 |
 Udo-Lindenberg-Musical
Hinterm Horizont Mädchen aus Ostberlin
© Stage Entertainment
© Stage Entertainment
Die Ost-West-Story kommt relativ langatmig und immer noch ärgerlich klischeehaft in Westdeutschland an. Beim Umzug von Berlin nach Hamburg wurde leider die Chance vertan, die Schwächen des Udo-Lindenberg-Musicals auszumerzen oder zumindest zu reduzieren. Doch die Hamburger Produktion kann mit einer tadellosen Besetzung und einer Band, die es richtig gut krachen lässt, für sich einnehmen.
(Text: mr) Premiere: | | 10.11.2016 | Dernière: | | 29.10.2017 |
© Stage Entertainment
© Stage Entertainment
Die an Höhepunkten arme Liebesgeschichte zwischen Lindenberg und der Ost-Berlinerin Jessy wird, wie schon in der Original-Produktion, gestreckt durch Szenen aus Jessys Familienleben mit besonderem Fokus auf ihren Bruder Elmar, der zum Ende des ersten Aktes in den Westen flieht. Außerdem gibt es noch einige Szenen, in denen die DDR-Politiker über ihren Umgang mit dem "gefährlichen Saboteur" Lindenberg diskutieren. Der trottelige Minister und zwei Dumpfbacken als Stasi-Spitzel sorgen zwar für den einen oder anderen Lacher im Publikum, doch diese unrealistische Darstellung der deutschen Vergangenheit ist und bleibt einer der Hauptkritikpunkte an dem Buch.
Die angekündigten auf den neuen Spielort zugeschnittenen Änderungen bleiben unauffällig. Auch für die neu eingefügten Songs wurde wenig Aufwand betrieben. Das in der Hansestadt nahezu unerlässliche "Reeperbahn" bekommt einen kleinen ersten Auftritt beim von der Stasi inszenierten Udo-Doppelgänger-Casting. Hier wird es in verschiedenen witzig gemachten Varianten – z.B. als Opernarien-Verschnitt oder auf gesächselte Flamenco-Art – angespielt. Voll ausgesungen kommt der Song dann in der Zugabe zur Geltung. "Einer muss den Job ja machen" leitet die Final-Szene im Hotel Atlantic, in der Udo-Doppelgänger gesucht werden und letztendlich Udo seinen Sohn kennenlernt, ein. Ein netter Song, für den es aber an dieser Stelle genauso wenig eine dramaturgische Notwendigkeit gibt wie für den "Lindenberg-Mega-Mix", der nach dem eigentlichen Ende der Handlung, aber noch vor dem Schlussapplaus eingefügt wurde.
© Stage Entertainment
© Stage Entertainment
Alex Melcher legt die Rolle des Udo Lindenberg sehr charmant an, genau im richtigen Maß überdreht, aber auch ernsthaft-engagiert. Wie viel Original-Udo muss in dieser Rolle zu hören sein bzw. wie weit darf man sich davon entfernen? Im größten Teil seiner Dialoge ist ein leichter genuschelter "Udo-Slang" zu hören, nur in wenigen bedeutungsvollen Sätzen betätigt er sich als regelrechter Imitator. Auch gesanglich findet er seinen eigenen Stil, der an das Original erinnert ohne als Kopie dazustehen.
Josephin Busch bestreitet als Jessy ihren großen Part, den sie bereits seit der Uraufführung 2011 spielt, absolut routiniert. Jede Gefühlsregung sitzt und überzeugt. Ihre Gesangsstimme ist nicht überragend, hat aber gerade für die rockigeren Momenten, von denen man Jessy einige mehr gewünscht hätte, genau das richtige Timbre. Auch der Rest der Besetzung, die größtenteils bereits in Berlin Erfahrungen in diesem Musical gesammelt hat, hinterlässt einen positiven Eindruck, Nadja Petri kann als "Jessy heute" mit schöner Chanson-Stimme für sich einnehmen, Dorina Maltschewa sticht als Jessys Mutter und in ihren weiteren Rollen durch ihren fabelhaften Sinn für Komik heraus.
© Stage Entertainment
© Stage Entertainment
Die tolle Rockband ist mit hörbar viel Spaß bei der Sache; nur die Abstimmung zwischen Band und Sängern stimmt zur Medienpremiere noch gar nicht. Die daraus resultierende Textunverständlichkeit, die sich durch das gesamte Stück zieht, ist das größte Ärgernis des Abends.
Die Choreographien sind nett anzusehen, sie bleiben aber manchmal zu unverbindlich. Wenn Polizisten tänzerisch auf musikalische Rebellen treffen, wird die Bühne dabei zwar gut ausgenutzt, wirkliche Charakterisierungen durch die Choreographie sind aber leider Fehlanzeige. Somit fesseln diese Szenen längst nicht so sehr wie es möglich wäre. Das absolute Highlight ist nach wie vor die Szene "Willkommen in Berlin": Zu der Gänsehaut-trächtigen Hymne wird auf der Bühne die Wiedervereinigung zelebriert. Die Szene beginnt mit Originalaufnahmen aus der Nacht der Maueröffnung, dann setzt die Band mit dem Song ein, während Menschen aus Ost und West, Figuren wie Ampel- oder Sandmännchen und mittendrin Jessys Familie die Ereignisse feiern.
Dem an sich unveränderten Bühnenbild hat der Umzug ins kleinere Operettenhaus gut getan. Gerade das immer wieder hereinfahrende Wohnzimmer von Jessys Familie wirkte auf der riesigen Bühne in Berlin etwas verloren und fügt sich nun besser in das Gesamtkonzept ein. Darüber hinaus ist selbstverständlich auch in Hamburg der überdimensional große Lindenberg-Hut, der immer mal wieder im Zentrum der Bühne steht und von allen Seiten bespielbar ist, ein echter Hingucker. Reichlich oft werden die Projektions-Wände für kleine Filme als Szenen-Übergang genutzt; auch dadurch werden Möglichkeiten verschenkt. Wenn z.B. Jessys Bruder Elmar in das Visier der Stasi gerät und als Druckmittel gegen Jessy in Arrest genommen wird, dann läuft seine Inhaftierung als Filmchen auf den Wänden. Doch wieviel bedrückender würde diese Szene wirken, wäre sie an jedem Abend live dargestellt – wir sind doch schließlich im Theater und nicht im Kino!
© Stage Entertainment
© Stage Entertainment
Und so bleibt festzuhalten: Letztendlich ist der Humor zu gewollt und die Liebesgeschichte zu langatmig. Da kann die Band noch so gut abrocken – ein wirklich fesselndes Theatererlebnis ist "Hinterm Horizont" in Hamburg nicht.
(Text: Michael Rieper)

Verwandte Themen: Hintergrund: Ein Tag mit: Selina Mai (Hinterm Horizont, Hamburg) (09.03.2017)
Kreativteam
Besetzung
=08/2017-10/2017=
| | | Udo | | Alex Melcher, (Andy Klinger) (Sebastian Zierof)
| | | Jessy jung | | Eve Rades Josephin Busch, (Julia-Elena Heinrich) (Linda Rietdorff)
| | | Jessy heute | | Nadja Petri, (Britta Boehlke) (Lena Sophie Vix)
| | | Steve | | David Nádvornik Christopher Brose, (Andy Klinger) (Dennis Kornau) (Sebastian Zierof)
| | | Elmar | | Benjamin Schaub, (Laurens Walter) (Dennis Kornau)
| | | Vater Marco heute Eddie Prof. Scheuerlich | | Boris Böhringer, (Lutz Leyh) (Martin Timmy Haberger)
| | | Stasi Patschinsky | | Daniel Fries Raul Semmler, (Andy Klinger) (Laurens Walter)
| | | Stasi Krause | | Ralf Novak, (Martin Timmy Haberger) (Lutz Leyh) (Laurens Walter)
| | | Mutter Pressesprecherin Barbara Saftig | | Dorina Maltschewa, (Josephine Bönsch) (Lena Sophie Vix)
| | | Mareike | | Britta Boehlke Mareike Zwahr [August 2017], (Josephine Bönsch) (Julia-Elena Heinrich)
| | | Marco jung | | Karsten Jaskiewitz, (Mathias Güthoff) (Jakob Nienhaus)
| | | Minister | | Rainer Brandt Fritz Hille, (Lutz Leyh) (Ralf Novak)
| | | Stasi Fritsche | | Lutz Standop, (Mathias Güthoff) (Jakob Nienhaus)
| | | Kmetsch | | Björn Schäffer, (Mathias Güthoff) (Stephan Zenker)
| | | Kremer | | Enrico Treuse, (Mathias Güthoff) (Andy Klinger) (Stephan Zenker)
| | | Der Irre | | Markus Schabbing, (Dennis Kornau) (Jakob Nienhaus) (Stephan Zenker)
| | | Ensemble | | Lena Sophie Vix Olivia Kate Ward Victoria Kaspersky Isabelle Vedder Linda Rietdorff Andras Simonffy Adam Cooper
| | | Swings | | Josephine Bönsch Claire Braizer Julia-Elena Heinrich Isabel Volk Mathias Güthoff Dennis Kornau Jakob Nienhaus Laurens Walter Stephan Zenker
| |
Frühere Besetzungen? Hier klicken =11/2016-07/2017=
Udo - Alex Melcher, (Andy Klinger, Patrick Adrian Stamme, Sebastian Zierof)
Jessy jung - Josephin Busch, Eve Rades, Johanna Spantzel, (Selina Mai, Lisa-Marie Sumner, Linda Rietdorff)
Jessy heute - Nadja Petri, (Britta Boehlke, Lena Sophie Vix)
Steve - David Nádvornik, (Andy Klinger, Christoph Schinkel)
Elmar - Marcus Schinkel / Benjamin Schaub, (Laurens Walter, Christoph Schinkel)
Vater / Marco heute / Eddie / Prof. Scheuerlich - Boris Böhringer / Lutz Leyh, (Martin Timmy Haberger)
Stasi Patschinsky - Holger Dexne / Raul Semmler, (Andy Klinger, Laurens Walter)
Stasi Krause - Ralf Novak, (Martin Timmy Haberger, Lutz Leyh)
Mutter / Pressesprecherin / Barbara Saftig - Dorina Maltschewa, (Josephine Bönsch)
Mareike - Britta Boehlke, (Josephine Bönsch, Lisa-Marie Sumner)
Marco jung - Karsten Jaskiewitz, (Mathias Güthoff, Jakob Nienhaus)
Minister - Rainer Brandt / Fritz Hille, (Lutz Leyh)
Stasi Fritsche - Lutz Standop, (Mathias Güthoff, Jakob Nienhaus)
Kmetsch - Marco Fahrland-Jadue, (Mathias Güthoff, Stephan Zenker)
Kremer - Thomas Schreier, (Mathias Güthoff, Stephan Zenker)
Der Irre - Patrick Adrian Stamme [11/2016-01/2017], Markus Schabbing, (Jakob Nienhaus, Stephan Zenker)
Ensemble - Lena Sophie Vix, Olivia Kate Ward, Lucina Scarpolini, Lisa-Marie Sumner, Linda Rietdorff, Andras Simonffy, Adam Cooper
Swings - Selina Mai, Josephine Bönsch, Isabel Volk, Stephan Zenker, Mathias Güthoff, Jakob Nienhaus, Christoph Schinkel, Laurens Walter
Produktionsgalerie (weitere Bilder)
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 2 Zuschauer haben eine Wertung abgegeben:

    31550 Lauwarm langweilig
09.09.2017 - Zuwenig Musik, zuviel Bemühtheit ohne Charme und Authentizität.
Das Musical wirkt bis in wenigen Ausnahmen aufgesetzt und künstlich. Es ist zuviel halbherzig hineingepackt worden, so das nichts wirklich zündet: Udo Lindenberg und die unglaubwürdige künstliche Love-Story, die emotional schlichtweg nicht berührt. Die DDR Geschichte, wahllos und ziellos in Versatzstücken aus den Jahrzehnten zusammengeklaubt, dabei den wichtigen dramatischen Faktor - die Stasi - als Clowns dargestellt. Damit verharmlost und klischee-siert, banalisiert. Mauerfall und Ost-West - sowas von dramatischen Höhepunkten nicht genutzt! Tagesschau-Einspieler statt Live-Action. Dann will das Stzück auch Dokumentarfilm, sowieso Film sein und überfrachtet die Show mit Videos hier und da.
das alles auf Kosten der Kurzweiligkeit und der Musik. Die wird selten ausgespielt, scheint nur Beiwerk. Viele melodiöse Hits von Udo fehlen. Der 1. Akt völlig zäh. Der Schluss des 2. deutet an, was die ganze Show hätte sein können: eine unterhaltsame Show mit Hirn. Ist sie leider nicht, allenfalls Mittelmaß unten. Darsteller top, offenbar komplett die Erstbesetzung ! Bühnenbild überraschend gut.
Zuschauer: vielleicht 600 im Parkett am Freitagabend. Selten so ein leeres Theater in Hamburg gesehen.
Das potential der Musik, der DDR-BRD Geschichte, des Showfaktors - wurde nicht genutzt. Es war mein erster und letzter Besuch der Show.

Clementine (10 Bewertungen, ∅ 3.4 Sterne)
    31477 Verschlimmbesserung eines eh schon dürftigen Musicals
18.07.2017 - Die letzten halbe Stunde ist jetzt noch zäher als vorher. Einzig die Darsteller reißen noch etwas raus. Die Handlung muss man mögen oder nicht, Alex Melcher und Josephin Busch reißen vieles raus, soweit ihnen das bei diesem Buch noch möglich ist.

jongleur (49 Bewertungen, ∅ 3.3 Sterne)

Bitte melden Sie sich an, wenn Sie einen Leserkommentar abgeben wollen. Neu registrieren | Logon Details können Sie hier nachlesen: Leserkommentare - das ist neu |
 |
|
 |
Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
|
Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
 |
 |