Christopher Brose (Albert Einstein als junger Mann), Chris Murray (Albert Einstein als alter Mann), Elias Himes (Albert Einstein als Kind) und Ensemble © H. Dietz Fotografie, Hof
Christopher Brose (Albert Einstein als junger Mann), Chris Murray (Albert Einstein als alter Mann), Elias Himes (Albert Einstein als Kind) und Ensemble © H. Dietz Fotografie, Hof

Einstein - Das Musical (2016)
Theater, Hof

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Das Erlebnis eines Musicals steigt proportional mit der Qualität und Umsetzung der Musik und mit der Perfektion von Choreographie und Tanz potenziert mit der Professionalität von Sängern und Darstellern: E=mcs. Für die Uraufführung von „Einstein – Das Musical“ im Theater Hof, ergibt sich folgendes Ergebnis:
E(I.Akt) = 120 % > E(II.Akt) = 50 %

Stephan Kanyar (Musik und Text) und Maren Scheel (Buch und Text) haben die Relativitätstheorie und deren Entdecker Albert Einstein in ein nagelneues Musical verpackt. Grundlage ist die Geschichte des Pathologen Dr. Thomas Stoltz Harvey, darin werden Szenen aus Einsteins Leben eingebettet.

Harvey hat das Gehirn von Albert Einstein aus der Pathologie entwendet und will erforschen, wie sich Genialität im Gehirn physisch manifestiert. Harvey taucht in einem amerikanischen Motel unter und beginnt mit seinen Untersuchungen. Erfolglos und geistig völlig verwirrt gibt er mehr als 30 Jahre später das Gehirn zurück. Dabei erlebt er verschiedene Szenen aus dem Leben Albert Einsteins als Beobachter: Szenen mit Einstein als Kind (Elias Himes), als junger Mann (Christopher Brose) und als reifer Wissenschaftler (Chris Murray). Sein ständiger musikalischer Begleiter ist Christian Venzke, der je nach Handlungszeit und -ort in verschiedene Rollen schlüpft: Einsteins Onkel Hermann, Max Planck, der Einstein nach Berlin holt, und Einsteins Freund Solovine in Amerika. Venzke kann in jeder Rolle mit seiner gefühlvollen Stimme und seinem vielschichtigen Spiel voll überzeugen.

Harveys Gegenwart ist die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts. Die Rückblicke auf das Leben Einsteins dagegen finden in der ersten Hälfte statt. Kanyar und Scheel verweben die beiden Zeitebenen dicht ineinander, frei nach Einsteins These, dass Zeit nur relativ ist. Harvey taucht immer tiefer in das Leben Einsteins ein und verliert darüber mehr und mehr den Bezug zur Realität. Mit fortschreitendem Realitätsverlust wird Einsteins Gegenwart immer mehr auch zu Harveys Gegenwart.

Thilo Andersson spielt den Pathologen Harvey auf seinem Weg in den Wahnsinn sehr überzeugend. Die langen Dialogszenen und die vielen Sprünge zwischen Realität und Fiktion verlangen Andersson schauspielerisch viel ab. Mit dezenter, aber präziser Gestik und fein modulierter Stimme arbeitet er die fortschreitende Demenz Harveys glaubhaft heraus.

Reinhardt Friese inszeniert nicht nur präzise und aufwändig die verschiedenen Jahrzehnte, sondern charakterisiert auch das Leben in Europa und Amerika mit viel Liebe zum Detail. Annette Mahlendorfs Kostüme sind authentisch, phantasievoll unterschiedlich, aber nie aufdringlicher Selbstzweck. Die Charleston-Kleider beispielsweise sind nicht bunt und schrill, sondern schlicht aber doch detailreich. Fein abgestimmt ist auch die erfrischende Choreografie von Barbara Buser: von schuhplattelnden Trachtlern über einen Tango dreier eng umschlungener Männer bis zu einer klassischen Revuenummer.

Die Bühne (ebenfalls von Annette Mahlendorf) im ersten Akt ist einfach, aber effizient: die Front eines Motels. Mit ein paar einfachen Handgriffen wird die Häuserfront zum Rahmen für die Stationen aus dem Leben Einsteins. Ein Motelzimmer – aus der Häuserfront gezogen und um 180 Grad gedreht – wird zur Wohnung von Einstein und dessen Frau Mileva, gespielt von einer ausdrucksstarken Julia Harneit. Im zweiten Akt ist die Bühne aber sehr minimalistisch. Sie besteht nur noch aus drei großen grauen Kuben.

Stephan Kanyars Musik ist vor allem im ersten Akt pure überschäumende Lebenslust. Sicher bewegt er sich durch viele Musikstile; schließlich muss die Komposition verschiedene Epochen und Kulturen widerspiegeln. Jazz, Swing oder Charleston für die Welt Einsteins. Funky und modern für Harveys Realität 50 Jahre später.

Musik, Choreographie, Kostüme und Bühne sind präzise aufeinander abgestimmt und greifen ineinander. Im Jahr 1889 beispielsweise eröffnet Einstein als Kind mit seinem Onkel die Straßenbeleuchtung im bayerischen Schwabing mit einem Festakt. Ein paar Lampen verwandeln die Häuserzeile des Motels in eine Häuserzeile Schwabings. Reinhardt Friese lässt dazu das Ballett und einen großen Chor in authentischen Gebirgstrachten auftreten. Beginnend mit der Tuba spielt das Orchester einen volkstümlichen Walzer. Der verwandelt sich zu einem 6/8-tel Marsch im Stil Sousa und das Ballett wird zu Cheerleadern. Eine erneute Metarmophose verwandelt die Musik in einen Charleston aus den Roaming Twenties. Und schon fliegen die Füße. Wohlgemerkt – die Darsteller tragen immer noch Tracht. Zwischendurch eingeflochten musikalische Zitate aus dem bayerischen Defiliermarsch und choreographische Zitate aus dem klassischen Ballett, wie z. B. Hebefiguren. Es endet in einem ausgewachsenen bayerischen Zwiefachen mit Schuhplattlern. Die Musik ist harmonisch und witzig, die Übergänge sind bruchfrei. Stimmig bis ins letzte Detail: Der Bürgermeister von Schwabing spricht im bayerischen Dialekt. Das Ganze ist so zauberhaft beschwingt und heiter, dass die Zuhörer gerne lange Zeit in der Szene verweilen möchten.

Gefühlvoll und voller Enthusiasmus setzen die Hofer Symphoniker die Stilvielfalt gewohnt professionell um. Roland Vieweg interpretiert die Partitur sensibel und lässt unterschiedlichste Klangwelten entstehen. Die Instrumentierung ist außergewöhnlich: Holz- und Blechbläser machen den größten Teil des fast 40-köpfigen Orchesters aus, zu dem auch ein Banjo und ein großer Konzertflügel gehören. Viele Instrumente setzt Kanyar solistisch ein: Eine zarte Flöte flirtet mit einem gezupften Kontrabass, der Flügel geht eine zärtliche Liaison mit Jazzbesen und kleiner Trommel ein. Da stört auch der ein oder andere Patzer nicht, wie z. B. die misslungene Hornpassage zur Eröffnung oder die nur mäßig gestimmten Streicher. Was dagegen den Musikgenuss deutlich trübt, ist die kraftlose Abmischung. Die tiefen Frequenzen sind zu wenig präsent. Obwohl in allen Registern tiefe Instrumente vorhanden sind, bleibt das Klangvolumen leider flach.

Friese präsentiert den ersten Akt opulent, phantasievoll und witzig. Der zweite Akt beginnt noch eindrucksvoll minimalistisch mit einem Tribunal nationalsozialistischer Wissenschaftler, die dem Juden Einstein als „Clown des geistigen Verrenkens“ jegliche wissenschaftliche Kompetenz absprechen. Die Nazis sitzen in etwa drei Meter Höhe über Einstein auf drei schlichten grauen Würfeln; von hinten beleuchtet sind nur die Silhouetten erkennbar. Einstein wirkt wie Daniel in der Löwengrube. Harvey beobachtet übrigens auch diese Szene, das Gehirn Einsteins in einem Einmachglas haltend.

Eine traurige Geige beginnt ein Duett mit einem sentimentalen Cello. Daraus entwickelt sich Einsteins sentimentale Abschiedshymne an die Heimat und ein Abgesang an die Welt kurz vor dem Zweiten Weltkrieges. Es ist die letzte Arie von Christopher Brose als junger Einstein, der melodisch über den gesamten Tonraum hinweg und mit blitzsauberer Artikulation singt.

Nur ein paar Tische und Stühle symbolisieren ein Restaurant. Darüber ein Leuchtschild „Pathology“. Harvey kann nun endgültig nicht mehr zwischen Fiktion und Realität unterschieden. Er möchte wie gewöhnlich in der Pathologie arbeiten, stellt aber verwirrt fest, das er seit über 30 Jahren nicht mehr dort tätig war. Im nächsten Moment wähnt er sich 60 Jahre früher auf der Empfangsparty für Einstein in Amerika. Hier übernimmt Chris Murray die Rolle des reifen Einstein. In langen Dialogen zeigt auch Murray sein ganzes schauspielerisches Können. Glaubhaft spielt er den verschmitzten Einstein, der den Gästen die Zunge herausstreckt. Glaubhaft auch den verzweifelten Einstein, der als letzten Ausweg um Hitler zu stoppen, Amerika beim Bau der Atombombe unterstützt.

Die Bühne wird fast gänzlich kahl, nur ein einziger Block verbleibt einsam in der Mitte. Daran angeschmiegt: Harvey als eine Art Prometheus. Hinterbühne und Seitenbühnen sind offen sichtbar. Dichter Nebel legt sich über Bühne und Einstein. Aus dem Off dringen die Motorengeräusch des Bombers Enola Gay und der Funkverkehr kurz vor dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima. Stanniolstreifen rieseln vom Schnürboden gleich einem radioaktiven Fallout. Chris Murray beschwört die Zukunft in einer dramatischen Arie: „Wenn wir unseren Planeten zerstört haben, ist das Einzige, was bleibt, das weiße Rauschen auf einem fernen Planeten“. Er interpretiert die schlichte Musik sehr melodramatisch und opernhaft. Das will nicht so richtig zu Minimalismus und Brutalität der Szene passen. Der Szene fehlt es zudem an Logik. Bis dahin ging es um einen Wissenschaftler auf dem Weg in den Wahnsinn. Nun plötzlich geht es um die Schattenseiten und Gefahren der Wissenschaft als eine geöffnete Büchse der Pandora.

Schließlich treffen sich alle drei Einsteins am Bühnenrand und rezitieren: „Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt“. Mit dieser eindringlichen Botschaft und den verstörenden Bildern im Kopf hätten Kanyar und Scheel die Zuschauer entlassen können und auch sollen. Aber was folgt ist ein Finale Furioso mit allen Darstellern, Fortissimo, vielschichtigen Harmonien, Chor und Solisten mit unterschiedlichen Melodien und bunt gemischte Kostüme. Die Texte sind nicht verständlich, Melodien kaum mehr erkennbar, die Optik erschlägt. Das Finale soll versöhnen und den Bogen zum Beginn zurück schlagen. Das misslingt gründlich.

Was bleibt, ist ein überragender erster Akt. Die vielen pfiffigen Ideen und kreativen Details würden für zwei Musicals reichen. Und es bleibt ein unlogischer zweiter Akt, der übertrieben dramatisch die Botschaft von der Verantwortung der Wissenschaft den Theaterbesuchern einbläuen will.

Das Kreativteam in Hof hat ein Musical mit eingängiger Musik und exzellenten Texten in Szene gesetzt. Ganz im innovativen Geist des Theaters Hof, das auch vor Experimenten und kritischen Themen nicht zurückschreckt. Da kann nicht immer alles perfekt gelingen. Sehens- und hörenswert ist „Einstein – Das Musical“ aber allemal.

 
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KREATIVTEAM
RegieReinhardt Friese
Musikalische LeitungRoland Vieweg
ChoreographieBarbara Buser
AusstattungAnnette Mahlendorf
 
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CAST (AKTUELL)
Miss MarianSusanna Mucha
Dr. Thomas Stoltz HarveyThilo Andersson
Albert Einstein als KindElias Himes
Hermann Einstein, Maurice Solovine, Max PlanckChristian Venzke
Lehrer, Nernst, Reporter 1, Lenard, Maitre, Pfleger, amerikanischer GastgeberLéon van Leeuwenberg
Bürgermeister, Conrad Habicht, Vorgesetzter im Patentamt, Reporter 2, Leo SzilardFlorian Bänsch
MilevaJulia Harneit
Albert Einstein JungChristopher Brose
Hans Albert EinsteinElias Himes
Albert Einstein altChris Murray
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Do, 07.04.2016 18:00Theater, Hoföffentliche Probe
So, 17.04.2016 11:00Theater, Hof
Fr, 22.04.2016 19:30Theater, HofPremiere
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