 Musical Thriller
Sweeney Todd Wie dein Messer blinkt, Sweeney!
© Andreas Etter
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Ist "Sweeney Todd" noch Musical oder schon Oper? Stephen Sondheim selbst sah den Unterschied darin, dass Opern in Opernhäusern vor einem Opernpublikum aufgeführt werden und Musicals am Broadway vor einem Broadwaypublikum. Gut, nun ist die Trennung der Sparten in den USA etwas klarer als bei den deutschen Stadttheatern, aber Sondheims Logik folgend ist sein "Sweeney Todd" in Mainz eine Oper. Sie ist auch nur mit Künstlerinnen und Künstlern der Opernsparte besetzt. Das passt gut zu der fordernden Partitur, die manche Stimmen in die tiefsten Tiefen und höchsten Höhen schickt.
(Text: ig) Premiere: | | 22.10.2022 | Rezensierte Vorstellung: | | 30.11.2022 | Showlänge: | | 190 Minuten (ggf. inkl. Pause) |
So düster wie die Geschichte ist auch Thomas Dreschers Bühne: im Vordergrund gestaffelte, geknickte schwarze Stege, im Hintergrund sitzt das Orchester. Diese Anordnung weckt Erinnerungen an die halbszenische "Sweeney Todd"-Produktion mit Bryn Terfel und Emma Thompson, die 2014 in New York und 2015 in London lief. Da gab es zwar die Stege nicht, aber die Grundidee ist ähnlich. Auch dass kaum echte Requisiten benutzt werden, sondern imaginäre "Luft-Requisiten", und bei jedem Mord eine blutige Projektion auf der Rückwand erscheint, kommt in beiden Produktionen vor. Weil sich die Spielfläche bis zum Rand des abgedeckten Orchestergrabens zieht, sind nicht alle Aktionen auf der Bühne von jedem Platz einsehbar. Wo sich die Handlung gerade abspielt, erschließt sich ausschließlich durch den Inhalt der Szene. Es gibt auch keine Klappen oder Falltüren, deshalb klettern Sweeneys Opfer umständlich und unspektakulär von der Bühne.
© Andreas Etter
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So reduziert wie das Bühnenbild ist auch K.D. Schmidts Inszenierung. Er arrangiert ohne viel Schnickschnack sein Ensemble wie Spielfiguren auf und hinter den Stegen, unterstützt von der Choreografin und Movement Director Paulina Alpen. Das ergibt immer wieder mal gute, aber sehr stilisierte Bilder.
Die Figur "Sweeney Todd" gehört schon seit dem 19. Jahrhundert zum englischen Kulturgut und taucht in Literatur und Theater auf. Eine inhaltliche Nähe besteht zum "Grand Guignol", dem blutigen Horror-Theater, das sich Ende des 19. Jahrhunderts bis ca. 1930 großer Beliebtheit erfreut. An diesem übertriebenen Stil orientieren sich Maren Geers Kostüme. Mit groteskem Make-up und bizarren Perücken sehen vor allem die Choristen wie Attraktionen einer Freakshow aus.
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Sweeney Todd ist in dieser Produktion eine Art "Gruftie-Punk" in dunklem Flecktarn. Derrick Ballard gibt ihm eine abgrundtief schwarze Stimme. "Der Tod macht alle gleich" klingt furchteinflößend bedrohlich, wie das nur ein Opernbass kann. Sein Sweeney ist primär von Rachedurst angetrieben, hat aber auch verletzliche Momente.
Gegen die Sehgewohnheit ist Mrs. Lovett mit Verena Tönjes recht jung besetzt. Sie ist eine durchtriebene Halbweltdame, die andere ziemlich bezirzen kann. Dass die Mezzosopranistin die Rolle schöner und weniger schrill-schräg singt als üblich, passt zu dieser Sicht der Figur.
Ein bisschen zu dramatisch und weniger lyrisch ist dagegen Alexandra Samouilidous als Johanna. Kein Wunder, dass Johanna sich den Matrosen Anthony Hope verliebt, wenn sie von einem so schmelzendem Tenor wie Collin André Schöning angesungen wird. Für Johanna scheinen innere Werte wichtiger zu sein als Äußerlichkeiten, denn Anthony hat die abstrakteste Perücke des Abends bekommen, eine Art haargewordener Admiralshut.
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Die innere Zerrissenheit des Richters Turpin bekommt in Peter Felix Bauers Bariton eine stimmliche Entsprechung; warm in den emotionalen Momenten und trotzdem so finster, dass man erkennt, mit ihm ist nicht zu spaßen. In der besuchten Vorstellung kommen Alexander Spemann als Pirelli und das Orchester auf keinen gemeinsamen Nenner. Der sonst sehr amüsante Rasierwettbewerb wird verstolpert.
Das Philharmonische Staatsorchester ist ein guter Begleitung für die klangfarbenreiche Partitur: elegant, bedrohlich, immer mit vollem Klang. Hier und da hätte Dirigent Michael Millard die Tempi etwas anziehen dürfen.
Die arrangierten Bilder und das häufige Nach-vorne-Singen machen die szenische Umsetzung steif; das tragische Finale vollzieht sich recht flott und mit zu wenig Emotion. Deshalb bleibt von diesem Abend die Erinnerung an einen sehr hörenswerten Sweeney, eine angenehm andere Sicht auf Mrs. Lovett und ein klangschönes Orchester. Im sich förmlich aufdrängenden Vergleich mit der New Yorker / Londoner Produktion bleibt die Mainzer Version eher blass.
(Text: Ingo Göllner)

Verwandte Themen: Produktion: Sweeney Todd (Coliseum London)
Kreativteam
Besetzung
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 1 Zuschauer hat eine Wertung abgegeben:

    32304 Grotesk genial!
20.03.2023 - Ich kann mir keine bessere Annäherung an die Geschichte von SWEENEY TODD vorstellen als in der Inszenierung von K.D. Schmidt am Staatstheater Mainz.
Das groteske, absurd komische, bizarre und tragische Potenzial der Geschichte entfaltet sich in jeder Szene und in jedem Lied. Der Geist des Grand Guignol Theaters schwebt wie eine Reminiszenz über der Regie, sämtlichen zuarbeitenden Gewerken und erhebt die Inszenierung zu einem Gesamtkunstwerk.
Großartige Einzel- und Ensembleleistungen setzen strahlende Höhepunkte, die vom Philharmonischen Staatsorchester kongenial unterstützt werden.
Verdientermaßen hat das musicalaffine Staatstheater Mainz erneut einen großen Publikumserfolg erzielt, der im ausverkauften Haus lautstark beklatscht wird.

kevin (205 Bewertungen, ∅ 3.3 Sterne) 
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