Ein Spot richtet sich auf den noch geschlossenen tiefroten Samtvorhang des Vogtlandtheaters Plauen. Eine weiß behandschuhte Hand kommt zwischen den Vorhängen zum Vorschein und deutet dem Publikum gestisch, dass es nicht erwünscht sei, zu filmen, zu fotografieren und um Himmels Willen vor allem nicht mit Papier zu rascheln. Dem schmunzelnden Publikum wird bereits an dieser Stelle klar, dass in den folgenden knapp zweieinhalb Stunden dem Addams-Family-Kult in jeder erdenklichen Weise gefrönt wird. Dabei ist es völlig nebensächlich, dass die Handlung ziemlich vorhersehbar oder der ein oder andere Gag ein ziemlicher Kalauer ist. Es zählt nur, dass es einfach verdammt viel Spaß macht!
Die Handlung von „The Addams Family“ ist schnell erzählt: Wednesday, die Tochter der Familie, möchte Lucas Beineke heiraten. Dieser stammt aus einer Familie, die jedoch in ihrer Bodenständigkeit und Spießigkeit so gar nicht zu den verrückten Addams passen will. Sie vertraut sich ihrem Vater an, der ihr verspricht, sie zu unterstützen und ihr Geheimnis nicht zu verraten. Bei einem gemeinsamen Abendessen sollen die beiden Familien sich kennenlernen. Mutter Morticia ahnt jedoch schnell, dass Gomez ein Geheimnis vor ihr hat. Bühne frei für ein wildes und oft hanebüchenes Abenteuer: Bereits bei der Eröffnungsnummer „Bist du ein Addams“ ist dermaßen viel los, dass es beinahe unmöglich ist, das Geschehen komplett zu erfassen. Neben den bekannten Charakteren der Addams Family tummeln sich, quasi als Backgroundchor und Tänzer noch eine illustre Schar bereits verstorbener Prominenter oder besser gesagt, deren komplett graue Leichen wie Karl Lagerfeld, Albert Einstein, Max und Moritz oder Tutanchamun auf der Bühne. Erst im Laufe des Abends wird es dem Publikum möglich, alle Ensemblemitglieder ihren Alter Egos zuzuordnen. Dass jedes Ensemblemitglied eine historische oder fiktive Persönlichkeit und nicht eben einfach eine beliebige Person darstellt, ist typisch für die große Detailverliebtheit dieser Inszenierung, welche sich durch alle Facetten der Show hindurchzieht.
Die Geschichte spielt im oder vor dem Haus der Addams im New Yorker Central Park. An den Bühnenrändern und im Hintergrund ragen dunkle, blattlose Bäume in den Himmel, die der gesamten Show bereits den passenden morbiden Charme verleihen. Im Zentrum hat Bühnenbildnerin Eva Humburg die Villa der Addams als großes Element mit einer Tür in der Mitte und seitlichen Treppenaufgängen platziert. Dank einer Drehbühne verwandelt sich dieses Element mal in die Kulisse für ein Schlafzimmer, mal in den Eingangsbereich und – besonders schön gelungen, wenn die Bühne sich so dreht, dass eine der Treppen im Vordergrund steht – in das Treppenhaus der Addams. Dies ermöglicht einen sehr schnellen und vor allem flüssigen Szenenwechsel, der es Regisseur Manfred Ohnoutka ermöglicht, in seiner Inszenierung enorm auf die Tube zu drücken. Das Tempo tut der Show sehr gut und kaschiert die etwas seltsame Architektur des Musicalbuchs mit der starken Betonung der Sprech- und Spielszenen im ersten Akt und der überwiegend musikalischen Erzählung der Geschichte im zweiten Akt. Überaus komische und alberne Momente gelingen Ohnoutka besonders bei Nummern wie „Sag die Wahrheit!“, wenn Morticia Gomez beim Dinner mit den Beinekes zwingen will, sein Geheimnis zu verraten. Dies wird in der Szene aber verhindert, weil Wednesdays eifersüchtiger Bruder Alice Beineke aus Versehen eine Wahrheitsdroge verabreicht, die diese zur völligen Eskalation bringt. Herrlich, wie die eigentlich so prüde Alice sich auf der langen Tafel lasziv wälzt, während die Addams völlig ungerührt in ihr Spiel vertieft sind.
Unterstützt wird diese auf Tempo setzende Inszenierung durch die Clara-Schumann-Philharmoniker Plauen-Zwickau. In den Shownummern kraftvoll und schmissig, in den vielen Tango-Nummern der Show verführerisch fließend führt Dirigent Michael Nündel das Orchester durch die Show. Die Tontechnik ist sehr fein ausgesteuert, so dass jeder einzelne Kastagnettenschlag zu hören ist. Das Verhältnis zwischen den Stimmen auf der Bühne und der Begleitung aus dem Orchestergraben ist sehr gut ausgewogen, so dass auch schnell gesungene Texte gut verständlich sind. Kostüme und Masken orientieren sich an den ikonischen Darstellungen der Protagonisten in den ursprünglichen Cartoons, der Schwarz-Weiß-Serie und den Filmen und sind aufwendig gestaltet.
Bühne, Ausstattung und musikalische Umsetzung dieser Inszenierung bereiten jedoch nur den Boden für das beeindruckendste Pfund, mit dem die „Addams Family“ in Plauen und Zwickau wuchern kann: Die schlicht und ergreifend großartige Besetzung der beiden Hauptrollen Morticia und Gomez Addams. Das Timing zwischen den beiden stimmt zu jeder Zeit, so dass jeder Gag – und sei er auch noch so platt – zündet. Die Verliebtheit und die Verrücktheit sind in jedem Moment zu spüren. Die Mimik von Melanie Gebhard in der Rolle der Morticia ist mit Worten kaum zu beschreiben und wäre schon beinahe eine eigene Show wert. Sie vermag es allein mit ihrem Blick und ihren Mundbewegungen in Sekundenschnelle zwischen lüsterner, leicht ordinärer Liebhaberin und komplett irrer Psychopathin, die die gesamte Familie nach ihren Wünschen dirigiert, hin- und herzuwechseln. In ihrer Solonummer „Der Tod steht um die Ecke“ darf sie dann auch noch ihre starke und wandlungsfähige Stimme eindrucksvoll unter Beweis stellen. Sascha Stead gibt den Gomez mit dem typischen Latino-Akzent und allen Attributen, die man seiner Rolle zuschreibt. Er steht komplett unter dem Pantoffel seiner Morticia, ohne dies jemals auch nur annähernd zu erkennen. Seine Verzweiflung darüber, dass Morticia ihn verlassen möchte, nachdem sie sein Geheimnis aufgedeckt hat, ist zum Brüllen komisch.
Eine Besonderheit in der Inszenierung von Manfred Ohnoutka ist der verhältnismäßig große Anteil, den er dem „Eiskalten Händchen“ einräumt, einer Rolle, die im Musical eigentlich überhaupt nicht vorkommt. Minsu Kim im schwarzen Ganzkörperanzug mit weißem Handschuh tanzt die Figur dermaßen akrobatisch, dass es – sofern der Körper nicht ohnehin komplett im Hintergrund verschwindet – so wirkt, als würde sich das Händchen komplett allein über die Bühne bewegen. Das Buch der „Addams Family“ degradiert die weiteren Rollen der Show leider zu Nebenrollen. Im Fall der Plauener Inszenierung ist dies enorm schade, weil sie allesamt sehr gut besetzt sind. Marcus Sandmann ist ein sympathisch durchgedrehter Onkel Fester, Elisabeth Birgmeier eine Wednesday wie direkt aus den Cartoons von Charles Addams entsprungen und Arvid Fagerfjäll ein durch und durch verliebter Lucas.
Obwohl in den letzten Jahren immer mehr deutschsprachige Bühnen die „Addams Family“ für sich entdeckt haben, wird diese Musical vermutlich niemals den Kult-Status einer „Rocky Horror Picture Show“ erreichen. Viel zu groß sind die Schwächen in der gesamten Konstruktion der Show. Die Inszenierung des Theaters Plauen-Zwickau hängt die Messlatte für zukünftige Produktionen jetzt allerdings deutlich höher.
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