Warum Daniel Witzke als künstlerischer Leiter bei „Aida“ ausgestiegen ist und jetzt die Off-Produktion „Die letzten 5 Jahre“ inszeniert, bei der sein ehemaliger Arbeitgeber wieder mit im Boot ist.
Daniel Witzke studierte am Wiener Konservatorium und der Hamburger Stage School. Bis Mitte der 1990er-Jahre spielte er auf verschiedenen Bühnen und arbeitete im Stage Management beim Hamburger „Phantom der Oper“. Nach einer Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann wechselte er wieder zurück ans Theater. Nach drei Spielzeiten Regieassistenz und Spielleitung an der Wiener Staatsoper wurde Daniel Witzke von der Stage Holding als künstlerischer Leiter für die Essener „Aida“-Produktion engagiert.
Herr Witzke, warum haben Sie „Aida“ im Januar 2005 verlassen?
Daniel Witzke: Ich denke Menschen entwickeln sich weiter, aber auch Ideen entwickeln sich weiter. Ich glaube wir haben in Essen eineinhalb Jahre einen sehr guten Job gemacht, die Produktion war in einem sehr guten Zustand. Die Arbeit hat sehr viel Spaß gemacht, ich hatte ein sehr enges Verhältnis zum Ensemble und zu allen Mitarbeitern des Hauses. Ich glaube trotzdem, dass der Punkt gekommen war, an dem etwas Neues getan werden musste. Die Geschäftsführung und ich haben gemerkt, dass wir nicht mehr so funktionierten, wie wir es am Anfang getan hatten. Letztendlich haben wir uns entschlossen, getrennte Wege zu gehen.
Mit „Marry Me A Little“ haben Sie im Rahmen des Folkwang Festes der Künste schon ein unbekanntes Stück nach Essen gebracht. Jetzt folgt die deutschsprachige Erstaufführung von „The Last 5 Years“ (dt. Titel „Die letzten 5 Jahre“) in Wuppertal. Warum solche unbekannten Stücke?
Für mich persönlich hat sich im Laufe der Jahre immer mehr rausgestellt, dass es oft die unbekannten, am Broadway und in Deutschland wenig bis gar nicht gespielten Stücke sind, die künstlerisch hochwertig sind. Wenn man den deutschen Markt über Jahre beobachtet, dann hat man irgendwann das Gefühl, dass man etwas Neues machen will. Mein Partner Christoph Drewitz und ich hatten den Eindruck, dass wir dem deutschen Markt etwas Neues geben können, indem wir kleine Stücke nach Deutschland holen. Diese können vom Off-Broadway kommen, aber auch genauso gut aus London oder Skandinavien. Die Leute im Musicalbusiness sollen sehen, dass auch kleine Low Budget Produktionen sehr erfolgreich sein können und ihr Publikum finden. Auch die jungen Autoren sollen merken, dass es ein neu entstandenes Interesse an ihren Werken gibt. Es bestehen Kontakte zu Jason Robert Brown („The Last 5 Years“) oder Andrew Lippa („The Wild Party“) und wir wollen diese weiter ausbauen. Es klingt sehr idealistisch, aber wir haben diesen jungen Autoren versprochen, sie im deutschsprachigen Raum zu platzieren.
Mit Christoph Drewitz haben Sie die Two For One Theatre Productions gegründet. Wie kam es dazu?
Wir haben uns über die Stage Holding kennen gelernt. Wir gingen gemeinsam auf Auditiontour für „Aida“ und haben über interessante Stücke gesprochen. Dabei landeten wir bei „Die letzten 5 Jahre“ und haben festgestellt, dass es das Stück ist, bei dem uns am meisten das Feuer im Herzen brennt. Wir hatten beide die Idee, das Stück zu inszenieren. Bevor wir uns allerdings gegenseitig Konkurrenz machen, fassten wir den Entschluss, die Kräfte zu bündeln und gemeinsam diese Produktion auf die Bühne zu bringen. Irgendwann erhielten wir die Rechte für eine deutschsprachige Erstaufführung, was eine Besonderheit darstellt, denn die Amerikaner arbeiten eigentlich nicht mit Partnern, die nicht viel Geld haben, kein eigenes Theater besitzen und auch ansonsten für amerikanische Verhältnisse nicht sehr bekannt sind. Unsere Aktivitäten hatten sich schon sehr bald überall herumgesprochen, auch die deutsche Stage Holding wurde auf uns aufmerksam. So kam es, dass Maik Klokow – der Chef der Stage Holding Deutschland- meinen Partner Christoph Drewitz ansprach, um uns eine eventuelle Zusammenarbeit vorzuschlagen. Wir stellten ihm unser Konzept vor und man bot uns daraufhin auch wirklich eine Kooperation an. Diese Kooperation sieht unter anderem eine logistische Hilfestellung vor, das heißt wir können Ton- und Lichtequipment aus den Lagern der Stage Holding benutzen, was für uns eine erhebliche finanzielle Erleichterung bedeutet. Inszenierungstechnisch und künstlerisch sind wir jedoch völlig autark. Ein Mitspracherecht hat die Stage Holding nur da, wo ihr Name auftaucht, wie zum Beispiel auf dem Plakat zu „Die letzten 5 Jahre“. Das muss vorher abgesegnet werden.
Was macht „Die letzten 5 Jahre“ besonders?
Erzählform, Text und Musik. Ich nenne das jetzt getrennt, aber natürlich bilden alle diese Punkte eine Symbiose miteinander. Brown hat eine Beziehungsgeschichte kreiert, in der er mit unterschiedlichen Erzählperspektiven arbeitet. Wir begleiten ein Paar, Cathy und Jamie, über einen Zeitraum von fünf Jahren. Wir sehen ein Kennenlernen, eine Heirat, eine Trennung. Was wir aber auch sehen ist, dass diese beiden Geschichten gegensätzlich voneinander erzählt werden. Sie fängt vom Ende der Beziehung an, hin zurück zum verliebten Mädchen, Er fängt beim Beginn der Beziehung an, chronologisch bis zum Ende der Beziehung. Das ist das besonders charmante an der Erzählstruktur. Die Musik ist nicht so schwer zugänglich wie beispielsweise die Musik von Sondheim. Sie hat durchaus sehr starke melodische Komponenten und ist extrem abwechslungsreich. Brown bedient Rock/Pop, er bedient jiddisches Klezmer, kurzum er bedient die verschiedensten Stile. Der Text ist unglaublich dicht, er ist unglaublich auf den Punkt, witzig, traurig, dramatisch und zynisch. Genauso vielfältig wie die musikalischen Stilmittel sind es auch die sprachlichen. Dadurch ergibt sich ein komplexes Gesamtgebilde, das unheimlich bestechend ist und die Geschichte so stark erzählt.
Ein Stück, zwei Regisseure! Gibt es da keine Kompetenzrangeleien?
Das war ein großes Thema zu Beginn unserer Zusammenarbeit. Uns war klar, dass wir in jedem Fall gleichgestellte Regisseure sein müssen. Das erforderte einerseits, dass wir uns gut kennen lernen und dass wir uns über das Konzept hundertprozentig im Klaren sind. Wir wollten unbedingt vermeiden, dass es unstimmige Aussagen bei den Proben gibt. Auch ein von Anfang an geschlossenes Auftreten gegenüber dem Team hatte Priorität. Das heißt letztendlich, dass es nie Rangeleien gegeben hat, weil wir uns der Gefahr von Anfang an bewusst waren und von Anfang an ganz offen darüber geredet haben. Im Laufe der Zeit sind wir immer vertrauter geworden. Wir treffen autark künstlerische Entscheidungen – nicht jede einzelne kleine Entscheidung wird mit dem Partner abgesprochen, aber im Prinzip kann man davon ausgehen, dass es auch das Interesse des anderen trifft.
Wird es eine deutschsprachige CD zu „Die letzten 5 Jahre“ geben?
Eine CD wollen wir auf jeden Fall machen, weil es auch eine Art vorläufiger Krönung dieser Arbeit wäre. Mit Patrick Stanke und Charlotte Heinke sind auch zwei der ganz großen Stimmen des deutschsprachigen Musicalgeschäfts am Werk. Geplant ist momentan der Spätsommer/Herbst 2005. Wir werden im Herbst zu einem Gastspiel im Schlossparktheater in Berlin sein und es wäre schön, wenn wir zu diesem Gastspiel die CD hätten.
Das Schlossparktheater ist aber schon eine Nummer größer als das Rex Theater in Wuppertal, in dem die Premiere stattfindet.
Das ist tatsächlich ein bisschen eine Art Ritterschlag. Wir starten jetzt in diesem kleinen Theater in Wuppertal, weil es für uns am Anfang, als wir kein Geld hatten, das geringste Risiko bot. Inzwischen ist es so, dass das Schlossparktheater Teil des Kooperationsvertrages mit der Stage Holding ist. Es hat 440 Plätze und mittlerweile haben wir auch andere Häuser in dieser Größenordnung in Aussicht. Wir wollen „Die letzten 5 Jahre“ und alle anderen Produktionen, die vielleicht danach kommen, in dieser Größenordnung ansiedeln. Es eine schöne Größe, die immer noch Intimität zulässt.
Wie wichtig ist für Sie der finanzielle Erfolg der Produktion?
Es ist schon so, dass das alles eine ganz enge Rechnung ist. Wir können diese Produktion auch nur ermöglichen, weil unser Team entweder nichts bekommt oder zu solchen Sätzen arbeitet, dass man fast rot dabei wird. Wir müssen auf jeden Fall in irgendeiner Art und Weise wirtschaftlich arbeiten. Sollten wir unter der geschätzten Auslastungsgrenze von 50 bis 75 Prozent bleiben, dann haften wir persönlich dafür. Mit der Lust an dem ganzen Projekt haben wir auch gleichzeitig das hohe Risiko übernommen.
Gibt es schon Ideen für Folgeproduktionen?
Sicherlich werden wir unsere Arbeit mit Jason Robert Brown weiterführen. Stücke wie „Songs For A New World“ oder „John und Jen“ von Andrew Lippa sind für uns interessant, aber auch „Brownstone“ von Josh Rubins und Peter Larson wäre eine Möglichkeit. Wir haben verschiedene Sachen in Aussicht, viel mehr kann momentan aber nicht darüber gesagt werden. Wenn alles erfolgreich läuft, dann wollen wir im nächsten Jahr auf jeden Fall ein oder zwei Produktionen nach Deutschland bringen.
Der zweite Teil des Interviews – zu Broadway-Plänen und der Frage, wer in Deutschland und der Welt für kreatives Musical steht – lesen Sie hier.