Mark Weigel (Annas), Til Ormeloh (Judas), Alexander Alves de Paula (Kaiphas), Ensemble © Pedro Malinowski
Mark Weigel (Annas), Til Ormeloh (Judas), Alexander Alves de Paula (Kaiphas), Ensemble © Pedro Malinowski

Jesus Christ Superstar (2024)
Staatstheater, Nürnberg

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Im Titelsong der Rockoper um die letzten sieben Tage im Leben von Jesus Christus legt Texter Tim Rice seinem Judas die Frage in den Mund, was passieren würde, wenn Jesus heute auf die Welt käme. Diese Frage scheint der Ausgangspunkt der Inszenierung von Andreas Gergen am Staatstheater Nürnberg zu sein, der die Passionsgeschichte in die heutige Zeit legt und für alle Akteure eine Entsprechung in der Gegenwart findet. Und obwohl – oder vielleicht, auch weil – die Schlussfolgerungen nur schwer verdaulich sind, gelingt ein enorm beeindruckender Theaterabend.

Andreas Gergen verlegt die Geschichte von Jerusalem direkt in das Herz der katholischen Kirche: In den Vatikanstaat. Pontius Pilatus ist der Präfekt der Glaubenskongregation, die Hohepriester Kajaphas und Annas Kardinäle und Herodes der Papst. Jesus lebt mit Maria Magdalena und ihrem Kind in einer schlicht eingerichteten Wohnung und die Jünger sind „Jesus People“, eine späte Hippie-Bewegung die sich für die Abschaffung des Zölibats, eine größere Rolle der Frau in der Kirche und eine echte Aufarbeitung der Missbrauchsfälle fordern. Dabei gelingen Gergen enorm beeindruckende Bilder: In der Tempelszene freuen sich jetzt die Würdenträger der katholischen Kirche über den Geldsegen und packen die Scheine, die sie von den Touristen an den Merchandise-Ständen des Petersdoms bekommen haben, in Geldkoffer, nachdem sie diese freudig durch die Luft geworfen haben. Unterstützt vom dünster auftretenden Opernchor des Staatstheaters entwickelt diese Szene eine neue und bisher nicht gekannte Bedrohlichkeit und Beklemmung.

Dem entgegen steht ein Jesus, der – egal wie schlimm die Kirche agiert – trotzdem seinen Kurs nicht verliert. Er legt auch einer der prominentesten – und in letzter Zeit auch nicht mehr ganz unumstrittenen – Vertreterin der katholischen Kirche, Mutter Theresa, die Hand auf, so dass diese aus ihrem Rollstuhl aufstehen und wieder laufen kann. Bei allem Lob für Gergens konsequenten und innovativen Ansatz bleibt allerdings auch ein kleiner Wermutstropfen: Obwohl der Fokus der Inszenierung ganz klar darauf liegt, den Finger in die Wunde zu legen, ist der Blick manchmal zu schwarz-weiß angelegt: Das Bild, dass die Institution Kirche mit den Menschen in der Kirche gleichschaltet und diese allesamt als korrupt und von niederen Instinkten getrieben zeichnet, ist sicherlich an der ein oder anderen Stelle zu holzschnittartig geraten und wird den tatsächlichen Gegebenheiten nicht immer gerecht.

Das Bühnenbild von Momme Hinrichs setzt die Vorgaben der Inszenierung bildstark um. Im Hintergrund sind viele Projektionen des Petersplatzes oder Innenansichten des Petersdoms sichtbar, die durch sich immer wieder verändernde Versatzteile wie Säulen, Kirchenbänke oder ein Taufbecken ergänzt werden. Die Wohnung von Jesus und Maria Magdalena liegt auf einer höheren Ebene und steht in ihrer Schlichtheit im Gegensatz zum Prunk der Kirche. Regie und Bühnenbild greifen in dieser Inszenierung sehr gelungen ineinander und lassen sehr schöne Szenen – wie zum Beispiel bei „Gethsemane“ gelingen: Jesus beginnt diesen Song auf dem vorderen Teil der Bühne – quasi in den Gassen des Vatikanstaates – und geht dann über die Treppe hinauf in seine Wohnung. Die Bühne dreht sich und gibt den Blick auf die Außenfassade frei. Jesus steht am offenen Fenster und wendet sich – wie der Papst aus dem Fenster des Apostolischen Palastes – an die Menschen und schreit ihnen seine Verzweiflung und seine Bereitschaft für sie zu sterben, weil es so vorausbestimmt ist, entgegen.

Durch die Mischung von realem Bühnenbild und Projektionen entstehen auch wunderbar flüssige Übergänge zwischen den Szenen, zum Beispiel, wenn Judas sich im hinteren Teil der Bühne aus Verzweiflung über seinen Verrat das Leben nimmt, die Szene dann immer mehr verblasst und im Vordergrund ein antikes Gemälde des Malers Giovanni Ambrogio de Predis mit dem erhängten Judas projiziert wird, vor dem die Kardinäle achselzuckend stehen, ihren Geldkoffer zurücknehmen und von der Bühne gehen.

Als Kooperation mit der Bayerischen Theaterakademie August Everding sind die Rollen der „Jesus People“ mit den dort Studierenden besetzt. Sie alle spielen und tanzen in dieser Produktion mit viel Einsatz und geben der Inszenierung einen besonderen Drive.

Im Interview mit der musicalzentrale erzählt Andreas Gergen, dass es ihm besonders wichtig gewesen sei, seine Inszenierung „nicht mit den üblichen Verdächtigen zu besetzen“. So gehen die beiden Hauptrollen an die noch sehr jungen Til Ormeloh (Judas) und Lukas Meyer (Jesus). Eine Rechnung, die vollkommen aufgeht. Til Ormeloh ist ein energiegeladener Judas, der seine ganze Wut und Verzweiflung hinausschreit. Mit ungewöhnlichen Akzentuierungen gelingen ihm immer wieder neue und interessante Interpretationen der mittlerweile über 50 Jahre alten Songs. Lukas Mayer legt seinen Jesus beinahe sphärisch an. Er schwebt im wahrsten Sinne des Wortes wie nicht von dieser Welt über die Bühne und steht damit sehr schön im deutlichen Gegensatz zu seinem Gegenpart des Judas. Stimmlich bedienen beide ihre rockigen Rollen mühelos.

Dorina Garuci macht die Liebe, die Maria Magdalena für Jesus empfindet, deutlich und versieht ihre Rolle mit einem beeindruckenden Soul, der in der aufgeheizten Inszenierung für einen dringend notwendigen Ruhepol sorgt. Denis Riffel, der zeitgleich in Gmunden auch Evan Hansen beim Musicalfrühling spielt, übernimmt die kleinere Rolle des Simon und darf hier eine ganz andere Seite – nämlich den Revoluzzer – zeigen. Ebenfalls als Gast des Staatstheaters Nürnberg steht Marc Clear als Pilatus auf der Bühne. Er interpretiert „Pilates Dream“ enorm gefühlvoll und nachdenklich. Trotz Härte und Strenge in der Stimme spürt er selbst jeden der 39 Peitschenhiebe, zu denen er Jesus verurteilt; seine Mimik zeigt das ganze Leid, unter dem er beinahe zusammenbricht.

Im Orchestergraben des Opernhauses Nürnberg nehmen neun Musiker unter der Leitung von Jürgen Grimm Platz und lassen Andrew Lloyd Webbers rockige Partitur geradezu erstrahlen. Mit hohem Tempo und viel Energie treibt die „Jesus Band“ die Geschichte immer weiter voran. Die sehr ausgewogene Tontechnik ermöglicht ein gutes Textverständnis der englischen Originaltexte und lässt die Orchestermusik doch niemals in den Hintergrund geraten. 

Auch wenn Gergens Inszenierung dem Publikum einen sehr schwer verdaulichen „Jesus Christ Superstar“ auftischt, an dessen Ende die Erkenntnis steht, dass sich nichts an der Geschichte ändern würden, wenn Jesus heute (wieder) auf die Welt käme, schließt er doch mit einem versöhnlichen Bild: Im finalen Orchesterstück „John Nineteen: Forty One“ lässt Gergen Jesus im Hintergrund ohne Blutspuren und Wunden wieder auf die Bühne kommen und deutet bei aller Kritik an Kirche und den völlig unzureichendem Umgang mit den aktuellen Herausforderungen an, dass – wie im Programmheft der Nürnberger Inszenierung beschrieben -, die Hoffnung bleibt, dass der Tod Jesu nicht umsonst war.

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungJürgen Grimm
InszenierungAndreas Gergen
Bühne, VideoMomme Hinrichs
KostümeAleksandra Kica
ChoreografieFrancesc Abós
 
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CAST (AKTUELL)
Jesus ChristLukas Mayer
JudasTil Ormeloh
Maria MagdalenaDorina Garuci
Pontius PilatusMarc Clear
KaiphasAlexander Alves de Paula
AnnasMark Weigel
PetrusSamuel Türksoy
HerodesHans Kittelmann
Simon ZelotesDenis Riffel
SoulgirlsYoko El Edrisi
Grijalva Villalobos
Enny Alejandra
Dorina Garuci
Jesus PeopleMadleen Dederding
Laura Oswald
Alida Will
Ehab Eissa
Jens Emmert
Teodor Pop
Kabelo Lebyana
Raphael Binde
OrchesterJesus Band
ChorChor des Staatstheater Nürnberg
KinderstatisterieStatisterie des Staatstheater Nürnberg
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Do, 22.02.2024 18:15Opernhaus, NürnbergÖffentliche Probe
So, 03.03.2024 19:00Opernhaus, NürnbergPremiere
Sa, 09.03.2024 19:30Opernhaus, Nürnberg
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