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„Die einzige Erklärung ist: Es gibt keine Erklärung.“ So wird Luis Buñuel – mexikanischer Filmemacher, auf dessen Filmen dieses Musical basiert – über sein Werk zitiert. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf sollte man sich „Here We Are“ ansehen – sich einfach entspannt zurücklehnen und dem surrealen Treiben auf der Bühne folgen.
Marianne und ihr Mann Leo sind sehr überrascht, als eines Morgens das mit ihnen befreundete Ehepaar Claudia und Paul sowie Mariannes Schwester Fritz und Raffael, der Botschafter des (fiktiven) Landes Moranda, in ihrer Wohnung stehen und behaupten, sie seien zum Brunch eingeladen. Weil sich Marianne und Leo nicht daran erinnern können und nichts vorbereitet ist, beschließen sie, einfach auswärts zu brunchen. Doch das schaffen sie weder im „Café Everything“, das zwar eine Speisekarte dick wie ein Telefonbuch aus früheren Zeiten aufweist, aber nichts davon anbieten kann, noch im Bistro „À La Mode“, wo gerade der Koch verstorben ist. Als sie in der „Osteria Zeno“ bestellen wollen, wird das Lokal von Colonel Martin im Namen der US Armee geschlossen. Seine Einheit verfolgt die Spur eines Drogenkartells, die ihn hierher geführt hat. Völlig zu Recht, denn Leo, Paul und Raffael gehören zum Kartell. In Begleitung des Colonels befindet sich ein Soldat, der in der Nacht zuvor einen seltsamen, in der Osteria spielenden Traum hatte, in dem auch Fritz vorkam. Colonel Martin und der Soldat schließen sich der Gruppe an, die nun zum Essen in die morandische Botschaft aufbricht. Dort stößt ein Bischof zu ihnen. Der Geistliche befindet sich in einem Gewissenskonflikt, denn er hält sich für einen schlechten Priester und sucht nun eine berufliche Neuausrichtung. Da bricht draußen eine Revolution aus, die nichts Geringeres als den Weltuntergang einläuten soll, mit der nun wiederum die linke Aktivistin Fritz (Deckname: „Apocalypse“) zu tun hat und die vom Butler des Botschafters (Deckname: „Inferno“) gesteuert wird. Nach dem Essen will die Gesellschaft den Heimweg antreten, aber niemand schafft es, den Salon der Botschaft zu verlassen. Und keiner weiß, warum.
Alles in allem also eine ziemlich absurde Geschichte.
Die von David Zinn kreierte Guckkastenbühne zeigt einen sterilen weißen Raum mit Spiegelwänden rechts und links. Die Figuren erscheinen darin wie eingeschlossen. Elemente der Restaurants werden vom Schnürboden heruntergelassen und verschwinden wieder dorthin. Das Eingeschlossen-Sein zieht sich optisch durch den ganzen ersten Akt. Einzelne Personen stehen in Lichtkreisen, die ganze Gruppe in einem Rechteck aus Licht, das sich mit ihnen bewegt. Auch in den Lokalen wirken sie wie hinter den Tischen eingesperrt. Der Salon in der Botschaft ist im Gegensatz dazu mit exquisiten Möbeln und Holzvertäfelung edel ausgestattet. Hat das Weiß des ersten Akts trotz der räumlichen Grenzen etwas von unendlicher Weite, engt das jetzt vorherrschende dunkle Braun ein.
Acht Jahre lang arbeiteten der zu Beginn des kreativen Prozesses schon über 80-jährige Stephen Sondheim und der Dramatiker David Ives an „Here We Are“. Nicht kontinuierlich, es kam immer wieder zu Pausen. Luis Buñuels Film „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ (1972) diente als Vorlage für den ersten Akt, „Der Würgeengel“ (1962) für den zweiten. Buñuel kritisiert in seinen Filmen die Oberschicht, mal satirisch, mal dramatisch. Ives und Sondheim picken sich Momente, Situationen, auch einzelne Sätze aus den Filmen und verarbeiten sie zu einer temporeichen Farce. Buñuels scharfe Gesellschaftskritik wird dadurch publikumstauglich verwässert, schimmert aber durch die Pointenoberfläche weiterhin durch.
Der Musical-Exzentriker Sondheim hat sich in seinem letzten, erst nach seinem Tod uraufgeführten Werk, von traditionellen Musical-Songs nahezu verabschiedet. Hier gibt es allenfalls Melodiefetzen, der Sprechgesang steht im Vordergrund. Sein Gespür, wie gewohnt großartig gereimte Texte rhythmisch so auf den Punkt zu bringen, dass jede Pointe sitzt, ist meisterhaft. Emotionale Melodiebögen gesteht er nur dem Soldaten in seinem Solo und den Duetten mit Fritz zu. Nach längerer Pause nahm Sondheim die Arbeit an dem Stück während der Corona-Pandemie wieder auf und arbeitete passenderweise am zweiten Akt, in dem die Charaktere die morandische Botschaft nicht verlassen können. Wenn nach der ersten dort gemeinsam verbrachten Nacht das Klavier im Salon verstummt (im Original heißt es passend: „The piano died.“), dann verstummen auch, von Hintergrundmusik abgesehen, Sondheims Lieder endgültig. Das bedeutet nicht, dass er es zu Lebzeiten nicht mehr schaffte, „Here We Are“ fertig zu komponieren; er fand weitere Songs schlichtweg unnötig. Ihm hatte gefallen, dass Buñuel bei „Der Würgeengel“ außer beim Vorspann komplett auf Musik verzichtete. Die letzte Viertelstunde, in der die Konflikte innerhalb der Gruppe ausbrechen, die Nerven der Eingeschlossenen blank liegen und sich das Diener-Herrschaftsverhältnis umkehrt, besteht aus reinem Schauspiel.
Und das ist wirklich vom Feinsten. Auch wenn die Figuren nicht sehr vielschichtig gezeichnet sind und kaum Mitgefühl erzeugen, ist es ein großes Vergnügen zuzusehen, wie die dekadente Gesellschaft in Extremsituationen zunehmend hilflos agiert.
Rory Kinnear als unmoralischer Industrieller Leo ist der lautstarke Anführer der Truppe. Als seine Frau Marianne schafft Jane Krakowski eine differenzierte Charakterzeichnung. Sie ist eine ignorante, verwöhnte High-Society-Lady, die eher spricht als denkt. Die Zeit in der Botschaft bringt sie dazu, ihre Situation infrage zu stellen. Eine außerordentlich starke darstellerische Leistung! Da macht es auch nichts, dass sie in den Höhen stimmlich an ihre Grenzen kommt.
Mariannes Schwester Frances hat sich irgendwann in Fritz umgenannt, lebt offen lesbisch und demonstrativ unangepasst – lässt sich aber ohne moralische Skrupel in luxuriöse Restaurants einladen. Dass sie sich beim Anblick des muskulösen, gutaussehenden Soldaten urplötzlich für Männer interessiert und das mit „Ich erforsche“ begründet, ist ärgerlich – auch wenn es bei Fritz weniger um Romantik als um Trieb geht. Aber so wird die fragwürdige These angedeutet, dass man einfach nur einen richtigen Kerl braucht, um eine homosexuelle Frau zur Heterosexualität zu ‚bekehren‘. Chumisa Dornford-May bringt in dieser Rolle ihre beachtliche Stimme zur Geltung. Als ihr deutlich romantischeres Gegenüber, der namenlose naive Soldat, muss sich Richard Fleeshman keineswegs verstecken.
Paul Szot gibt mit seinem operngeschulten Bariton dem morandischen Botschafter Raffael die selbstwusste und zwielichtige Schmierigkeit eines Mannes, der nicht einsieht, dass seine Zeiten als großer Frauenheld eigentlich vorbei sind. Oder besser: so gut wie vorbei sind, denn er hat ein heimliches Verhältnis mit Claudia. Die Frau des Schönheitschirurgen Paul, dem Jesse Tyler Ferguson mit agiler Körperlichkeit etwas Hilfloses und Schwaches verleiht, arbeitet als Managerin in der Unterhaltungsindustrie und scheint ihre Leben völlig durchgetaktet zu haben. Martha Plimpton serviert ihre trockenen Pointen mit der Beiläufigkeit, wie ihre Figur wahrscheinlich auch ihre Mitarbeiter herumkommandiert.
Cameron Johnson gibt einen stattlichen Colonel und Harry Hadden-Paton einen schüchtern-verhuschten Bischof mit Faible für Damenschuhe. Tracie Bennetts und Denis O’Hares Figuren heißen auf der Personenliste einfach nur ‚Woman‘ und ‚Man‘. Sie spielen virtuos alle Kellnerinnen, Kellner und Hausangestellte. Sie hatten diese Rollen schon in der New Yorker Uraufführung inne, die in weiten Teilen ans National Theatre übernommen wurde.
Joe Mantellos Inszenierung besticht durch ihre Beweglichkeit, zu der auch die Choreografien von Sam Pinkleton beitragen, die präzise Personenführung und wie Akzente der Musik in Bewegungen, Gesten, Blicken aufgegriffen werden. Der für Komödien so wichtige Rhythmus kommt nicht nur aus der Musik, sondern auch aus den genau getimten Dialogen.
Jonathan Tunick und Alexander Gemignani haben Sondheims Kompositionen flirrend orchestriert, mit viel Percussion, Triangel und vermeintlich unschuldigen Holzblasinstrumenten. Nigel Lilley leitet das 13-köpfige Orchester zu einem transparenten, schimmernden Klang.
Mit „Here We Are“ verabschiedet sich Stephen Sondheim posthum von der Bühne. Und wie mit vielen seiner Stücke fordert er sein Publikum auch diesmal heraus. Was wie eine verschrobene schwarze Komödie beginnt, wird zum existenzialistischen Drama. Oder ist alles von Anfang an ein Traum? Sind die Figuren Patienten einer Psychiatrie und der weiße Raum ist eine Gummizelle? Sind sie in einer Art Fegefeuer gefangen? Im Surrealismus ist alles möglich. Und: „Die einzige Erklärung ist: Es gibt keine Erklärung.“
Musik / Text – Stephen Sondheim
Buch – David Ives
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| KREATIVTEAM | |||||||||
|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
| Inszenierung | Joe Mantello |
| Bühne / Kostüme | David Zinn |
| Choreographie | Sam Pinkleton |
| Orchestrierung | Jonathan Tunick |
| Zusätzl. Arrangements | Alexander Gemignagni |
| Musikal. Leitung | Nigel Lilley |
| Licht Design | Natasha Katz |
| Sound Design | Tom Gibbons |
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| CAST (AKTUELL) | |||||||||
|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
| Fritz | Chumisa Dornford-May |
| Paul Zimmer | Jesse Tyler Ferguson |
| Claudia Bursik-Zimmer | Martha Plimpton |
| Bishop | Harry Hadden-Paton |
| Colonel Martin | Cameron Johnson |
| Leo Brink | Rory Kinnear |
| Marianne Brink | Jane Krakowski |
| Woman | Tracie Bennett |
| Man | Denis O'Hare |
| Soldier | Richard Fleeshman |
| Raffael Santello Di Santicci | Paulo Szot |
| A Visitor / Ensemble | Jack Butterworth |
| Ensemble | Edward Baker-Duly Alistair Brookshaw Molly Lynch Amira Matthews Steven Serlin |
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| GALERIE | |||||||||
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