Friedrich Rau (Sturmius), Sabrina Weckerlin (Alrun), Thomas Borchert (Bonifatius) © spotlight musicals / Michael Wertmüller
Friedrich Rau (Sturmius), Sabrina Weckerlin (Alrun), Thomas Borchert (Bonifatius) © spotlight musicals / Michael Wertmüller

Bonifatius (2024)
spotlight musicals GmbH, Fulda

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Zum Ende der Freilichtsaison wird in Fulda noch ein großes Highlight dargeboten! Spotlight Musicals historisches Erstlingswerk „Bonifatius“ läuft aktuell vor der beeindruckend-ehrwürdigen Kulisse des Fuldaer Doms, wenige Meter von der Grabstätte des titelgebenden Heiligen entfernt, als pompöses Open Air Spektakel. Diese Inszenierung strahlt – begonnen bei der elaborierten Bühnentechnik, dem trotz des riesigen Schauplatzes einwandfreien Sounds über die hochkarätige Besetzung bis zum wuchtigen Orchester und dem beeindruckenden Chor.

Wie sich das Musical „Bonifatius“ in 20 Jahren vor allem inszenatorisch weiter entwickelt hat, ist beeindruckend: Vom kleinen Schlosstheater hat es die Erzählung um den britischen Missionar und seinen Lehrling Sturmius schon 2019 auf die riesige Open-Air-Bühne vor dem Fuldaer Dom geschafft, von wo für die diesjährige Produktion große Teile der Technik, Ausstattung und Inszenierungsideen übernommen wurden. Die zwei größten Änderungen: Reinhard Brussmann hat seine Paraderolle an Thomas Borchert übergeben, und Michael Schüler übernimmt die Wiederaufnahme-Regie, nachdem Stefan Huber, der die erste Open-Air-Version inszeniert hatte, inzwischen verstorben ist.

Die Spotlight-Version der Geschichte nimmt sich mit dem historischen Stoff einige künstlerische Freiheiten heraus, ohne die Legende um Bonifatius stark zu verfälschen oder allzu tendenziös zu beleuchten. Dies ist aufgrund der Komplexität der Erzählung und der involvierten, für die deutsche und europäische Historie äußerst relevanten, nicht selten sehr ambivalenten Persönlichkeiten ein Drahtseilakt, der gelingt. Am Anfang wird eine Schauspieltruppe gezeigt, die sich der Geschichte um Bonifatius emotionsgeladen annimmt, wodurch direkt klar wird, wie polarisierend diese Persönlichkeit seinerzeit agiert hat. Ihr Schauspiel basiert auf der von Willibald geschriebenen mittelalterlichen Chronik, über die das Publikum dann durch eine Reise in die Vergangenheit aufgeklärt wird. In der historischen Rahmenhandlung beauftragt Lullus, der Nachfolger Bonifatius‘ auf dem Mainzer Bischofsthron, den Mönch Willibald, eine lupenreine Biographie des vor kurzem ermordeten Missionars anzufertigen, damit Bonifatius heiliggesprochen und posthum der Kirche ein Symbol werden soll. Dabei werden viele Taten des Predigers ausgeschmückt und ein Pathos kreiert, der Legende mit Historie verschmelzen lässt.

Das Buch von Zeno Diegelmann schafft es durch Stefan Hubers und Michael Schülers erzählerisch getriebene Regie vortrefflich, die Heiligenfigur in ambivalentes, von verschiedenen Quellen tendenziös verfälschtes Licht zu stellen, ohne die als gesichert geltenden Errungenschaften des Bonifatius herunterzuspielen. Der vor allem am Ende des Stückes schwere Pathos wird durch die beiden Rahmenhandlungen des Chronikschreibers nach Bonifatius‘ Tod und der sich streitenden Schauspieltruppe der Gegenwart wunderbar in Perspektiven gelenkt. Die Schwäche des Buches liegt dagegen in den für die Haupthandlung nicht relevant gezeichneten Nebencharaktere – vor allem die weiblichen Figuren der Heiligen Lioba (hier eine Cousine des Bonifatius) und der freiheitssuchenden Alrun sind davon betroffen. Durch ihre großen Lieder finden sie im Stück ihren erinnerungswürdigen Platz, doch verläuft ihre Geschichte jeweils ins Nebulöse. Die Dramatik des Stoffes muss durch das Publikum durchaus polarisierende komödiantische Elemente, wie einen im Dialekt schwätzenden Gesandten, der kurz vor Bonifatius‘ Todesszene auftritt, zudem leider gerade im zweiten Akt an Stringenz einbüßen, was verhinderbar gewesen wäre.

Hervorragend wird das Musical visuell und akustisch dargeboten: Tom Strebels Sounddesign vollbringt wahre Wunder, wenn es bis in die hintersten Ränge des über 6000 Zuschauer fassenden Domplatzes glockenklaren Ton überträgt, der so nah wirkt, als säße man im Kino. Hier wird eindrucksvoll bewiesen, dass Open-Air keine schlechte Akustik haben muss – umso beeindruckender bei dem Gedanken an das, was es alles abzumischen gilt: Der riesige Chor unter Marcel Jahns Leitung vermittelt epochalen Musical-Klang. Das grandiose, bestens besetzte Live-Orchester der Kölner Symphoniker mit der Dirigentin Inga Hilsberg entlockt Dennis Martins Songs und Melodien noch nie gehörte Feinheiten. Die Orchestrierung ist schier überwältigend und ein Highlight für sich, von der Gänsehaut-treibenden Ouvertüre über das epochale, markerschütternde „Donareiche“ bis zum überwältigenden Finale zeigt dieses Orchester, wie großes Musical klingen kann.

Auch von visueller Seite kann Pia Virolainens hochdramatisches Lichtdesign im Zusammenspiel mit den auf die gesamte Fassade des Fuldaer Doms projizierten Video Designs (Sven Sauer) und Motion Designs (Alexander Mink) das volle Potenzial dieser Inszenierung ausschöpfen und lässt die Story zuweilen beinahe filmisch erscheinen – so entstehen diverse visuelle Höhepunkte, bei denen der Dom mal zu einem Meer aus Bäumen, mal in eine Feuersbrunst verwandelt wird und am Ende kunterbunt erstrahlt. Durch wenig physische Requisiten werden alle Schauplätze vom Wirtshaus zum Kardinalspalast, vom Vatikan zum friesischen Wald, angedeutet – das Licht und die Projektionen erledigen den Rest. Vielmehr ist der zentrale Teil der Bühne, bestehend aus zwei heb- und senkbaren, riesigen Projektionsflächen, die mittig durch einen säulenartigen Vorhang verbunden werden, beeindruckend. Durch unterschiedliche Beleuchtung dieser Flächen und unterschiedliche Senkwinkel und dem Kontrast zu den fast winzig wirkenden Darstellern entstehen kunstvolle, große Bilder. Das beeindruckendste davon wird kreiert, als Bonifatius die Donareiche fällt – hier öffnet sich das gesamte Bühnenbild, die Säule fällt und eröffnet den Blick auf die Jahresringe im inneren des riesigen gefällten Baumes, in dessen Schatten vielsagend der Rest der Geschichte dann stattfindet.

Okarina Peter und Timo Dentler haben 2019 für das pompöse Bühnenbild und die wunderschönen, kunstvollen Kostüme gesorgt, die auch dieses Jahr große Augenweiden sind. Vor allem die Kostüme des Bonifatius, des Radbod und der Lioba stechen stimmig ins Auge. Dahingegen irritiert es, dass die absichtlich geschmacklosen Kluften der Mainzer Bischofsentourage auch nach Bonifatius‘ Ernennung zum Kirchenherrn noch am Hofe, sogar durch Bonifatius selbst im roten Glitzertalar, rezipiert werden.

Danny Costellos Choreographien entfalten vor allem in den heiteren Gruppensongs die volle, dynamische Wirkung, können aber auch bei den düsteren Massenszenen, bei denen Bonifatius auf die Germanen trifft, für Gänsehaut sorgen. Einzig bei „Ein Leben lang“ wirkt die üppige Choreographie zum Selbstfindungslied der Hauptfigur überambitioniert und daher ablenkend.

Max Gertsch füllt seine Rollen von Lullus über Karl Martell mit nuancierten Eigenheiten, sodass kaum auffällt, dass er in dieser Inszenierung mehrfach auftritt. Karsten Kenzel gibt als Luidger den loyalen Freund von Bonifatius, dessen jähes Ende das Publikum berührt. Tom Schimon und Simon Staiger als Pippin und Karlmann geben den authentischen und ausgewogenen Teil des Comic Reliefs dieser Inszenierung zum Besten. Alexander von Hugo zeichnet als Chroniker Willibald ein leidenschaftliches Bild eines dem Vorbild nacheifernden Geistlichen, der am Ende wahrscheinlich als einziger die Motive des Bonifatius durchdrungen hat. Anke Fiedlers Figur der Lioba hat so viel buchbedingt ungenutztes Potenzial, das durch ihre energetische und temperamentvolle Auslegung der Figur schmerzlich bewusst wird. Ihr Song „Starke Frauen“ ist ein willkommener Gassenhauer. Sabrina Weckerlin gibt die sehnsüchtige und leidenschaftliche Alrun mit großer Gesangsstimme in „Wann trägt der Wind mich fort“, das gleichzeitig der musikalische Höhepunkt der Inszenierung wird, und beweist eine schöne Bühnenchemie mit Friedrich Rau. Als zunächst jugendlich-folgsamer, naiver Sturmius, der graduell an Ernsthaftigkeit und Pflichtgefühl gewinnt und seine Leidenschaft von der Liebe zum Glauben verlagern muss, macht Rau eine vortreffliche Figur, die in seinem emotionalen „Abendrot“ kulminiert. Andreas Lichtenberger als markerschütternder, am Ende doch viel Menschlichkeit preisgebender Radbod beeindruckt durch sein dominantes Schauspiel, und auch gesanglich ist er in „Die Donareiche“, „Martyrium“ im Duett mit Borchert und „Das Komplott“ im Zusammenspiel mit Winkels eine Naturgewalt. Frank Josef Winkels gibt mit „Gewilips dekadentes Leben“ einen gesanglichen Höhepunkt zum besten und besticht mit durchdringendem Schauspiel, das seine Figur zum wahren Antagonisten der Geschichte mausert. Thomas Borchert füllt als Bonifatius die großen Fußstapfen von Reinhard Brussmann und Ethan Freeman mit Bravour. Er drückt dieser Figur seinen ganz eigenen Stempel auf, spielt die Figur weniger dramatisch aus, setzt mehr auf die subtilen menschlichen Gefühlsregungen, die emotionalen Schwankungen und Ausbrüche eines rastlosen Geistes, der vergeblich versucht, besonnen in sich zu ruhen. Mit „Ein Leben lang“ und „Selbsterkenntnis“ schafft er zwei besonders ergreifende Momente, die den Heiligen dem normal-sterblichen Publikum zum Greifen nah bringen.

Die Spielzeit in Fulda umfasst nur wenige Termine, aber wer die diesjährige Open-Air-Saison krönend abschließen möchte, dem sei ein Besuch bei „Bonifatius“ dringend empfohlen!

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
Text & KompositionDennis Martin
BuchZeno Diegelmann
Zusätzliche Musik & TextePeter Scholz
Thomas Van De Scheck
Bearbeitung & zusätzliche TexteChristoph Jilo
MusikarrangementFrank Hollmann
DirigentinInga Hilsberg
RegieStefan Huber
Wiederaufnahme-RegieMichael Schüler
ChoreografieDanny Costello
Kostüm- & BühnenbildOkarina Peter
Timo Dentler
MaskenbildElke Quirmbach
LichtdesignPia Virolainen
SounddesignTom Strebel
VideodesignSven Sauer
Motion DesignAlexander Mink
ChorleitungMarcel Jahn
MusikproduktionFabian Kampa
Associate SounddesignerYoussef Iskander
Associate ChoreographerFarid Halim
Katrin Merkl
LichtprogrammierungSvein Selvik
RegieassistenzAlexander Stumpf
ProduktionsleitungPeter Scholz
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
BonifatiusThomas Borchert
(Andreas Lichtenberger)
AlrunSabrina Weckerlin
(Katrin Merkl)
(Lina Kropf)
(Nadine Kühn)
SturmiusFriedrich Rau
WillibaldAlexander von Hugo
Bischof GewillipFrank Josef Winkels
(Karsten Kenzel)
RadbodAndreas Lichtenberger
LuidgerKarsten Kenzel
KarlmannSimon Staiger
PippinTom Schimon
LiobaAnke Fiedler
(Lina Kropf)
Lullus, Karl Martell, Papst, GesandterMax Gertsch
Walk-in CoverSascha Kurth
EnsembleLina Kropf
Raphaela Pekovsek
Veronica Appeddu
Joyce Diedrich
Lynsey Reid
Michelle Tönnies
Nadine Kühn
Jenny Schlenkser
Katrin Merkl
Martin Ruppel
Robert Johansson
Tobias Korinth
Philipp Hägeli
Steven Seale
Ömer Örgey
Alexander Karger
Perry Beenen
Sascha Laue
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Do, 22.08.2024 20:30Domplatz, FuldaPremiere
Fr, 23.08.2024 20:30Domplatz, Fulda
Sa, 24.08.2024 20:30Domplatz, Fulda
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