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Fast normal (Next to Normal) (2015 - 2016)
Renaissance-Theater, Berlin

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Manchmal dauert es etwas länger, bis eine Aufführung in die Gänge kommt. Dem zweiten Akt von Torsten Fischers „Next to Normal“-Inszenierung gelingt die emotionale Intensität, die in der ersten Hälfte noch so schmerzhaft fehlt. Damit entlässt die nunmehr dritte deutsche Stadttheater-Produktion des preisgekrönten Broadway-Hits das Publikum am Ende mit einem positiven Eindruck. Trotzdem bleibt der Beigeschmack, dass man aus dem Stück hätte mehr herausholen können.

Bipolare Störungen, Depressionen, Trauerbewältigung, eine Familie kurz vor der Zerreißprobe und darüber hinaus – es ist schwerer Tobak, der hier thematisiert wird. Das Musical von Tom Kitt (Musik) und Brian Yorkey (Buch und Texte) macht es sich nicht zu einfach damit, sondern führt das Publikum mit der richtigen Prise an Dramatik und gut dosiertem, feinfühlig eingesetztem Humor durch die Geschichte. Die Inszenierung des Berliner Renaissance Theaters und ihre Akteure setzen – vielleicht auch um die Problematik mit all ihren Höhen und Tiefen auszureizen – mehr auf intensives Spiel als auf große, glänzende Gesangssoli. Das ist nicht verkehrt: Es passt zum Stück, wenn Emotionen überhand nehmen und die Stimme dabei etwas brüchig wird, oder wenn die Anfänge der Songs gesprochen werden. Trotzdem lässt der ein oder anderen Song dann doch die stimmliche Präzision und Strahlkraft vermissen. Besonders bei Guntbert Warns als Dan, der fast nur mit Sprechgesang aufwartet, fällt das stark ins Gewicht.

Katharine Mehrling zieht als Diana Goodman alle Register ihres beträchtlichen schauspielerischen Könnens, um die unter psychischen Störungen leidende Ehefrau und Mutter glaubhaft darzustellen. Sie lacht und weint und schreit, leidet mal still, mal laut, kämpft wie ein Löwe um (und manchmal auch gegen) ihre Familie, ihren Verstand und sich selbst. Trotzdem – und hier muss man sowohl vor Mehrling auch auch der Personenregie den Hut ziehen – wird das Stück nicht zu einer One-Woman-Show, sondern lässt auch anderen Charaktere und Darsteller genügend Platz zur Entfaltung. Guntbert Warns‘ Dan ist eher ein Leisetreter und ein Meister im Verdrängen: Er versucht seiner Frau zu helfen, wo es nur geht und zeigt fast schon ein übermenschliches Maß an Geduld und Verständnis. Doch man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich in die Rolle des Beschützers flüchtet, um sich seiner eigenen Trauer und Verlust nicht stellen zu müssen.

Wie zermürbend die psychische Erkrankung eines Familienmitglieds für die Angehörigen sein kann, wird am Beispiel von Dianas Tochter Natalie – überzeugend verkörpert von Devi-Ananda Dahm – deutlich. Dahm legt die Rolle zwischen normaler Teenager-Rebellion und verständlichen Ängsten an und bringt das zwiespältiges Verhältnis zu ihrer Mutter gekonnt auf den Punkt. Ihre Beziehung zu ihrem kiffenden Klassenkamerad Henry (von Jan Rekeszus mit gutem Timing für subtilen Humor gespielt) gerät im Strudel des Familiendramas etwas in den Hintergrund. Auch die Vergleiche zwischen Natalie/Henry und Diana/Dan wirken zu bemüht und nicht ganz schlüssig inszeniert.

Dennis Hupka darf mit „Übersohn“ Gabe die – neben Diana – wohl charismatischste und interessanteste Rolle im Stück übernehmen. Hupka gelingt der Drahtseilakt, eine imaginäre Figur anschaulich zu verkörpern, und dabei die verschiedenen Facetten der Rolle auszuleben: Sein verzweifelter Kampf gegen das Vergessen und Verdrängen lässt Mitgefühl aufkommt, kurz darauf wirkt er dann wieder manipulativ und fast schon diabolisch in seiner Beharrlichkeit, an Diana festzuhalten.

Felix Martin, der als Dr. Fine und später Dr. Madden gleich zwei unterschiedliche Therapeuten Dianas verkörpern muss, hat es etwas schwerer. Dr. Fine ist rollenbedingt zweidimensional und eher eine Karikatur, was Martin auch genüsslich ausreizt. Dr. Madden dagegen bleibt als Charakter schlecht fassbar, scheint mal ernsthaft besorgt, mal seltsam gleichgültig. Martin nimmt sich hier bei der Charakterzeichnung stark zurück – vielleicht schon etwas zu stark.

Das Bühnenbild von Herbert Schäfer und Vasilis Triantafilopoulos ist eher minimalistisch: Eine übergroße rot-schwarze Wendeltreppen-Konstruktion nimmt die gesamte Bühne in Breite und Höhe ein und bietet leicht zugängliche, gut bespielbare Ebenen. Äußert gelungen ist dabei die in eine der Stufenfronten eingearbeitete Leinwand, die immer wieder auf spannende Weise zum Einsatz kommt – sei es direkt als Fensterfront mit Ausblick oder zur Verbildlichung psychedelischer Zustände.

Die kleine aber feine fünfköpfige Liveband unter Leitung von Harry Ermer sitzt – durch die Treppe fürs Publikum sichtbar – am hinteren Bühnenende und ist das akustische Highlight der Aufführung. Dafür, dass gerade die kraftvolleren Nummern wie beispielsweise „Ich lebe“ etwas an Dynamik verlieren, können die Musiker nichts; das ist in erster Linie der (ansonsten inhaltlich gelungenen) deutschen Übersetzung von Titus Hoffmann geschuldet.

Fischers Regie glänzt vor allem in den kleinen Momenten: Etwa wenn Dianas Therapie anschlägt und sie das Trugbild ihres Sohnes sinnbildlich mit dem Fuß von der Treppe schuppst. Oder wenn Dan seiner Tochter versichert, dass sie beide jetzt allein sind, aber die Augen nicht von Gabe lassen kann – eine ganz starke, beklemmende Szene!

Doch trotz der Liebe zum Detail, der guten Zeichnung der individuellen Charaktere und der schauspielerischen Stärke der Darsteller lässt der erste Akt seltsam kalt. Vielleicht liegt es schlichtweg daran, dass zu Beginn alle noch zu sehr damit beschäftigt sind, ihre eigenen facettenreiche Rolle zu etablieren und die Beziehungen zwischen den Charakteren zu wenig ausgereizt werden. Vielleicht ist es auch der Umstand, dass der Bruch zwischen anscheinend „normalem“ Familienleben und dem Offensichtlichwerden des Ausmaßes von Dianas Wahnvorstellungen nicht gänzlich überzeugt. Vielleicht passiert auch manchmal zu viel gleichzeitig und zu schnell auf der Bühne, so dass die emotionale Wirkung von wichtigen, dramatischen Momenten wie Dianas Selbstmordversuch nahezu verpufft. Wenn man am Ende des ersten Akts den Zuschauerraum verlässt, lässt sich das Gefühl nicht abschütteln, dass man mitgenommener sein sollte, als man es tatsächlich ist.

Glücklicherweise schafft es die Inszenierung im zweiten Akt dann doch noch, die Emotionalität und Dramatik des Stückes von der Bühne in die Reihen der Zuschauer zu transportieren. Auch stimmlich legen die meisten der Protagonisten hier noch eine Schippe nach. Im ersten Akt hat man die Charaktere nur beobachtet, im zweiten leidet man mit ihnen mit. Dianas Befreiungsschlag und die Erkenntnis, dass man Normalität nicht erzwingen kann und sich manchmal mit fast normal zufrieden geben muss – es ist fast ein Happy End, doch es regt auch zum Nachdenken an. Darüber vergisst man fast all das, was an der Inszenierung nicht überzeugen konnte. Aber eben auch nur fast.

Die Produktion gastierte vom 13.07. bis 23.07.2016 im Deutschen Theater München

 
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KREATIVTEAM
InszenierungTorsten Fischer
Musikalische LeitungHarry Ermer
AusstattungHerbert Schäfer
Vasilis Triantafilopoulos
 
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CAST (AKTUELL)
Diana GoodmanKatharine Mehrling
Dan GoodmanGuntbert Warns
Natalie GoodmanDevi-Ananda Dahm
Sophia Euskirchen
Gabe GoodmanDennis Hupka
Jan-Philipp Rekeszus
HenryAnthony Curtis Kirby
Jan-Philipp Rekeszus
Dr. Fine / Dr. MaddenFelix Martin
 
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CAST (HISTORY)
Dr. Fine / Dr. MaddenMatthias Freihof
 
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Mi, 10.06.2015 20:00Renaissance-Theater, BerlinVoraufführung
Do, 11.06.2015 20:00Renaissance-Theater, BerlinVoraufführung
Fr, 12.06.2015 20:00Renaissance-Theater, BerlinVoraufführung
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