Jim Steinmans Songs, die in erster Linie durch den Rocksänger Meat Loaf bekannt wurden, zeichnen sich durch eine theatralische Dramatik aus, die geradezu nach einer Umsetzung auf der Musical-Bühne verlangt. Nachdem er zu „Tanz der Vampire“ bereits die Musik beisteuerte und bei „Whistle Down the Wind“ für die Texte verantwortlich war, rockt im Sommer 2017 ein komplett von Steinman geschriebenes Werk die altehrwürdige Bühne der English National Opera. 2018 zieht es ins Dominion Theatre.
Zeit: 2100, Ort: Obsidian – ein post-apokalyptisches Manhattan, das von dem Diktator Falco beherrscht wird. Mit diesen Grundinformationen wird das Publikum bereits vor Beginn der Show über die Projektionsleinwände versorgt. Doch eigentlich ist das schon fast überflüssig. Das Thema Apokalypse wird im Stück in keiner Weise näher ausgeführt. Es gibt eine im Untergrund lebende Gruppe junger Rebellen, genannt „The Lost“, die sich gegen Falco und seine Scharfschützen zur Wehr setzen. Doch weder kommen irgendwelche anderen Bewohner Obsidians vor – es gibt nur die Rebellen auf der einen und Falco, seine Familie sowie seine Bediensteten auf der anderen Seite – noch wird thematisiert, wofür Falco eigentlich steht, was also das Ziel seiner Diktatur ist.
Wichtig für die Show ist eigentlich nur der Geist der Revolution, famos ausgedrückt durch bombastische Rock-Musik. Strat, Anführer der „Lost“, verliebt sich in Falcos Tochter Raven. Es gibt die eine oder andere Komplikation, da Papa Falco selbstverständlich nicht amüsiert ist über diese Verbindung, aber letztendlich ist klar, worauf es hinausläuft… So heißt es im Laufe des Abends also immer wieder: Gedanken an die Story ausblenden und die Musik sowie die Show genießen!
Die besten Momente gibt es, wenn richtig losgerockt wird. Die Lautstärkeregler sind gefühlt bis zum Anschlag aufgedreht, auf den Leinwänden flimmern bunte Bilder und das große Ensemble verströmt dank der effektvollen Choreografien von Emma Portner eine unbändige Energie. Dazu rocken die tolle Band und der Cast, in dem ausnahmslos alle Solisten großartige Stimmen haben, so dass es die Zuschauer kaum noch auf ihren Sitzen hält.
Musikalisch und tänzerisch bewegt sich der Abend auf hohem Niveau, schauspielerisch müssen allerdings einige Abstriche gemacht werden. Sicher ist es kein Musical, das nach subtiler Schauspielkunst verlangt – dazu sind die meisten Charaktere viel zu flach gezeichnet. Hauptfigur Strat zeigt abwechselnd immer wieder zwei Gesichter: den rockenden Rebell und den hingebungsvollen Lover. Beides stellt Zweitbesetzung Ruben van Keer, der in der besuchten Vorstellung spielte, tadellos dar. Christina Bennington, die mit ihrem voluminösen Rock-Sopran mächtig beeindrucken kann, zeigt als Raven allerdings erschreckend wenig mimische Ausdruckskraft.
Mit Ravens Eltern hat es Jim Steinman, der für Musik, Text und auch das Buch verantwortlich zeichnet, ein wenig besser gemeint, und aus Falco und seiner frustierten Ehefrau Sloane halbwegs mehrdimensionale Charaktere geformt. Rob Fowler und Sharon Sexton bringen die beiden mit viel Spaß am übertriebenen Spiel auf die Bühne.
Besonderen Bekanntheitsgrad haben Jim Steinmans opulente Rockballaden wie „I’d Do Anything For Love“, „Heaven Can Wait“ oder „Objects in the Rear View Mirror“, von denen es auch an diesem Abend einige zu hören gibt. Musikalisch sind sie wie alle anderen Nummern hervorragend dargeboten. Doch an zündenden Ideen mangelt es Regisseur Jay Scheib für diese Songs, in denen zumeist nur ein oder zwei Protagonisten über ihre Gefühle lamentieren. Und so bleibt trotz Hintergrund-Projektionen und Lichtspielen im Fußboden eine gewisse Eintönigkeit nicht aus.
In diesen bzw. den Revolutions-Szenen wird mit vielen ernsthaften Worten voller Pathos die große Liebe bzw. der große Kampf beschworen. Im Gegensatz dazu stehen einige Szenen aus Falcos Familienleben, die bewusst lustig-ironisch gehalten wurden, z.B. eine sexuell aufgeladene Spritztour von Falco und Sloane, an dessen Ende das Auto über die Klippen – also in den Orchestergraben – geschoben wird, woraufhin hier einige empört schimpfende Herren mit zerstörten Musikinstrumenten bzw. Dirigentenstab herausklettern.
Die riesige Bühne des Coliseum wird beeindruckend genutzt: Hinten links dient ein riesiger angedeuteter Abwasserkanal den Lost-Boys und -Girls als Auf- und Abtrittsmöglichkeit. Hinten rechts befindet sich der Falco-Tower mit Ravens Zimmer im ersten Stock. Aus dem Erdgeschoss fahren immer wieder Stellwände nach vorne, um weitere Räume anzudeuten. Dabei werden alle zur Verfügung stehenden Wände für Projektionen genutzt. Die Szenen in Ravens Zimmer – von den seitlichen Plätzen kaum einzusehen – werden live von einer Kamerafrau gefilmt und auf eine oder mehrere der Projektionsflächen übertragen.
Das alles ergibt ein mitreißendes Rock-Spektakel, bei dem man nicht zu sehr auf die Story schauen sollte. Muss man auch nicht, denn es gibt auch so genug Beeindruckendes auf der Bühne zu sehen und zu hören.
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