Alexander Donesch (Dracula), Ensemble © Detlev Müller
Alexander Donesch (Dracula), Ensemble © Detlev Müller

Dracula (2025)
Mittelsächsisches Theater, Freiberg

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

„Dracula“ in einer (entwidmeten) Kirche aufzuführen ist eine ungewöhnliche und vielleicht auch kontroverse Entscheidung, die dem Wildhorn-Musical in Freiberg imposante Bilder beschert. Wenn der untote Vampirfürst vor dem in blutrotes Licht getränktem Altar mit biblischem Auferstehungsmotiv Songs wie „Leb‘ noch einmal“ anstimmt, sorgt das für Gänsehautmomente. Diese beeindruckende Szenerie sowie die grandios stimmstarke Besetzung sind die große Stärken der Inszenierung von Sergio Raonic Lukovic.

Die Freiberger Nikolaikirche entstand im 12. Jahrhundert und wird seit den frühen 2000ern als Konzert- und Tagungshalle genutzt – trotzdem bleibt dank dem wunderbar restaurierten Kirchenschiff und dem imposanten barocken Altar die Kirchenatmosphäre weitgehend erhalten. Das Mittelsächsische Theater hat hier in den vergangenen Jahren bereits „Jesus Christ Superstar“ und „Die Päpstin“ aufgeführt. 2025 sucht nun „Dracula“ die Nikolaikirche heim – und nutzt die Gegebenheiten der Spielstätte optimal.

Der Altar ist durch einen halbdurchsichtigen Vorhang, der teilweise aufgezogen wird und ansonsten Projektionsfläche für atmosphärische Bilder und Videosequenzen bietet, von der davor aufgebauten Bühne getrennt. Nicht nur Altar und Bühne, sondern auch die Kanzel, von der aus Dracula seine Angebetete Mina aus der Ferne umwirbt, sowie der Mittelgang zwischen den Stuhlreihen dienen als Schauplatz für teils beeindruckende und symbolkräftige Auftritte. Einen großen Anteil daran, dass diese Atmosphäre voll zur Geltung kommt, haben neben der Spielstätte selbst vor allem das stimmige Lichtdesign von John Gilmore and Ahmad Shalabys Videodesign.

Ansonsten ist die Ausstattung, die Lena Weikhard dem Stück angedeihen lässt, nicht immer harmonisch. Vor allem die Kostüme wirken teilweise wie ein Störfaktor in der stimmungsvollen Optik. Zwar ist das Farbschema gut durchdacht – Schwarz für Dracula, Blutrot für seine Bräute, Grün für die Lebenden und Weiß für Renfield und van Helsing – doch die Kostüme selbst sind ein kruder Mix aus verschiedenen Epochen. Besonders schlimm trifft es Mina im Rapunzel-Outfit und van Helsing, der optisch wie ein Hippie-Guru daherkommt. Auch warum in dem ansonsten weitgehend Requisiten-losen Stück im Finale des ersten Akts plötzlich eine große Diskokugel prominent zum Einsatz kommt, bleibt fraglich.

Draculas Schar von Vampirinnen dagegen sind in ihren opulenten roten Roben nicht nur ein Hingucker, sondern verschmelzen als verführerisch-bedrohliche Armee der Untoten auch zu einer Einheit. Regisseur Sergio Raonic Lukovic nutzt die sechs bissigen Gespielinnen Draculas (Lara Gloria Graf, Suzan Shixuan Wei, Marianna Ntinou, Shirin Ludwig, Fanni Semler, Mira Ziegler) für einige der stärksten Bühnenmomente seiner Inszenierung. Sei es, wenn die Vampirinnen einen nicht gänzlich unwilligen Jonathan fesseln, ausziehen und verführen, oder wenn sie um Quincy herumschleichen und ihn einkreisen wie ein Rudel ausgehungerter Raubtiere – wann immer Lukovic und Choreograf Romeo Y. Salazar sie in den Fokus rücken, entstehen dynamische Szenen. Ansonsten bleibt die Personenführung oft recht statisch und in vielen Szenen singen die Darsteller frontal zum Publikum anstatt zu interagieren. Das fügt sich in die Kulisse zwar gut ein und gibt der Produktion fast schon einen halb-konzertanten Charakter, führt aber auch dazu, dass vor allem die emotionale Entwicklung der Beziehungen zwischen Dracula und Mina zu wenig durch ein Zusammenspiel der beiden untermauert wird.

Anders als viele seiner Rollen-Vorgänger legt Alexander Donesch seinen Dracula als düster-mystische Kreatur der Nacht an – ein distanzierter Todesengel, der seine Menschlichkeit schon lange hinter sich gelassen hat. Selbst wenn Dracula Mina umwirbt, wirkt er stets unnahbar, überlegen und gefährlich und lässt nur in wenigen Momenten menschliche Emotionen aufblitzen – etwa in der Konfrontation mit Widersacher van Helsing oder wenn er am Ende seine eintönige Existenz hinterfragt. Sein kraftvoller Bariton fügt sich wunderbar in diese Interpretation ein und lässt seine Einsätze mächtig durch die Kirche schallen. 

Mit makellos geführtem, strahlendem Sopran und gefühlvoller Interpretation ihrer Songs sorgt Anna Burger als Mina ein ums andere Mal für gesangliche Highlights – besonders ihr verzweifelt-emotionales Solo „Lass mich dich nicht lieben“, das „Whitby Bay“-Duett mit Jonathan sowie ihre Duette mit Dracula „Für immer kommt ein morgen“ und „Endlich“ (ein wirklich schönes Lied, das in deutschsprachigen Aufführungen leider meist gestrichen wird) lassen aufhorchen. 

Professor van Helsing ist mit Yannik Gräf eher rollenuntypisch besetzt. Die Inszenierung räumt dem Vampirjäger mehr Raum ein als gewöhnlich und gibt ihm gleich die erste Szene des Stücks, in der er mit ansehen muss, wie seine Verlobte Dracula zum Opfer fällt. Das wäre zwar inhaltlich nicht notwenig gewesen, da die Geschichte im zweiten Akt ohnehin nochmal erzählt wird, gibt aber van Helsings Rolle mehr Gewicht im Stück, was dem Kräfteverhältnis der Figuren gut tut. Gräf gibt dem Charakter viel Tiefe, überzeugt sowohl in seinem sehnsüchtigen Solo „Rosanne“, in dem er immer noch mit dem Verlust seiner Liebsten hadert und sich dem Drogenrausch ergibt, als auch in dem dynamischen Duett „Am Ende“ gemeinsam mit Doneschs Dracula.

Angus Simmons als Minas Bühnen-Ehemann Jonathan kann mit seiner emotionalen Interpretation von „Die Flamme löschen, die für Freiheit brennt“, in dem er mit seinem Versprechen hadert, seine Frau wenn nötig zu erlösen, einen weiteren Höhepunkt am Premierenabend setzten. Ebenfalls enorm stimmstark: Michaela Bär als Lucy, deren eindringliches „Nebel und Nacht“ unter die Haut geht, sowie Chris Green, der den Wahnsinn von Draculas Gehilfen Renfield mit sichtlichem Genuss auf die Bühne bringt und mit dem „Lied vom Meister“ auftrumpfen kann.

Begleitet werden Solisten und Ensemble von der Mittelsächsischen Philharmonie unter Leitung von Bennet Eicke, die Wildhorns Partitur spielfreudig und dynamisch instrumentiert. Streckenweise lässt jedoch das enorm hohe Tempo wenig Spielraum für interpretatorische Feinheiten – besonders bei „Ich leb nur, weil es dich gibt“ fällt das negativ auf. Jonathans Solo im zweiten Akt verliert durch sein ungewohntes Arrangement ebenfalls an Dramatik. Auch die Abmischung zwischen Orchester und Gesang lässt am Premierenabend noch Luft nach oben – vor allem im ersten Akt schluckt die Akustik in der Nikolaikirche noch so manche Textzeile.

In der Geschichte von „Dracula“ geht es um das Gegenspiel zwischen Licht und Schatten – trotz kleiner Schwächen birgt Lukovics Inzenierung mehr Licht als Schatten und beweist einmal mehr, dass das Mittelsächsische Theater in der Sparte Musical nicht nur deutlich mutiger und experimentierfreudiger ist als andere Theater der Region, sondern auch beständig abliefert. 

 
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KREATIVTEAM
RegieSergio Raonic Lukovic
Musikalische LeitungBennet Eicke
AusstattungLena Weikhard
ChoreografieRomeo Y. Salazar
ChoreinstudierungPawel Serafin
DramaturgieCatherina Jacobi
LichtdesignJohn Gilmore
VideodesignAhmad Shalaby
TonThomas Fiedler
Nic Hermann
VideoChristian Morgenstern
Regieassistenz, AbendspielleitungMichelle Danneberg
InspizienzLukas Christoph Schergaut
 
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CAST (AKTUELL)
DraculaAlexander Donesch
Jonathan HarkerAngus Simmons
Mina MurrayAnna Burger
Lucy WestenraMichaela Bär
Prof. van HelsingYannik Gräf
RenfieldChris Green
Dr. Jack SewardSebastian Schlicht
Quincey MorrisJuhyuk Kim
Arthur HolmwoodFrank Blees
VampirinnenLara Gloria Graf
Suzan Shixuan Wei
Marianna Ntinou
Shirin Ludwig
Fanni Semler
Mira Ziegler
VampiropferGreta Lehnhoff
Levente Lorenz
Die MutterCornelia Gebert
PflegerMykyta Berezniak
Dimitro Moses
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 15.03.2025 19:30Nikolaikirche, FreibergPremiere
So, 16.03.2025 19:00Nikolaikirche, Freiberg
Di, 18.03.2025 19:30Nikolaikirche, Freiberg
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