Jonas Hein, Susann Ketley, Ensemble © Oper Wuppertal, Björn Hickmann
Jonas Hein, Susann Ketley, Ensemble © Oper Wuppertal, Björn Hickmann

Cinderella (2023 - 2024)
Wuppertaler Bühnen, Wuppertal

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Die Musical-Schwergewichte Richard Rodgers und Oscar Hammerstein II adaptierten den Märchen-Klassiker 1957 als Fernseh-Musical. 2013 wurde das Stück für den Broadway aufgefrischt und soll nun auch das Publikum in Wuppertal begeistern. Mit “Cinderella” wird dort das neue modulare Bühnenbild vorgestellt. Das bedeutet, dass durch seine Wandelbarkeit mehrere Inszenierungen in nur einer baulichen, aber modular verwendbaren Struktur gezeigt werden, ohne dabei dem Publikum ein immer gleiches Bühnenbild zu präsentieren.

Die bereits über 60 Jahre alte Originalfassung von Rodgers und Hammerstein wurde 2013 für den Broadway mit neuen Dialogen, aktuelleren Figurenzeichnungen und Dynamik in die Handlung bringenden zusätzlichen Charakteren überarbeitet. Hierdurch wurden einige Längen des mittlerweile deutlich in die Jahre gekommenen Werks ausgemerzt. Trotzdem bleibt das Buch recht langatmig und vor allem in Bezug auf die Figur der Cinderella, die hier Ella heißt, nicht besonders schmeichelhaft, fast schon etwas nervig in ihrer andauernden Unsicherheit und Entschlussangst. Regisseur Christian Thausing und seinem Kreativteam gelingt es in weiten Strecken, von den Mängeln des Buches durch schöne inszenatorische Ideen abzulenken. Vor allem in den Bereichen Bühnenbild (Hana Ramujkic) und Choreographie (Evamaria Mayer) kann hier gepunktet werden:

Ein Raum, der ein modernes Kinderzimmer darstellt und aus mehreren in sämtliche Richtungen verschiebbaren Wandelementen besteht, wird durch Versatz der einzelnen Wände in unterschiedliche Winkel zu einer dynamischen, lebendig wirkenden Komponente des Stück. Das ermöglicht das zu Anfang im Hier und Jetzt einsetzende Werk graduell in ein Märchensetting zu verwandeln und dies in intimen Momenten zwischen den Hauptfiguren wieder aufzubrechen, um es aus dem Fantastischen zu entrücken. Es entsteht gekonnt ein Wechselspiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart bzw. Fantasie und Wirklichkeit, das die Aschenputtel-Geschichte aktueller erscheinen lässt. Das differenzierte Lichtdesign (Florian Kerl) tut sein Übriges dazu, das gelungene Bühnenbild so zu inszenieren, dass in einem Moment ein magisches Gefühl verbreitet wird und im nächsten das Setting wieder menschlich-nahbar daherkommt. Besonders gelungen sind hier auch aus optischer Sicht die durch flackerndes Licht wunderbar visualisierten Quick-Changes. Weitere sehr ansehnliche und bezaubernde Bühnenelemente, die das Märchengefühl des Stückes bestärken, sind der große Heißluftballon, mit dem Cinderella anstatt einer Kürbiskutsche beim Ball erscheint und die Tatsache, dass die prominentesten Bühnenauf- und -abgänge wie durch Zauberhand durch Garderoben sowie Kleiderschränke geschehen. Ein verzauberter zum Leben erweckter Sessel, eine echte Feuersalve im Kampf gegen einen Drachen, romantischer Schneefall, rieselnder Glitzer in den Verzauberungen innerhalb des Stücks und hängende Ranken in einem verwunschenen Wald – magische Momente gibt es in dieser Inszenierung zuhauf. In den optisch ansprechenden Gesamteindruck fügen sich auch die zum Großteil sehr stimmigen Kostüme (Devi Saha) ein und schlagen einen weiteren Spagat von Märchenwelt zur Realität. Besonders gelungen sind hier die wandlungsfähigen Kleider von Ella und der Fee Marie sowie die schrille Abendgarderobe der Ballgäste. Auch die überzogenen Kostüme der Stiefmutter und ihrer zwei Töchter entfalten die gewünschte Wirkung auf ganzer Linie.

Das große Highlight dieser Inszenierung sind die schier endlos energetisch wirkenden Choreographien. Klassische Ballettfiguren reihen sich an Volkstanz-ähnliche Abläufe und werden von zahllosen akrobatischen Elementen aufgewertet. In einem auf Aschenputtel beruhenden Musical dürfen große Balltanzszenen nicht fehlen, und auch hier weiß die Choreographie zu begeistern, indem klassische Walzerschritte mit modernen Elementen stimmungsvoll kombiniert werden. Das übergroße und im Tanzmetier ausgesprochen virtuose Ensemble setzt die anspruchsvollen Choreographien gekonnt und scheinbar mühelos um, was Begeisterung auslöst und die teilweise doch sehr dahinplänkelnden Melodien enorm aufwertet.

Das Orchester unter der musikalischen Leitung von Johannes Witt spielt beschwingt und erstrahlt vor allem in den getrageneren Melodien der Partitur. Der Opernchor verleiht den Ensemble-Gesangsparts des Musicals etwas Epochales, das ihm gut zu Gesicht steht. Allerdings ist die Tontechnik an diesem Abend leider daneben. Im Opernfach ist es zum Teil üblich, mit zurückhaltender auditiver Verstärkung zu arbeiten, aber für ein Musical muss die Oper Wuppertal nachjustieren. Schier unverständlich werden große Teile des Stücks höchstens in die vordersten Reihen des Auditoriums gesendet, während das meiste von den Bildschirmen über der Bühne abgelesen werden muss, um überhaupt Textfetzen richtig deuten zu können. Mehrere Male sind Mikrofone von tragenden Darstellern kaum aufgedreht oder gänzlich abgeschaltet, oftmals klingen sie, wenn sie dann mal hörbar aktiviert sind, dumpf und gedrosselt. So geht leider ein Großteil des musikalischen Teils des Abends etwas unter.

Einige Figuren wissen in dieser Inszenierung auch nicht gänzlich zu überzeugen. Ob dies den Regievorgaben oder der individuellen Auslegung der Darsteller anzukreiden ist, bleibt dabei nebulös. Dass das gesamte Ensemble in allen drei Sparten Expertise und Talent mitbringt, ist aber offenkundig und lies Besseres erhoffen. Gundula Hintz als gute Fee Marie tritt, dafür, dass sie am Anfang als vollkommen verrückt beschrieben wird, sehr besonnen und kontrolliert, fast etwas zurückhaltend in ihrer Rolle auf. An diesem Abend wirkte ihr Gesang zu ihrer Auslegung der Rolle als eher großmütterliche Mentorin passend, zurückhaltend und zart. Etwas mehr Charakterzeichnung, Profil und Stärke auch im Stimmlichen hätte der Figur Marie gut getan – wobei betont werden soll, dass sie im zweiten Akt deutlich märchenhafter wirkt. Mark Bowman-Hester als aristokratischer Berater Sebastian bringt eine schrullig-antagonistische Nuance in sein Schauspiel und wirkt, nicht nur aufgrund seiner Optik, wie ein Abbild von Hape Kerkelings Kunstfigur Uschi Blum, allerdings mit einem starken Akzent, der abermals einen Blick auf den Erklärungsbildschirm oberhalb der Bühne oftmals unabdinglich machte. Edith Grossman als Stiefschwester Charlotte spielt ihre Figur protzig und rotzig, geht aber erst im zweiten Akt in ihrer Rolle, vor allem im Zusammenspiel mit Stefanie Smailes als Madame genannte böse Stiefmutter, richtig auf. Smailes ist fast schon etwas zahm für die große Antagonistin des Stücks, beweist aber in den Schlüsselszenen, beispielsweise, als sie Ellas Kleid zerfetzt, um sie an der Teilnahme am Prinzenball zu hindern, energische Gehässigkeit. Auch ihr merkt man an, dass sie vor allem im Zusammenspiel mit Heid in ihrer glamourös-garstigen Rolle an Strahlkraft gewinnt. Gioia Heid gibt Gabrielle, die zweite der Stiefschwestern, besonnen sowie, passend zu ihrer Emo-artigen Aufmachung, oftmals recht trocken emotionskalt. Einzig in der Kombination mit Dustin Smailes, der ihren Love-Interest, den revolutionär an Bürgerrechte denkenden Jean-Michel gibt, taut ihre Figur auf und erwärmt die Herzen des Publikums. Jonas Hein als Thronfolger Christopher zeichnet einen verträumten, oftmals etwas verloren wirkenden Jüngling mit der Stimme eines Disney-Prinzen. Sein Schauspiel wirkt eines Märchens würdig und versprüht sowohl Charme als auch Liebenswürdigkeit. Susann Ketley als Ella ist neben Hein das Besetzungshighlight dieser Inszenierung. Ihr Aschenputtel legt sie modern, nahbar, identifizierbar und introvertiert an. Dies macht Cinderella weniger zu einer Märchenfigur als vielmehr zu einem gänzlich normalen, unsicheren Mädchen von Nebenan, das sich – buchbedingt leider auch viel zu schwerfällig und Geduld strapazierend unschlüssig – aus ihrem eigenen Schatten bewegt. Das schier unerreichbar wirkende Ideal des Märchenprinzen an ihrer Seite zu erreichen, ist für Ketleys Ella scheinbar nicht der Fokus. Vielmehr legt sie ihre Figur mit Blick auf ihr Umfeld aus und ist bedacht darauf, das beste aus den Menschen herauszuholen, was Ella aber somit erst ganz am Ende der Handlung einmal selbst in den Fokus rückt. Diese dem Buch geschuldeten Wirrungen weiß Ketley für sich zu nutzen, wodurch ihr ein vielschichtiges Rolleprofil gelingt. Die musikalischen Highlights des Stückes gibt Ketley jeweils im Duett mit Jonas Hein zu Lieb ich dich weil du so bezaubernd bist? und Hintz mit So kann es sein.

Die Oper Wuppertal hat sich zwar ein zur Weihnachtszeit passendes, dennoch insgesamt vom Buch und den Kompositionen her beurteilt eher schwaches Musical ausgesucht. Vieles konnte gerettet werden, aber eben nicht alles – und hier und da können an der Inszenierung noch zusätzliche Baustellen erkannt werden. Dennoch zeigt die Oper Wuppertal, das die Zutaten für einen magischen Musicalabend hier gegeben sind und es macht Hoffnung, dass die Verantwortlichen sich in den kommenden Spielzeiten mehr auf die genrespezifischen Gegebenheiten einlassen und Stücke mit mehr Profil in ihr Programm aufnehmen.

 
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KREATIVTEAM
MusikRichard Rodgers
Gesangstexte, OriginalbuchOscar Hammerstein II.
Neues BuchDouglas Carter Beane
Deutsche FassungJens Luckwaldt
Musikalische LeitungJohannes Witt
InszenierungChristian Thausing
BühneHana Ramujkic
KostümeDevi Saha
ChoreografieEvamaria Mayer
 
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CAST (AKTUELL)
EllaSusann Kettley
ChristopherJonas Hein
MadameStefanie Smailes,
(Tamara Peters)
Marie
(gute Fee)
Gundula Hintz
SebastianMark Bowman-Hester
GabrielleGioia Heid
CharlotteEdith Grossman
Jean-MicheleNils Karsten,
(Dustin Smailes)
Graf DingelsteinJason Lee
TanzensembleGiovanni Nicolella
Thomas Bauer
Naila Fiol Diaz
Sophie Glora
Evie Poaros
Lorenzo Malisan
Iván Keim
Noemie Martone
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 09.12.2023 19:30Opernhaus, WuppertalPremiere
Fr, 15.12.2023 19:30Opernhaus, Wuppertal
Sa, 16.12.2023 19:30Opernhaus, Wuppertal
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