Marcel Hoffmann, Katharina Beatrice Hierl, Lukas Winterberger, Theresa Dittmar, Christof Maria Kaiser, Isabel Mascarenhas, Wolfram Boelzle, Benno Schulz © Matthias Baus
Marcel Hoffmann, Katharina Beatrice Hierl, Lukas Winterberger, Theresa Dittmar, Christof Maria Kaiser, Isabel Mascarenhas, Wolfram Boelzle, Benno Schulz © Matthias Baus

Company (seit 12/2023)
Theater, Gütersloh

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Die musikalische Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen von Altmeister Stephen Sondheim wird hierzulande vergleichsweise selten gespielt. Das lose aus 11 Kurzsketchen zusammengesetzte und nicht linear erzählte Musical gehört zu Sondheims anspruchsvollsten Werken. Obgleich seine geistreichen und mehrschichtigen Texte in Michael Kunzes ambitionierter Übersetzung für das Publikum inhaltlich unmittelbarer verständlich kanalisiert werden, bleibt “Company” ein Nischenstück. Viele schöne und innovative Ansätze machen die Inszenierung in Koblenz trotz Längen sehenswert.

Unter Markus Dietzes Regie entsteht ein harmonisches Gesamtbild: Simple, weiße Bühnenelemente zum Stehen und Sitzen werden auf automatisierten, vorprogrammierten Fahrvorrichtungen über die ansonsten düster-schwarze Bühne gefahren. Sie bewegen sich wie von Geisterhand über die Spielfläche und verschwinden wieder in der Dunkelheit. Der Fokus wird so akzeptuiert und eindrucksvoll auf die lose zusammenhängenden Einzelszenen gelenkt. Hier bedient sich Bodo Demelius’ Bühnendesign neuester, innovativer Technik, die an Theatern im Musicalbereich höchst selten angetroffen wird. Für das fragmentarisch konzipierte “Company” funktioniert die schlaglichtartige Präsentation optimal und kreiert perspektivische Tiefe.

Julia Kaindls Lichttechnik weiß die Inszenierungsideen perfekt zu unterstützen. In den heiteren Gruppenszenen bricht sie den dunklen Einzelszenen-Raum gekonnt immer wieder auf, sodass allein durch das Licht bereits zwei Erzählebenen und Zeitstränge visuell unterstützt entstehen.

Durch große, über der Handlung schwebende, fensterartige Panels werden mit Georg Lendorffs Projektionen die Geschehnisse kontextualisiert: Straßenaufnahmen aus dem überbevölkerten New York, in der sich die Protagonisten als vermeintliche Klischee-Paare der Großstadt aufhalten, lassen ihre Geschichten als kleine Anekdoten in der weiten Welt wirken, die sie umgibt. So wechseln die Figuren mit ihren geäußerten Meinungen, Welt- und Beziehungsvorstellungen verloren im Meer der Häuser: mal mit dem Strom der Masse schwimmend, mal am Puls der Großstadt völlig aufgehend und mal gegen jene als Individuen ankämpfend. Durch Carolin Quirmbachs dezente Kostümierung werden die Figuren mit ihren doch nicht so außergewöhnlichen Einzelschicksalen in ihrer Charakterisierung unterstützt, sodass gewisse Wertevorstellung und das soziale Setting der Charaktere schon durch die Kleidung deutlich wird. Das kreiert wunderbar eindrückliche und der Mehrschichtigkeit von Sondheims anspruchsvollen Texten durchaus schmeichelnde Bilder.

Auch das Team Luches Huddleston Jr. (Choreographie), Yael Shervashidze (Steppchoreografie) und Eduard Burza (Kampfchoreografie) stellt Sehenswertes auf die Beine. Die synchron ausgerichteten Gruppentänze von Huddleston und Shervashidze wirken beschwingt und versprühen im besten Sinne Old-School-Charme des Broadway in Songs wie “Company” am Anfang und Ende des Stücks und der großen Steppnummer zu “Herz an Herz” im zweiten Akt. Burzas Kampfabläufe wirken sowohl brachial als auch komisch und sind so erfrischend rabiat, fast schon etwas schonungslos choreographiert, wie man es in der ansonsten oftmals sehr vorsichtig inszenierten Musicalwelt selten sieht.

Das Staatsorchester der Rheinischen Philharmonie spielt unter der musikalischen Leitung von Karsten Huschke virtuos die abwechselnd beschwingten und getragenen Melodien von Sondheims anspruchsvoller Partitur. Die Tontechnik ist mit Ausnahme des Stückanfangs an diesem Abend erfrischend gut. Keine verpassten Mikrofon-Einsetzer, keine unausgewogene Austarierung der einzelnen Komponenten und insgesamt weder zu dumpf noch zu leise. Da verzeiht man das durchgängige und sehr anstrengende Hintergrundrauschen bei den Einspielungen der Anrufbeantworter-Nachrichten von Roberts Freunden in den ersten fünf Minuten am Anfang des Stückes gerne.

Dennoch kann die Inszenierung nicht auf der ganzen Linie überzeugen und wirkt im Tempo zuweilen zäh. Durch die fernprogrammierten Bühnenelemente entstehen in Szenenwechseln teilweise extreme Einschnitte, die merkliche Längen erzeugen. Oft müssen die Akteure eine gefühlte Ewigkeit regungslos dasitzen, bis die Bühnenteile sie endlich an die richtige Stelle manövriert, sich korrekt gedreht und ausgerichtet haben – die Kehrseite dieser innovativen Technik. Es gibt viele Dialogszenen, die zwar nach Woody-Allen-Manier schlagfertig und komödiantisch wirksam sind, aber zu lange zum Pointenaufbau benötigen. So entstehen unfokussierte Dialogpassagen, in denen die Gedanken abschweifen oder unangenehme Stillen dominieren. Eine dramaturgische Straffung der gewitzten Gesprächsszenen wäre wünschenswert gewesen, um die Passagen effektvoller erscheinen zu lassen. Besonders die Beischlafszene im zweiten Akt zieht sich – nach einem wunderbar spritzigen Monolog-Austausch zwischen den Figuren Robert und April – ohne ersichtlichen Grund wie Kaugummi. Auch werden die meisten Solo-Lieder von ihren Interpreten stimmlich auffällig zurückhaltend gesungen, was das schwerfällige Fortschreiten der Story noch spürbarer macht. Glücklicherweise sind die Gruppennummern hingegen stimmstark, harmonisch und energetisch dargeboten.

Die Hauptdarsteller des Abends warten alle mit beeindruckenden schauspielerischen Fähigkeiten auf und machen auch tänzerisch durchweg eine gute Figur. Stimmlich sticht vor allem Julia Steingaß als April heraus, die als eingefleischte Vollblut-Musicaldarstellerin am meisten im Stück aufzugehen scheint und aus den Vollen schöpft. In “Du treibst alle zum Wahnsinn” trumpft sie zusammen mit Esther Hilsemer als Kathy und Mariyama Ebel als Marta auf und generiert den wahrscheinlich größten Szenenapplaus des Abends. Ebel als Marta besticht durch starkes Auftreten und Bühnencharisma, was im Lied “Und wieder kommen hundert aus der U-Bahn” kulminiert.

Die Darsteller und Darstellerinnen in den jeweiligen Ehepaar-Duos wirken jeweils symbiotisch zusammen und spielen die Unterschiede untereinander authentisch greifbar aus. Isabel Mascarenhas und Benno Schulz als Sarah und Harry haben dabei die turbulenteste Dynamik und legen einen rekordverdächtig komischen wie rabiaten Bühnenkampf aufs Parkett, um ihre Liebe zu präsentieren, die sich aus dem Sich-Gegenseitig-Übertrumpfen nährt. Michèle Silvestrini und Sebastian Haake als Jenny und David geben mit lockerem Schauspiel ein eher liberal eingestelltes Pärchen, das sich während der Handlung im Drogenkonsum ausprobiert und unterhaltsam einen klassischen Rausch ausspielt. Gesanglich gefallen die beiden von den fünf Paaren am besten, wobei Silvestrini als Engelsgestalt mit glockenklarem Sopran zu “Die Hochzeit fällt aus” ironisch-lieblich der Katastrophe entgegensingt und damit positiv im Gedächtnis bleibt.

Herrlich hysterisch kommt Theresa Dittmar als Amy bei besagtem Hochzeitslied glatt um den Verstand, wobei Lukas Winterberger als Paul ein guter spielerischer Ruhepol ist, der das Paar als identifizierbare Figuren greifbar werden lässt. Auch Katharina Beatrice Hierl und Marcel Hoffmann als frisch geschiedenes und trotzdem oberflächlich glückliches Paar Susan und Peter liefert starkes wie nuanciertes Schauspiel.

Darstellerisch am interessantesten ist die Beziehungsdynamik zwischen Joanne und Larry, dem ältesten Paar des Quintetts, das von Raphaela Crossey und Wolfram Boelzle mit viel Charisma und Facettenreichtum gegeben wird. Crossey gehören die mitunter bekanntesten Songs des Stücks, die von Musicalgrößen wie Patti Lupone unsterblich gemacht wurden. Einer Elaine Stritch kann Crossey zwar mit “Gemeinsamkeit in Kleinigkeiten” und dem ikonischen “Auf all die gnädigen Frauen” (Originaltitel: “Here’s to the ladies who lunch”) nicht das Wasser reichen, aber mit solider Gesangsstimme strahlt ihre Joanne vor allem durchs virtuose Schauspiel. Christof Maria Kaiser hat in der sehr fordernden Hauptrolle des Robert einen Fulltime-Job auf der Bühne zu verrichten, den er mit Bravour meistert. Den anspruchsvollen Partituren wird er stimmlich durchaus gerecht, wobei er vor allem in “Heirat mich ein wenig” und “Lebendig zu sein” auch in den Höhen brilliert. Sein Schauspiel wirkt sympathisch, nahbar und angereichert mit Eigenheiten derer, die gerade in ihren 30ern sind, auch unerwartet authentisch wie zeitgemäß.

Für Sondheim-Fans und Liebhaber anspruchsvollerer Musicals ein auf jeden Fall lohnenswerter Abend!

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
Musikalische LeitungKarsten Huschke
InszenierungMarkus Dietze
ChoreografieLuches Huddleston jr.
BühneBodo Demelius
VideoGeorg Lendorff
KostümeCarolin Quirmbach
KampfchoreografieEduard Burza
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
RobertChristof Maria Kaiser
Sarahlsabel Mascarenhas
HarryBenno Schulz
SusanKatharina Beatrice Hierl
PeterMarcel Hoffmann
JennyMichèle Silvestrini
DavidSebastian Haake
AmyTheresa Dittmar
PaulLukas Winterberger
JoanneRaphaela Crossey
LarryWolfram Boelzle
MartaMariyama Ebel
KathyEsther Hilsemer
AprilJulia Steingaß
  
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE
Sa, 11.05.2024 19:30Theater, Gütersloh
So, 12.05.2024 16:00Theater, Gütersloh
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE (HISTORY)
Sa, 23.12.2023 19:30Theater, KoblenzPremiere
Fr, 29.12.2023 19:30Theater, Koblenz
So, 31.12.2023 18:00Theater, Koblenz
▼ 10 weitere Termine einblenden (bis 19.03.2024) ▼
Zur Zeit steht die Funktion 'Leserbewertung' noch nicht (wieder) zur Verfügung. Wir arbeiten daran, dass das bald wieder möglich wird.
Overlay