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 Drama
Titanic Godspeed, Titanic! Ein Musical wie "Titanic" ist wie gemacht für eine Großproduktion: ein opulentes Bühnenbild, das den Ozeanriesen in all seinem Prunk wiedergibt, ein zahlenmäßig überwältigendes Ensemble, um den Chornummern gerecht zu werden, eine große Bühne für große Gefühle. Dass Maury Yestons Drama als Kammerstück tatsächlich jedoch noch viel effektiver ist, beweist Thom Southerlands Produktion im Charing Cross Theatre auf eindrucksvolle Weise. Im Rahmen der UK-Tour spielt diese englischsprachige Produktion mit deutschen Untertiteln im August 2018 in Hamburg.
(Text: Claudia Leonhardt) Premiere: | | 06.06.2016 | Rezensierte Vorstellung: | | 09.06.2016 | Dernière: | | 13.08.2016 |
Am Ende stehen die Überlebenden des wohl berühmt-berüchtigtsten Schiffbruchs der Geschichte vor einer übergroßen, raumhohen Anzeige mit den Namen der Opfer und erinnern sich zurück an den glorreichen Moment der Abfahrt: "Sail on, sail on, great ship Titanic!" Im Publikum bleibt kaum ein Auge trocken. Es ist einer der vielen Momente in Southerlands Inszenierung, die bereits 2013 im Londoner Southwark Playhouse zu sehen war, der unter die Haut geht.
Das ist kein Zufall: In dem winzigen Theater am Off-West-End entfaltet das Stück eine ganz andere Dynamik als auf den großen Bühnen am Broadway oder in Hamburg. War man dort nur Zeuge des tragischen Geschehens, so ist man hier in der Enge des nur 260 Personen fassenden Zuschauerraums hautnah dabei. Wenn die Darsteller nach dem Schiffbruch in Decken eingehüllt zum Anfassen nah in den Gängen neben den Sitzreihen stehen und von den versickernden Schreien der Ertrinkenden berichten, dann fühlt sich das mehr als nur ein bisschen beklemmend an. Auch das markerschütternde Geräusch, als die Titanic am Ende des ersten Akts auf den Eisberg aufläuft, füllt den Zuschauerraum hier ganz anders als in einem großen Auditorium. Für einen Moment erlöschen alle Lichter – Saal und Bühne sind vollständig in Dunkelheit eingehüllt. Wenn es wieder hell wird und die Zuschauer in die Pause entlassen werden, dauert es ungewohnt lange, bis die Gespräche beginnen. Ganz so, als müssten sich alle erst einmal erinnern, dass sie nicht tatsächlich auf einem sinkenden Schiff, sondern in einem Londoner Theater sitzen.
Trotz der reduzierten Größe gelingt David Woodhead ein Bühnenbild, das die Titanic mit wenigen Elementen anschaulich charakterisiert. Zwei Ebenen zeigen verschiedene Decks, abgegrenzt durch eine Schiffs-typische Reling, dazu fahrbare Treppenelemente als Fallreeps. Beeindruckend ist vor allem, wie einfach und doch effektvoll das Sinken des Schiffs bei "Andrew's Vision" stilisiert wird: Die obere Ebene wird von Ensemble-Mitgliedern an Leinen schräg nach oben gezogen, bis sie fast senkrecht steht und der sich verzweifelt ans Geländer klammernde Andrews ins Dunkel herunterrutscht. Unterstützt wird die Dramatik dieser Szenen durch das vielseitige Licht- und Sounddesign von Howard Hudson bzw. Andrew Johnson. Auf den Punkt werden Beleuchtung und Hintergrundgeräusche so eingesetzt, dass nicht nur verschiedene Szenerien (etwa der von flackerndem orange-rotem Licht erhellte Heiz-Raum) dargestellt, sondern auch gekonnt Spannungsmomente gesetzt werden. Dass die in unmittelbarer Nähe fahrende U-Bahn ab und an für Rumoren und Vibrationen sorgt, ist ein eher ungewollter Nebeneffekt, der sich aber gerade im zweiten Akt gut ins Stück einfügt.
Eine Herausforderung an die Kammerversion ist es, mit nur 20 Darstellern mehr als doppelt so viele Charaktere zu besetzen. Und so schlüpft fast jeder der Akteure neben seiner Solo-Rolle noch in verschiedene Nebenrollen. Niall Sheehy, der den Heizer Fred Barrett spielt, ist beispielsweise gleichzeitig auch als Benjamin Guggenheim sowie als einer der (namenlosen) Dritte-Klasse-Passagiere zu sehen. In der Inszenierung ist nichts zu spüren von der Hektik, die hinter der Bühne angesichts der unzähligen schnellen Wechsel der aufwendig gefertigten, historischen Kostüme (ebenfalls von David Woodhead) herrschen muss. Alles läuft wie am Schnürchen. Da so in den Massenszenen stets fast die vollständige Besetzung auf der Bühne steht, klingen die Chornummern trotzdem mächtig-gewaltig. Der einzige spürbare Nachteil des kleinen Ensembles ist, dass durch die Doppelbesetzung der Darsteller am Ende nicht ganz klar ist, wer die Katastrophe nun eigentlich überlebt hat.
Aus dem durchgängig stimmstarken und überzeugend agierenden Cast stechen vor allem Niall Sheehy, Victoria Serra und David Bardsley heraus. Mit klarer, kraftvoller Stimme gelingt es Sheehy, sowohl mit seinem Solo "Barrett's Song" als auch gemeinsam mit Matthew Crowe als Funker Bride beim sehnsuchtsvollen Duett "The Proposal / The Night Was Alive" für Highlights zu sorgen. Victoria Serra macht die junge Irin Kate McGowan, die von einer glücklichen Zukunft im fernen Chicago träumt, mit ihrer energiegeladenen, authentischen Performance zu einer der großen Sympathieträgerinnen des Stücks. Für David Bardsley ist die Aufgabe ungleich schwieriger: Als Titanic-Eigentümer Ismay fällt ihm ein Großteil der Schuld am Unglück zu und sein Sprung ins Rettungsboot macht den Charakter nicht sympathischer. Dennoch charakterisiert die Inszenierung ihn differenzierter als die Uraufführung. Anders als dort singt er und nicht Andrews den Eröffnungsong im Prolog "In Every Age" – eine reuevolle Rechtfertigung, dargeboten in Bardsleys sonorer, angenehmer Stimme.
Maury Yestons monumentale Partitur klingt in der reduzierten Orchestrierung der Kammerversion deutlich mächtiger als die Größe der Band es vermuten lässt. Mit nur sechs Musikern gelingt es bravourös, die gesamte Schlagkraft aus den Kompositionen herauszukitzeln.
Der Ideenreichtum und die durchschlagende emotionale Resonanz der Aufführung sowie die überwältigende Leistung des Ensembles machen "Titanic" zu einem Geheimtipp. Das kleine Theater zwischen den Bahnhöfen Charing Cross und Embankment ist nicht ganz einfach zu finden und steht nicht auf den Plänen vieler Ticketverkäufer am Leicester Square, doch der Besuch lohnt sich.
(Text: Claudia Leonhardt)

Verwandte Themen: Produktion: Titanic (Churchill Theatre London) Produktion: Titanic (Southwark Playhouse Borough London)
Kreativteam
Besetzung
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 2 Zuschauer haben eine Wertung abgegeben:

    31167 Ganz großartig!
02.08.2016 - Kannte vorher nur die Stage-Entertainment-Bombast-Großproduktion und war komplett überwältigt, wie wunderbar das Stück hier auf der ganz kleinen Bühne funktioniert.

Sandrine (21 Bewertungen, ∅ 4.1 Sterne)
    31124 Genial!
24.06.2016 - Geniale Produktion! Absolutes Must see!

The_WiZ (9 Bewertungen, ∅ 4.6 Sterne) 
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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