Das muss man genauso üben wie alles andere auch. In Zukunft muss ich also sehen, wie viele Produktionen noch in meinen Zeitplan passen – aber im Moment habe ich das Gefühl, dass ich auf einem ganz guten Track bin.

Comedy-lastige Rollen werden ja oft mit Plus-Size besetzt, wie du vorhin auch schon gesagt hast. Shrek, Schwester Mary Patrick oder Elder Cunningham. Was ist deine Meinung dazu: Muss Comedy dick sein?

Nein, zum Glück gibt es auch viele dünne, teilweise auch extra schlaksig-dünne Besetzungen für komödiantische Rollen, eben etwas, was nicht der Beauty-Norm entspricht. Das hängt also meiner Meinung nach nicht direkt mit einem fülligeren Körperbau zusammen. Aber: Wenn man dick ist, wird man nicht als Love Interest besetzt. Es hat was mit dem Körperideal zu tun, dass ein dicker Mensch nicht sexy sein kann und sich keiner für ihn romantisch gesehen interessiert. Das kann man so akzeptieren, wenn man will – ich sehe meine und Beatrices Besetzung in “The Last Five Years” aber auch durchaus als Protest gegen diese Haltung. Als ich erst gefragt wurde, ob ich Jamie spielen will, habe ich Nein gesagt, weil ich dachte, lasst es doch die jungen und schlanken Leute spielen. Aber dann bin ich nochmal in mich gegangen und habe mir gesagt: Wenn wir beide diese Show als Liebespaar so spielen und das Thema des Stücks die Körpermaße vergessen lässt, dann sendet das eine Botschaft. Wir sind ganz normale Leute, die sich lieben und eben ein bisschen kräftig sind, Dellen und Falten haben. Ganz selbstverständlich zeigt man ein authentisches Liebespaar so, wie es ist und aussieht – ob in Unterhose und mit freiem Oberkörper oder Negligé, vollkommen egal! Es geht da nicht darum, ob jemand gut trainiert ist oder nicht, sondern um das Wiederspiegeln und Normalisieren von Menschen. So können wir im Theaterbereich einen Teil dazu beitragen, etwas dagegen zu tun. Ich bin den Verantwortlichen vom Theater Darmstadt dafür auch sehr dankbar, dass sie mit einem offenen Blick daran gegangen sind. Ich hoffe, dass sowas in Zukunft öfter passiert und sich die Darstellung von Menschen verschiedener Statur auch in Film und Fernsehen weiter anpassen wird.

 
Overlay