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Les Misérables (2005 - 2006)
Theater, Lüneburg

CastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

„Les Misérables“ ohne Drehbühne? Geht das denn überhaupt? Helga Wolfs Lüneburger Inszenierung beweist aufs Eindrucksvollste, dass eine bewusst konservativ-werkgetreue Aufführung, sorgfältige Personenregie und eine tolle Darstellerriege technische Finessen überflüssig machen können.

Klein ist es, das Lüneburger Stadttheater. Und so stellt sich schnell die Frage, ob das Revolutionsepos mit mehr als 30 Mitwirkenden nicht zu groß für die Dimensionen des Hauses sein könnte. Die Neuinszenierung des inzwischen zum Klassiker gewordenen Boublil-Schoenberg-Musicals erweist sich jedoch schnell als ganz großer Wurf. Zwar tönt bei der Ouvertüre das Orchester nicht ganz so bombastisch wie in Duisburger und Berliner Großproduktionstagen, die Tonanlage des Hauses gerät mehr als einmal an die Grenzen ihrer Möglichkeiten und auch die Akteure des Haus- und Extrachores wirken mitunter etwas hölzern, doch die Inszenierung von Hausregisseurin Helga Wolf („Evita“, „Jesus Christ Superstar“) lässt schnell die Zweifel vergessen und begeistert.

Geschickt spielt die Regisseurin auf der schmalen, aber zumindest tiefen Bühne mit wenigen stilisierten Brückenbogen-Elementen, die je nach Situation zu neuen Räumen zusammengefahren werden, und nutzt die Dimensionierung der Spielfläche für wunderschön gestellte Massenszenen, die auf dem engen Raum eindrucksvoll wirken. Auch die Barrikadenteile von Bühnenbildnerin Barbara Bloch, gerade einmal mannshoch, wirken keinesfalls zu klein. Vielmehr kommt das Kampfgetümmel viel direkter und unmittelbarer über die Rampe als auf den Großbarrikaden der weltweit gespielten Standardinszenierung.

Für nötige Umbauten, sonst mittels Drehbühne realisiert, wird kurzerhand ein schwarzer Prospekt in der Bühnenmitte heruntergefahren, hinter dem Szenenbilder auf- und abgebaut werden können, während die Handlung im Vordergrund weitergeht. Inszenatorische Überraschungen bleiben aus, das Stück wird vielmehr auf seine eigentlichen Stärken, die vielfältige Personenführung und die durchkomponierte Struktur, die ein musikalisch-szenisches Kleinod ans andere reiht, konzentriert.

Hier kann die Lüneburger Inszenierung mit einer eindrucksvollen Darstellerriege aufwarten, die den wohlbekannten Musical-Charakteren ohne Ausfälle gerecht wird und sogar in vielen Fällen für neue Facetten sorgt. Alexander Di Capri (sonst zweiter Graf auf der Hamburger „Vampir“-Bühne) spielt einen überraschend jungen und dynamischen Jean Valjean, der zunächst durch ungewohnt poppigen Stimmsound überrascht. Spätestens in der Barrikadenszene gewinnt er mit einem gut gesungenen „Bring ihn heim“ auch die Herzen der „Les Mis“-Traditionalisten und spielt später den gebrochenen alten Valjean absolut überzeugend und ergreifend.

Ulrich Kratz ist ein Javert in bester Hartwig Rudolz-Tradition, der ehrfurchtsgebietend und mit großer Stimme seinem Widersacher ebenbürtig ist. Petra Weidenbachs als Fantine spielt ebenso wie Uwe Salzmann und Kirsten Patt als Wirtspaar Thenardier absolut rollendeckend. Auch Kristian Lucas als Marius und Olaf Paschner als Enjoleras müssen schauspielerisch und gesanglich keinen Vergleich mit ihren Großproduktions-Vorgängern scheuen.

Für die positivsten Überraschungen des Abends aber sorgen Valerie Link als Cosette und Stephanie Sturm als Eponine. Valerie Link, die schon im Berliner Theater des Westens in der sonst eher undankbaren Rolle der Cosette auf der Bühne stand, kann wie schon dort mit ihrem wunderschönen Sopran überzeugen. Darüber hinaus gelingt ihr in Lüneburg eine neue Rolleninterpretation, die Cosette nicht mehr nur als liebendes Anhängsel des Jung-Revolutionärs Marius zeigt. Zunächst schwärmerisch-überschwenglich verliebt, wandelt sich diese Liebe später in eine Stärke, mit der sie den Rekonvaleszenten Marius aufbaut und ihm eine gleichwertige Partnerin auf Augenhöhe wird.

Stephanie Sturm begeistert mit einer kraftvollen, aber schön klingenden Belt-Stimme voller Gefühl, die für Gänshaut sorgt. Sie treibt ihrer Eponine jegliche Lieblichkeit aus und spielt sie als rotziges Gassenmädchen mit ungelenker Körpersprache und gewollt ruppigen Manieren. Trotzdem gelingen ihr auch die gefühligen Passagen der Rolle hervorragend: Eponines Fassungslosigkeit in der Dreier-Szene, in der Eponine Marius zu Cosette führt und – von ihm quasi stehengelassen – erkennen muss, dass er in ihr lediglich die Kameradin sieht, gehört zu den berührendsten Szenen des Abends.

Dies ist nur ein Beispiel für die liebevoll detaillierte Personenregie, die der Inszenierung eigen ist. Da bevölkern in der Barrikadenszene auch Marketenderinnen die Revolutionsszene, da wird aus dem traurigen „Weiter“ der Frauen nach der niedergeschlagenen Revolte ein poetischer Reigen mit einer fast endlosen Stoffbahn, die den überlebenden Marius quasi auf die Bühne zaubert, da tauchen in der „Dunkles Schweigen“-Szene die getöteten Freunde hinter einer weißen Leinwand als starre Schattenbilder in charakteristischen Posen sofort wieder erkennbar auf.

Diese sorgfältige Abstimmung ermöglicht einen durchgehenden Erzählfluss ohne Brüche, es gelingt, der verwirrenden Personenvielfalt problemlos zu folgen. Mit einer uneitlen Inszenierung stellt sich die Lüneburger „Les Misérables“-Produktion in den Dienst der starken musikalischen und szenischen Vorlage und beweist – mit viel Begeisterung und Herzblut gespielt – wie schön und qualitativ hochwertig Stadttheater-Musical sein kann.

 
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CAST (AKTUELL)
Jean ValjeanAlexander Di Capri
JavertUlrich Kratz
FantinePetra Weidenbach
Evelyn Werner
EponineStephanie Sturm
CosetteValerie Link
MariusKristian Lucas
ThénadierUwe Salzmann
Mme. ThénadierKirsten Patt
EnjolrasOlaf Paschner
Kleine CosetteJacqueline Budde
Kimberley Hagenbrock
GavrocheVasko Biermann
Bjarne Gedrath
Paul Werner
CombeferreOliver Hennes
FeuillyWlodzimierz Wrobel
CourfeyracMarcus Billen
JolyThomas Heinrichs
GrantaireFerdinand Steinhöfel
ProuvaireGiovanni Manconi
LesgelsMichael Otto
Bischof von DigneFerdinand Steinhöfel
Fabrik-MädchenElena Zehnoff
Junge HureBianca Stüben
Annika Nagel
 
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 19.11.2005 20:00Theater, LüneburgPremiere
So, 04.12.2005 19:00Theater, Lüneburg
Fr, 16.12.2005 20:00Theater, Lüneburg
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