Viel Kulisse oder Requisite benötigt das Stück nicht. Joshua Sobols “Ghetto” lebt in der Ulmer Inszenierung von szenischer Schlichtheit und einem Ensemble, dessen eindringliches Schauspiel einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt.
Es ist noch immer nicht einfach, in Deutschland ein Stück über ein jüdisches Ghetto im Zweiten Weltkrieg zu zeigen. Schon gar nicht, wenn besagtes Stück unter der Rubrik “Musical” läuft. Das Theater Ulm hat den Schritt gewagt und zeigt Joshua Sobols “Ghetto”, ein Musical über das Ghetto von Vilnius, seine Bewohner und die durch die SS-Obrigkeit angeordnete Wiedereröffnung des örtlichen Theaters. Regisseur Andreas von Sudnitz setzt auf Schlichtheit und leise Töne, er verzichtet auf große Bilder, übermäßiges Pathos und die moralische Keule. Gerade dadurch gelingt ihm eine eindringliche und atmosphärisch dichte Inszenierung, die sich ab und an komische und sentimentale Momente erlauben kann, ohne dass diese deplatziert wirken.
Von Studnitz’ größter Trumpf ist das exzellent spielende Ulmer Schauspielensemble. Ausnahmslos allen Darstellern gelingt es, ihre Rollen mit dem erforderlichen Tiefgang auszuspielen. Dem jüdischen Ghettoleiter Gens, der als Kollaborateur der Nazis tagtäglich über Leben und Tod der Bewohner entscheiden muss, verleiht Wilhelm Schlotterer mit entschlossenem Spiel ein kantiges Gesicht. Überzeugend stellt er den Gewissenskonflikt zwischen Überlebenskampf, Verantwortung und zionistischen Idealen dar. Eine ebenso eindringliche Leistung gelingt Jörg-Heinrich Benthien in der Rolle des aufbegehrenden kommunistischen Ghetto-Bibliothekars Kruk. Gegenseitig stacheln sich Benthien und Schlotterer als Verkörperungen zweier politischer und gesellschaftlicher Gegensätze im Ghetto zu schauspielerischen Höchstleistungen an.
Tini Prüfert spielt die Sängerin Chaja mit Zurückhaltung und unterdrückter Wut. Ihre rauchig-sanfte Chansonstimme ist für die Lieder des Stücks, die sich zwischen deutschen Schlagern der 1930er Jahre, jiddischen Weisen und Jazz-Klassikern von Gershwin bewegen und die zum großen Teil von ihr dargeboten werden, wie geschaffen. Gunther Nickles als der Schauspieler Srulik verschafft dem Zuschauer bei der Schwere des Stoffes mit komischen Einlagen mehrmals Möglichkeit zum Verschnaufen. Dies gelingt ihm, ohne in die Lächerlichkeit abzudriften, sei es im Dialog mit der Handpuppe Lina oder mit einer Hitler-Parodie, die auch einen Charlie Chaplin mit Stolz erfüllen würde, und die gerade dadurch die Tragik von Nickles‘ Figur zum Vorschein bringt. Eine herausragende Leistung gelingt Volkram Zschiersche in der Rolle des SS-Offiziers Kittel. Obwohl sich seine Figur meist zwischen Gönnertum und Kumpelei bewegt, schwingen in Zschiersches Spiel doch immer Autorität und eine diabolische Gefahr mit.
Die Bühne und die Kostüme von Britta Lammers üben sich in vornehmer Zurückhaltung. Nichts als eine umgekippte Wandkonsole sowie die Bücher und der Schreibtisch des Bibliothekars Kruk sind zumeist auf der Bühne zu sehen. Das Publikum erlebt große Teile des Stücks hautnah vor sich, denn der Bühnenraum ist – einer Arena gleich – nur durch einen Zaun von der ersten Reihe getrennt. Das Orchester unter der musikalischen Leitung von Hendrik Haas, das eine handwerklich solide Darbietung liefert, nimmt im hinteren Bereich der Bühne Platz.
Geschickt gelingt von Studnitz der Übergang verschiedener Szenen durch den Einsatz von Licht und Schatten, eine Schattenwand erlaubt die Darstellung von Exekutionen ohne unnötiges Blutvergießen. Wenn zum Höhepunkt des zweiten Aktes das jüdische Theater im Beisein des SS-Offiziers offen das Nazi-Regime kritisiert, bleibt dem Publikum der Atem stocken. Das Grauen in der Ulmer “Ghetto”- Inszenierung spielt sich im Kopf des Zuschauers ab, nicht auf der Bühne.
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