Alexandra-Yoana Alexandrova (Mary Poppins), Christopher Bolam (Bert) © Thunerseespiele
Alexandra-Yoana Alexandrova (Mary Poppins), Christopher Bolam (Bert) © Thunerseespiele

Mary Poppins (2024)
Thunerseespiele, Thun

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Es ist eine der Lieblingsgeschichten von Cameron Mackintosh, wie er in den 1970er Jahren versuchte, die Rechte für eine Bühnenmusicalfassung von der Autorin der weltberühmten „Mary Poppins“-Bücher, P. L. Travers, zu bekommen, aber immer wieder bei ihr abblitzte. Viel zu sehr litt sie zeitlebens darunter, wie Walt Disney in seiner Filmfassung ihre Romanheldin verändert hatte. Erst ein persönlicher Besuch Mackintoshs bei der mittlerweile weit über 90-jährigen Travers im Jahr 1993 konnte ihre Verweigerung brechen, und sie machte den Weg frei. Jeder, der sich mit den Produktionen Mackintoshs näher beschäftigt hat, weiß, dass die Verhandlungen für eine eigenständige Inszenierung eines von ihm produzierten Musicals – besonders wenn Disney auch noch ein gewaltiges Wörtchen mitzusprechen hat – wahrscheinlich mindestens ebenso schwierig und beinahe aussichtslos sind. Den Thunerseespielen ist diese seltene Ehre in diesem Jahr für ihre Schweizer Erstaufführung unter freiem Himmel gelungen, und sie erweisen sich ihrer auch mehr als würdig!

Die Macher von „Mary Poppins“ am Thunersee machen sich erst gar nicht die Mühe, einer kompletten Neuinterpretation der – zugegebenermaßen dünnen – Storyline um das Kindermädchen mit Zauberkräften, das die Welt einer Familie der britischen Oberklasse im London der 1930er Jahre, wieder zurechtrückt. Die Entscheidung ist goldrichtig: In dieser Inszenierung ist „Mary Poppins“ beste Unterhaltung an einem lauen Sommerabend. Dabei fehlen weder die witzig-klamaukigen noch die sentimental-romantischen Elemente, die diese Geschichte ausmachen.

Regisseur Matthias Davids und Bühnenbildner Andrew Edwards lassen das Stück in einem überdimensionalen Regenschirm inklusive des berühmten Papageien-Schirmkopfes, der hier weit in den Himmel ragt, spielen. Darin befinden sich sowohl die Spielorte im Haus der Familie Banks, wie das Kinderzimmer oder das Arbeitszimmer von George Banks, als auch die anderen Spielorte, wie der Park, durch den Mary und die Kinder spazieren. Der hintere Teil der Bühne wird dominiert von einer Landschaft aus Schornsteinen des viktorianischen Londons, aus denen immer wieder Rauch aufsteigt. Die Szenen, in denen Kaminkehrer Bert zwischen den Schloten spaziert und im Hintergrund die schneebedeckten Alpen im Sonnenuntergang leuchten, geraten dabei enorm stimmungsvoll und dürften vor dieser besonderen Kulisse – selbst wenn von den Dächern Londons die Alpen sicher nicht zu sehen sind – wohl einzigartig sein.

Viele der Bühnentricks, für die „Mary Poppins“ bekannt ist, wie beispielsweise der schier unergründliche Boden der Reisetasche, aus der Mary immer wieder neue Einrichtungsgegenstände wie einen Schirmständer oder eine große Zimmerpflanze inklusive Säule holt, oder die in der Küche zusammengebrochene Arbeitstheke, die sich wie von Zauberhand auf einen Fingerzeig von Mary hin wieder aufrichtet, fehlen auch am Thunersee nicht. Andere Szenen, wie beispielsweise der an der Bühnenumrandung kopfüber tanzende Bert, müssen open-air-bedingt natürlich entfallen. Dafür, dass sie nicht vermisst werden, sorgen die energetischen Choreografien Kim Duddys oder immer wieder schöne kleine Ideen wie das mit an langen flexiblen Stangen hängenden Papier-Drachen durchs Publikum tanzende Ensemble beim Song „Drachensteigen“.

Die detailreichen Kostüme von Aleš Valášek zitieren zwar die Original-Kostüme, geben der Show aber auch einen individuell eigenen Look. So zum Beispiel, wenn sich in Berts Kostüm als Maler das Bild, das er gerade vom Park malt, auch in seinem Hemd wiederfindet. Oder wenn sich in der darauffolgenden Szene „So ein wunderschöner Tag“ die vormals traurig-drückende Szenerie komplett wandelt, indem der eben noch schwarz gekleidete Polizist plötzlich ganz in Gelb, der Parkwächter in Rot, Mary und Bert und das gesamte Ensemble in luftig blumigen Kostümen in hellem Blau und Grün erscheinen. Gemeinsam mit dem effektvollen Lichtdesign von Tim Deiling entstehen – vor allem nach Einbruch der Dunkelheit – sehr schöne Momente, und der Blick des Publikums wird immer auf den richtigen Spot der großen Bühne gelenkt.

Das Orchester unter der Leitung von Iwan Wassilewski spielt die Melodien der Brüder Richard und Robert S. Sherman mit viel Drive und Energie. Die Tonabmischung gelingt für eine Open-Air-Inszenierung außergewöhnlich gut. Selbst in den lauten, kraftvollen Momenten lassen sich einzelne Instrumente und Stimmen gut heraushören.

Die Rollen der beiden Kinder der Familie Banks wurden für Thun jeweils vierfach gecastet.  In der besuchten Vorstellung standen Noée Taeschler (Jane) und Paco von Wyss (Michael) auf der Bühne. Sie überzeugen durch große Freude am Spiel und geben ihren Rollen die genau richtige Mischung aus den eigentlich gegensätzlichen Eigenschaften rotzfrech und trotzdem noch liebenswert.

Für die klamaukigen Momente der Show sind die beiden Sidekicks, die Köchin Mrs. Brill und der Butler Robertson Ay, zuständig. Ob man diesem arg platten und holzschnittartigen Humor etwas abgewinnen kann, sei jedem selbst überlassen, allerdings würde dem Buch an diesen Stellen eine – dem heutigen Humor mehr entsprechende – Überarbeitung sehr zugutekommen. Jacqueline Braun und Leon de Graaf haben jedenfalls den gesamten Abend die Lacher auf ihrer Seite. Ihre berührenden Momente hat Jacqueline Braun allerdings vor allem im Song der Vogel-Lady, deren Rolle sie ebenfalls übernimmt und mit viel Gefühl interpretiert. Kim Reizevoort ist eine perfekte widerliche Miss Andrew, die mit ihrem „Krautsaft und Fischöl“ dem Nachwuchs der Banks‘ Zucht und Ordnung beibringen will, wie sie es bereits eine Generation vorher mit Vater George getan hat.

Mit Patrick Imhof steht als George Banks bereits zum vierten Mal praktisch ein Thuner Urgestein auf der Bühne. Mit großem schauspielerischem Talent und warmer Stimme interpretiert er den steifen und strengen Familienvorstand, der erst nach und nach wieder zu sich findet. Johanna Zett als seine Frau Winifred darf einen der schönsten Songs der Show „Mrs. Banks zu sein“ singen und macht daraus eines der musikalischen Highlights des Abends. Ihre Winifred ist zu jedem Zeitpunkt liebende Mutter, die trotz der widrigen Umstände der Zeit nicht vergessen hat, eine selbstbewusste, eigenständige und kämpferische Person zu sein. Christopher Bolam ist ein enorm sympathischer Bert, dessen Charme sich nicht einmal Mary Poppins entziehen kann. Sowohl in den leiseren, nachdenklichen Songs oder im Duett mit Mary wie zum Beispiel bei „Chim Chiminey“ als auch in den großen Shownummern „So ein wunderschöner Tag“ oder „Schritt für Schritt“ überzeugt er sowohl mit seinem schönen Timbre als auch mit seinem tänzerischen Talent.

Alle Augen richten sich in dieser Inszenierung natürlich auf Alexandra-Yoana Alexandrova in der Titelrolle. Bis vor kurzem noch als Maria Stuart in der Uraufführung von „Die Königinnen“ am Landestheater Linz zu sehen, zeigt sie jetzt als Mary Poppins, warum sie sich immer mehr zum geheimen neuen Star auf den deutschsprachigen Musicalbühnen entwickelt: In ihren Schauspielszenen legt sie ihre Rolle, anders als beim filmischen Vorbild von Julie Andrews, mit einer dermaßen verbindlichen und streckenweise penetranten Strenge und Selbstüberzeugtheit an, dass sich das Publikum schon beinahe unwillkürlich ordentlich und aufrecht hinsetzt, sobald sie die Bühne betritt. Mit ihrer großartigen Bühnenpräsenz und ihrem glockenhellen Sopran bei „Völlig ohne Fehler“ oder „Mit ’nem Teelöffel Zucker“ ist sie eine Idealbesetzung für diese Rolle.

Kurz vor der Premiere von „Mary Poppins“ ließen die Thunerseespiele bereits mit der Ankündigung der Nachfolgeproduktion für den Sommer 2025 aufhorchen: Mit „Der Glöckner von Notre Dame“ ist es den Festspielen nämlich erneut gelungen, sowohl eine Schweizer Erstaufführung als auch die erste Open-Air-Inszenierung im deutschsprachigen Raum eines weiteren Stücks aus dem Hause Disney an Land zu ziehen. Nach der diesjährigen Inszenierung von „Mary Poppins“ kann das Thuner Publikum also hoffnungsvoll in den Sommer 2025 blicken.

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
RegieMatthias Davids
ChoreographieKim Duddy
BühnenbildAndrew Edwards
KostümeAleš Valášek
Musikalische LeitungIwan Wassilevski
Patrick Secchiari
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
Mary PoppinsAlexandra-Yoana Alexandrova
(Hanna Kastner)
BertChristopher Bolam
(Leon De Graaf)
Jane BanksKarin Anreiter
Meret Lötscher
Noée Täschler
Jasmina Zäh
Michael BanksVictor Delaquis
Noa Hässig
Yvan Stucki
Paco Von Wyss
Winifred BanksJohanna Zett
George BanksPatrick Imhof
Miss AndrewKim Reizevoort
Miss Lark / Miss SmytheCécile Gschwind
(Kim Reizevoort)
Mrs. Corry / Queen VictoriaKaatje Dierks
Mrs. BrillJacqueline Braun
(Marina Petkov)
VogelfrauJacqueline Braun
(Kaatje Dierks)
Katie NannaClaudia Artner
Parkwächter / von ReibachGerd Achilles
Robertson AyLeon De Graaf
(Sebastian Prange)
NeleusLoek Meijer
(Andrea Viggiano)
Admiral Boom / BankdirektorJoel Parnis
John NorthbrookSebastian Prange
PolizistNathan Saxon
EnsembleKim Reizevoort
Cécile Gschwind
Kaatje Dierks
Jacqueline Braun
Claudia Artner
Hanna Kastner
Marina Petkov
Noa Ryff,
Anastasia Stojko
Ellie van Gele
Leon De Graaf
Loek Meijer
Joel Parnis
Sebastian Prange
Nathan Saxon
Nils Axelsson
Tjesse Bleijenberg
Nathan Zach Johnson
Shane Landers
Andrea Viggiano
Rollen-SwingGerd Achilles
Denise Jastraunig
Cross-SwingAnastasia Bertinsshaw
Ensemble-SwingGabriele Bruschi
  
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 06.07.2024 17:30Seebühne, ThunGeneralprobe
Mi, 10.07.2024 20:00Seebühne, ThunPremiere
Fr, 12.07.2024 20:00Seebühne, Thun
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