Alejandro Nicolás Firlei Fernández (Leo Frank), Ensemble © Marie Liebig
Alejandro Nicolás Firlei Fernández (Leo Frank), Ensemble © Marie Liebig

Parade (2023)
Theater, Regensburg

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Jason Robert Brown? Ist das nicht der Mann, der Musicals mit kleiner Besetzung und wenigen Musikern schreibt? „Die letzten fünf Jahre“ und „Song For A New World“ sind Dauerbrenner auf kleinen Bühnen und waren während der Pandemie die Musicals der Stunde, weil sie Theatern überhaupt eine Chance auf ein Programm boten. An „Parade“ dagegen ist nichts klein. Ein 18-köpfiges Ensemble, dazu Chor und Statisterie, 40 Orchestermusiker, historische Kostüme, ein sich ständig änderndes Bühnenbild – ein Kraftakt für das Theater Regensburg. Doch bei aller Gigantomanie ist „Parade“ vor allem eins: ein sehr gutes Stück.

Brown und sein Autor Alfred Uhry verarbeiten die wahre Geschichte eines Justizskandals. 1913 wird am „Confederate Memorial Day“, einem Feiertag, an dem in den Südstaaten trotz Niederlage das Ende des US-amerikanischen Bürgerkriegs gefeiert wird, die 14-jährige Mary Phagan in Atlanta, Georgia umgebracht. Die Ermittlungen nehmen schnell Leo Frank ins Visier, einen in Brooklyn geborenen Juden und Leiter der Fabrik, in der Mary arbeitete und ermordet wurde. Nach einer von der Presse angestachelten Hetzkampagne wird Frank in einem Prozess trotz offensichtlicher Falschaussagen zum Tode verurteilt. Doch seine Frau Lucille gibt nicht auf.

Die musikalischen Wurzeln von Browns Komposition liegen in der Südstaaten-Musik des frühen 20. Jahrhunderts: Blues, Dixie, der typische Klang der Marschmusik-Kapellen. Er erweitert um einen bedrohlichen Unterton, scheut weder großen Hymnen noch zarte Melodien. „Parade“ war das erste ‚richtige‘ Musical des bei der Uraufführung gerade mal 28-Jährigen und brachte ihm einen Tony Award ein. „Song For A New World“ entstand vorher, ist aber ein Liederzyklus. Es ist schlicht grandios, wie Brown mit den Stilen spielt. Er schafft große pathetische und filigrane transparente Momente. Dabei verlangt er durch knifflige Rhythmen und Partien mit ordentlichem Tonumfang Ensemble und Orchester einiges ab. Das Philharmonische Orchester Regensburg stellt sich der Herausforderung. Dirigent Alistair Lilley kitzelt aus seinen Musikerinnen und Musikern feinstes Pianissimo heraus und schwingt sie zu massivem Fortissimo auf. Leider ist deswegen nicht immer jeder Darsteller richtig gut zu verstehen.

Auch wenn das Buch dramaturgisch geschickt gebaut ist: Bei der Fülle der Charaktere kann man ziemlich schnell den Überblick verlieren. Das informative Programmheft macht da vieles klarer, als es auf der Bühne passieren kann. Alfred Uhry, für „Parade“ ebenfalls mit dem Tony ausgezeichnet, skizziert die plakativen Figuren nur; es ist an den Songs und den Darstellern, sie mit Leben zu füllen. Am Anfang, wenn viel erklärt werden muss, knirschen manche Sätze im Dramaturgie-Gebälk. Der zweite Akt hält durch mehr ruhige Momente das hohe dramatische Tempo des ersten Teils nicht und es schleichen sich ein paar Längen ein.

Bis auf wenige Gäste in kleineren Rollen stehen hauseigene Ensemblemitglieder auf der Bühne. Einer der Gäste ist William Baugh als Jim Conley. Conleys Aussage vor Gericht ist ein Höhepunkt der Aufführung. Baugh lässt Conley die Aufmerksamkeit genießen, ihn gezielt und mit Genugtuung Falschaussagen machen und spielt die Szene grandios und agil aus. Sehr präsent auch Michael Daub als hetzender Populist Tom Watson mit bedrohlichem Bariton und Fanatismus im Blick und der energetische Benedikt Eder als Hugh Dorsey, Staatsanwalt mit politischen Ambitionen.

Das Ehepaar Frank, über das unerwartet eine Tragödie hereinbricht, ist mit Fabiana Locke und Alejandro Nicolás Firlei Fernández besetzt. Locke zeichnet glaubwürdig eine Frau, die sich von der Hausfrau mit unerfülltem Kinderwunsch zur selbstbewussten Aufklärerin wandelt. Ihr warmer Mezzosopran passt zu dieser emotionalen Rolle.

Alejandro Nicolás Firlei Fernández macht es dem Publikum erst schwer, auf Leo Franks Seite zu sein. Sein Leo ist ein Bürokrat, der am Feiertag lieber ins Büro geht, damit er die Chance hat, auf der Karriereleiter weiterzukommen. Ein trockener, auf den ersten Blick emotionsloser Charakter. Ein guter Schachzug, ihm nicht sofort die Herzen des Publikums zufliegen zu lassen, sondern als verschlossene und introvertierte Figur, mit der man fremdelt, zu inszenieren. Umso größer der Bruch, wenn Fernández in der Gerichtsszene in der Aussage eines Mädchens mit vollem Körpereinsatz den diabolischen Verführer mimt. Auch den Wandel von Resignation zu – von Lucille angefachter – neuer Hoffnung vollzieht er nuanciert.

Sam Madwar nimmt für sein Bühnenbild eine hohe Backsteinmauer des Fabrikgebäudes als Rückwand, die in das Haus der Franks übergeht. Durch Öffnungen in der Wand können einzelne Bühnenteile (etwa Franks Büro) hereingeschoben werden. Per Drehbühne fahren kleinere Möbel oder auch Darsteller aus der Haustür der Franks. Per Hebebühne wird Leos Gefängniszelle nach oben gefahren. oder auch der Spielfläche eine Erhöhung zugefügt. Die Regensburger Bühnentechnik zeigt, was sie kann. Sehr gut auch der atmosphärische Lichteinsatz von Martin Stevens und Regisseur Simon Eichenberger. Wirkt die dunkle Backsteinwand an sich düster und bedrückend, strahlt sie durch die entsprechende Beleuchtung sogar fröhlich und bunt. Dass hinter die Fabrikfenster in einigen Szenen noch Videos projiziert werden, ist fast ein bisschen viel.

Ein Stück mit einer so großen Besetzung und solchen Anforderungen an Bühnenbild und Technik flüssig zu inszenieren, ist schon eine Leistung. Simon Eichenberger hat als Regisseur und Choreograf alle Hände voll zu tun, sein Ensemble auf der Bühne zu imposanten Bildern zu arrangieren. Ein Bilderrausch, unterbrochen von wohltuend stillen Momenten. Ein großes Lob auch an die Kostümabteilung, die unter der Leitung von Aleš Valášek das große Ensemble mit mehreren – teils recht pompösen -– zeitgenössischen Kostümen pro Darsteller einkleiden musste.

„Parade“ ist ein Musical-Meisterwerk, auch wenn die Figurenzeichnung nicht immer überzeugt. Eine deutsche Aufführung gab es schon 2017 beim Freien Musical-Ensemble Münster in deren eigener Übersetzung. In Regensburg läuft die erste Profi-Aufführung mit dem deutschen Text von Wolfgang Adenberg. Es sollten sich mehr deutschsprachige Bühnen an „Parade“ wagen. Die Auswüchse populistischer Hetze zu zeigen, ist heute aktueller und wichtiger denn je.

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungAlistair Lilley
Inszenierung, ChoreografieSimon Eichenberger
BühneSam Madwar
KostümeAleš Valášek
In Kooperation mit CANTEMUS Regensburg
 
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CAST (AKTUELL)
Leo FrankAlejandro Nicolás Firlei Fernández
Lucille FrankFabiana Locke
Junger Soldat / Britt CraigPaul Kmetsch
Alter Soldat / Tom Watson / Wächter 2Michael Daub
Frankie Epps / Wächter 1Felix Rabas
Mary PhaganSarah Scherwitz
Robin Elisabeth Wühl
Newt Lee / RileyMario Mariano
Iola StoverJulia Bothschafter
Mathilde Godin
MonteenMieke Bahnmüller
Johanna Pfaffel
EssieJule Habe
Olivia Ramsteiner
Mrs. Phagan / Sally SlatonKathrin Berg
Patrizia Häusermann
Hugh DorseyBenedikt Eder
Minola
("Minnie") Mc Knight / Angela
Louisa Heiser
Jim ConleyWilliam Baugh
Gouverneur SlatonSeymur Karimov
Richter Roan / Officer StarnesJonas Atwood
Luther RosserLennart Gottmann
Officer Ivey / Mr. PeavyFelix Scharff
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
So, 02.04.2023 14:00Theater am Bismarckplatz, RegensburgMatinee (Eintritt frei)
Di, 11.04.2023 19:00Theater am Bismarckplatz, RegensburgÖffentliche Probe
Sa, 15.04.2023 19:30Theater am Bismarckplatz, RegensburgPremiere
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