Clara Hendel, Dennis Hupka, Tamara Wörner, Ensemble. © Michael Bode
Clara Hendel, Dennis Hupka, Tamara Wörner, Ensemble. © Michael Bode

Soho Cinderella* (2023)
Schlossfestspiele, Ettlingen

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Die Schlossfestpiele Ettlingen gehen wieder den unbequemen Weg und nehmen mit „Soho Cinderella*“ (im Original: „Soho Cinders“) ein hierzulande recht unbekanntes Stück auf den Spielplan. Diesmal kooperieren sie mit der Hochschule Osnabrück, wo das Musical im Oktober 2022 zum ersten Mal auf Deutsch lief, und bringen deren Inszenierung inklusive einiger Ensemblemitglieder in den Schlosshof. Die Songs sind von unterschiedlicher Qualität und die Dialoge oft platt, aber Frische, Spielfreude und eine zupackende Regie bügeln das aus.

In dieser queeren Variante des allseits bekannten Märchens ist Cinderella ein junger Waschsalonbetreiber namens Robbie aus dem Londoner Stadtteil Soho. Seine Mutter ist gestorben und hat kein Testament hinterlassen. Deshalb soll das Haus, in dem sich der Salon befindet, an seinen Stiefvater fallen. Der sitzt gerade im Gefängnis und Robbies Stiefschwestern vertreten seine Interessen. Sie betreiben neben dem Waschsalon einen Strip-Club, wollen ihren Stiefbruder und dessen Betrieb schnellstmöglich loswerden – zum einen aus Prinzip, zum anderen um ihr Etablissement zu vergrößern – und erhöhen die Miete. Weil Robbie chronisch knapp bei Kasse ist, sucht er sich im Internet einen Sugar-Daddy, der ihm für seine Gesellschaft etwas Geld zusteckt. Er lernt aber auch James Prince kennen und lieben. Das Problematische daran: James ist Kandidat für das Amt des Londoner Bürgermeisters. Lord Bellingham, der Sugar-Daddy, fordert von Robbie nun langsam mehr als nur Gesellschaft. Das bringt diesen in eine Zwickmühle, denn Lord Bellingham ist auch Hauptsponsor von James‘ Wahlkampf. Bei einer Gala, bei der Gelder für James angeworben werden sollen, kommt es zum Skandal.

Die Idee, die Aschenputtel-Geschichte in das heutige Soho, die Hochburg der LGBTQ+-Community, zu verlegen und entsprechend umzudeuten, ist nicht schlecht. Natürlich läuft alles in den bekannten Bahnen ab, aber man ist schon gespannt, was denn beispielsweise als zeitgenössischer Ersatz für den verlorenen gläsernen Schuh herhalten wird. Die Autoren Anthony Drewe und Eliot Davies finden im Grunde gute Kniffe, die Handlung um neue Stränge zu erweitern. Allerdings fallen ihre Dialoge teilweise recht plump aus und die Figuren entwickeln sich nicht zu plastischen Charakteren.

George Stiles‘ Kompositionen sind Pop, der große Gesten nicht scheut. Es gibt Perlen wie das zarte Duett „Wanderer im Äther“ oder die Ensemble-Nummer „Wer ist er?“, aber auch einiges an musikalischem Füllmaterial. Besonders enttäuschend ist das eigentlich dramaturgisch gut eingebundene und pointiert getextete „Fünf Minuten“, in dem die Stiefschwestern von fünf Minuten Ruhm singen (auch wenn ihnen im Vergleich zum Originaltext und dem Andy-Warhol-Zitat in der Übersetzung zehn Minuten im Rampenlicht gestohlen werden bzw. der Anzahl der zu singenden Silben zum Opfer fallen). Der Pepp, den die energetische Choreografie von Vanni Viscusi heraufbeschwört, fehlt jedoch in der Komposition völlig. Das ist auch schon bei der Londoner CD-Einspielung so; da kann auch in Ettlingen die ansonsten kraftvoll aufspielende fünfköpfige Band unter Leitung von Max McMahon nichts ausrichten.

Die Kraft, das Tempo und der sichtbare Spaß des Ensembles sind dann auch die Pfunde, mit denen diese Produktion wuchern kann. Man tanzt oft nicht synchron, aber die Energie, die die Darstellerinnen und Darsteller dabei ausstrahlen, lässt das vergessen.

In einer Liebesgeschichte muss die Chemie zwischen dem Paar stimmen, sonst fühlt man nicht mit ihnen. Zwischen Dennis Hupka (Robbie) und Alexander Mikliss (James) stimmt sie. Ihre Stimmen harmonieren sehr gut miteinander. Dass Hupkas Stimme nicht stark in den Höhen und Mikliss eigentlich für die Rolle zu jung und dadurch als Bürgermeisterkandidat etwas blass und konturlos ist – egal, denn man nimmt ihnen die Gefühle füreinander ab. Darstellerisch überzeugt Dennis Hupka voll und ganz als der naive, aber sympathische Robbie, den die Zuschauer sofort ins Herz schließen.

Tadellos: Anna Fink und Manar Elsayed als Robbies Stiefschwestern, die sich für keine Grimasse und unvorteilhaftes Kostüm zu schade sind. Zwei Komödiantinnen mit ordentlich Bühnenpräsenz. Auch Lina Gerlitz als James‘ Verlobte Marilyn ist ein Ass im Ärmel dieser Produktion. Stimmlich stark, wirkt Gerlitz – ganz wie es die Rolle fordert – erst kalt, um dann Gefühle durchscheinen zu lassen und sich in „Lass ihn gehen“ zu öffnen. Dieses Lied singt Marilyn zusammen mit Velcro, Robbies bester Freundin. Diese Rolle bietet Clara Marie Hendel viel komödiantisches Futter, das sie allerdings nicht komplett ausschöpft. Dagegen lässt Tomek Delsky als James‘ Wahlkampfmanager William George nichts liegen. Delsky überzieht diesen durchtriebenen Drecksack mit einer diabolischen Aura und singt teuflisch gut.

Zusammengehalten wird die Geschichte von Tamara Wörner als „Erzähler:in“. Einerseits geht es dabei darum, dem Publikum Infos zu geben, andererseits ist sie auch eine Figur im Stück – oder vielmehr mehrere Figuren, denn sie taucht immer wieder in verschiedensten Kostümen auf, um Parts in Szenen zu übernehmen und dann wieder als „Erzähler:in“ aus ihnen herauszutreten. Sie ist die Entsprechung der „guten Fee“ in der Originalgeschichte. Außerdem verfügt sie über eine beeindruckende Soulstimme.

Jörg Brombacher hat die Bühne in drei Abschnitte geteilt. Links eine Konstruktion mit Robbies Waschsalon und einem Zugang zum Strip-Club, rechts eine für die Wahlkampfzentrale von James Prince. In der Mitte wird der Schlossbalkon passenderweise für die Auftritte von Lord Bellingham genutzt. Das vorherrschende Dunkelgrau der Bauten wird von knallig bunten Wandteilen durchbrochen. Dieses Bühnenbild ist ausgesprochen praktisch und unterstützt die gute Personenführung der Regie, aber schön anzusehen ist es nicht. Die Kostüme von Gesa Gröning setzen sich durch ihre Farben deutlich von dem Grau ab. Sie hat gut zu den Charakteren passende Alltagskleidung ausgewählt und die Stiefschwestern angemessen schrill ausgestattet. Nur der Anzug, den sich Robbie bei Prada für die Gala aussuchen darf, verwirrt. Der Schnitt sieht ein bisschen nach Mittelalter-Märchenprinz aus, wären da nicht Schlaghosen und Flatterärmel. Kein Wunder, dass Robbie damit wie ein Fremdkörper wirkt und angestarrt wird.

Regisseur Christian Stadlhofer hält das Stück im Fluss, führt sein Ensemble mit sicherer Hand und findet einige überraschende Ideen für Übergänge. Auch Szenen mit vielen Personen auf der Bühne steuert er souverän und sicher, sodass man nie den Überblick verliert.

„Soho Cinderella*“ beschert einen kurzweiligen Musicalabend. Von der Bühne schwappt so viel Feuer ins Publikum, dass die Mängel des Abends weggewischt werden. Dieser Energie kann man sich nicht entziehen!

 
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KREATIVTEAM
InszenierungChristian Stadlhofer
ChoreografieVanni Viscusi
BühnenbildJörg Brombacher
KostümbildGesa Gröning
Musikalische LeitungMax McMahon
 
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CAST (AKTUELL)
RobbieDennis Hupka
James PrinceAlexander Mikliss
ErzählerinTamara Wörner
VelcroClara Marie Hendel
ClodaghManar Alsayed
DanaAnna Fink
MarilynLina Gerlitz
William GeorgeTomek Delsky
SashaLeonie Dietrich
Lord BellinghamClaus Dam
EnsembleYannic Noël Blauert
Sofia Coretti
Giovanni De Domenico
Jessica Falceri
Natalie Friedrich
Tobias Gerisch
Pauline Weschta
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Do, 29.06.2023 20:30Schlosshof, EttlingenPremiere
Fr, 30.06.2023 20:30Schlosshof, Ettlingen
Sa, 01.07.2023 20:30Schlosshof, Ettlingen
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