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Der Kultfilm aus den 1980ern mit Dustin Hoffman in einer seiner bekanntesten Rollen eignet sich mit all seinem Witz, Camp und der seichten Geschichte bestens als unterhaltsam-kurzweiliges Gute-Laune-Musical. In einer sehenswerten Inszenierung von Gil Mehmert ist das Gärtnerplatztheater München der ideale Aufführungsort für die Europapremiere sowie deutschsprachige Erstaufführung dieses musikalischen Angriffs auf die Lachmuskeln.
Der störrische und erfolglose Theaterschauspieler Michael entwirft sich selbst als Dorothy Michaels in Frauenkleidern neu und findet so über Umwege zu sich selbst. Was mit Verwechslungs- und Genderbend-Komödien der letzten Jahrzehnte à la „Mrs. Doubtfire„, „Wer ist Mr. Cutty?„ oder „Big Mamas Haus„ zu einem Genre heranwuchs, fing mit Klassikern wie „Victor/Victoria„ oder „Ein Käfig voller Narren„ an und ist auch schon längst im Musicalbereich fast schon ein eigenes Genre, sodass „Tootsie„ auf den ersten Blick wirklich nichts Besonderes zu sein scheint. Vielmehr wird bei vielen vielleicht der Gedanke „Braucht man das nochmal?„ oder „Das haben wir doch in anderer Form schon zig Mal gesehen!„ aufkommen, wenn sie vom Musical „Tootsie„ hören. Zugegeben ist dieses Musical tatsächlich nicht innovativ in Thematik und Darstellung, doch als künstlerisches Gesamtwerk durchaus aus der Masse ähnlicher Stücke hervorragend – jedenfalls in München unter Gil Mehmerts Regie!
Licht-, Ton- und Bühnentechnik greifen so perfekt ineinander, dass sie nicht nur in beinahe symbiotischer Ko-Energie das Bühnengeschehen makellos einrahmen, sondern es qualitativ so wirken lassen, als sähe man einen Hollywood-Film auf großer Kinoleinwand. Was Karl Fehringer und Judith Leikauf als Bühnenbild geschaffen haben, ist überaus beeindruckend und erinnert an die Glanzzeiten großer Musical-Ensuite-Produktionen: Ein von allen Seiten und auf mehreren Ebenen bespielbares Häusermeer auf einer Drehbühne erweckt zu jedem Zeitpunkt die Illusion einer Großstadt, in der die Hauptakteure leben und durch die sie sich bewegen. Die WG der Hauptfiguren, das Büro des Theateragenten, eine Karaokebar, ein begrünter Innenhof oder eine schummrige Seitengasse – was hier alles innerhalb des Bühnenbildes für Schauplätze versteckt sind, ist schier verblüffend. Perfekt ausgeleuchtet und hochwertig designt erweckt die ganze Bühne den genannten filmischen Flair.
Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz ist hervorragend besetzt; es zeigt, was für einen großen Unterschied gut ausgestattete Live-Orchester im Musical machen können und lässt sehnsüchtig und wehmütig zu zahllosen anderen Spielstätten und Veranstaltern blicken, die hoffentlich vor Neid erblassen. Adam Coopers Choreographien bestehen zum Großteil aus Show-Nummern im Revue-Stil, die allesamt schön anzusehen sind und innerhalb der Handlung wie Intermezzi eingesetzt werden. Die Musik von David Yazbek liefert gefällige Melodien und eingängige Refrains und wechselt zwischen klassischen Filmmusical-Melodien und moderneren Musical-Tunes. Die Lieder sind zu einem großen Teil Story-tragend und bis auf wenige Ausnahmen komödiantisch ausgelegt. Eine kleine Anzahl von Songs wirkt eher emotional und lässt das Innenleben der Hauptfiguren erahnen. Rundum also eine ausgewogene, wenngleich nicht herausstechend besondere Partitur, die in „Tootsie„ geboten wird.
Das Buch von Robert Horn hält sich sehr nahe am Film – mit nuancenhaft gezielt eingesetzten Änderungen, die das Geschehen der 1980er für das Musical in die Gegenwart befördern: Einige Anspielungen auf aktuelle Populärkultur hier, ein Smartphone da, mehr braucht es nicht. Ein größerer Fokus liegt erfreulicherweise auch auf dem Frauenbild sowie der sozialen und beruflichen Stellung von Frauen in unserer Gesellschaft. So werden Themen wie sexuelle Belästigung, ungleiche Gehälter und Selbstbestimmtheit touchiert und in die durchweg komödienhafte Handlung so eingebaut, dass sie weder zu bleiern daherkommen noch parodiert werden. Ein willkommener Ansatz, den auch Gil Mehmert mit seiner Regie forciert. Die vielen Nebencharaktere, die im Vergleich zum Film plastischer wirken und mit ihren jeweils eigenen Problemen daherkommen, werden in dieser fast (im besten Sinne) Seifenoper-haften Inszenierung so liebevoll herausgearbeitet, dass das Musical von einem einseitigen Verkleidungswitz zu einem runden Stück wird, das sogar noch mit der einen oder anderen Botschaft aufwartet.
Neben dem nicht von der Hand zu weisenden irrwitzigen Humor, ist es vor allem die grandiose Besetzung, die das so detailverliebt inszenierte Stück zu einem wahren Erlebnis macht.
Mit Bettina Mönch ist dank ihrer starken Bühnenpräsenz und ihres ehrlichen Schauspiels in der Rolle von Julie Nichols, der Schauspielerkollegin von Michael a.k.a. Dorothy Michaels, eine vortreffliche Besetzung gelungen. Ihr gelingt es glaubhaft, die facettenreiche Figur zum Leben zu erwecken, die beruflichen Probleme und den privaten Herzschmerz von Julie zu zeigen und sogar die aufkeimende lesbische Seite ihrer Rolle so zu entwickeln, dass sie weder überspitzt noch rudimentär herausgearbeitet wirkt. Ein Wehrmutstropfen bleibt allerdings: Leider ist Mönch in diesem Stück kein großer Song vergönnt, der ihre gesanglichen Talente adäquat zur Schau stellen kann. Was stimmlich bei Bettina Mönch möglich ist, lässt sich in ihrem Solo „Gone gone gone„ im zweiten Akt nur erahnen – dafür gefällt sie aber in den ruhigeren Songs, wie ihrer rührseligen Ballade „Da war John„, in der Julie über ihre verflossene Liebe berichtet.
Die Powersongs sind allesamt Armin Kahl vorbehalten, der mit der Rolle als Michael, der wiederum Dorothy spielt, vielleicht die Rolle seines Lebens gefunden hat. Differenziert-facettenreiches Schauspiel, ein komödiantisches Talent, das seinesgleichen sucht, einen unverwechselbaren Duktus und die Fähigkeit, spielend einfach zwischen zwei gänzlich unterschiedlich scheinenden Rollen zu wechseln, erinnert an den großen Comedian Robin Williams in „Mrs. Doubtfire„ oder vielleicht auch an Hape Kerkelings Glanzzeit mit dem Unterschied, dass Kahl auch noch grandios singen kann. Keine Höhe ist zu hoch, kein Ton zu lang, keine Phrasierung unmöglich für ihn. Seine zwei vielleicht eindrucksvollsten Songs sind „Ich bin für dich da„ und „Grenzenlos„, beide in Michaels Alter Ego, der Schauspieldiva Dorothy. Urkomisch, ikonisch, camp und doch menschlich interpretiert Kahl seine Songs mit virtuoser Stimmführung und Wumms. Seine Doppelfigur wirkt zu keinem Zeitpunkt ungewollt lächerlich oder des Witzes wegen überzeichnet, sondern greifbar, nachvollziehbar, sympathisch und mit Ecken und Kanten.
Aber auch die kleineren Rollen sind allesamt so plastisch herausgearbeitet und interpretiert, dass sie neben Kahl und Mönch durchaus bestehen können. Julia Sturzlbaum als Sandy, die verzweifelt und fast schon hysterisch sowohl an ihren Auditions als auch im Liebesglück zu scheitern droht, spielt ihre Rolle herrlich mädchenhaft und aufgedreht sowie grundsympathisch. Mit ihrem wiederkehrenden Song „Ich weiß doch was passier’n wird„ zeigt sie die nahezu manische Seite ihrer Figur mit einer großen Portion Humor und schier unerschöpflicher Energie. Der schmierige misogyne Regisseur Ron wird von Alexander Franzen so treffend interpretiert, dass man bei seinem ersten Auftritt sofort denkt, die Figur durchschaut zu haben – nur um im Verlauf der Handlung zahllose urkomische Marotten und Sprüche dieser eigentlich eher antagonistischen Figur durch Franzens Darbietung zu erfahren. Als Ron sein neues Theaterstück, eine freie Fortsetzung von „Romeo und Julia„, choreographiert und jeden Move passend mit abstrusen Begriffen tituliert, bleibt im Publikum kein Auge mehr trocken. Gunnar Frietsch als Jeff, der kauzige WG-Genosse und beste Freund von Michael, ist ein wahrer Glückstreffer: Mit zahlreichen Wortspielen, zynischen Witzen und sonstigen Albernheiten ist Jeff die Figur, die Michael in seinem Identitätswirrwarr auf dem Boden der Tatsachen hält, aber nicht ohne eine gewisse Schadenfreude zu verspüren. Frietsch sorgt mit der musikalischen Kulmination seiner Figur „Jeff fasst zusammen„ direkt am Anfang des zweiten Aktes für einen wahren Showstopper. Daniel Gutmann ist eine Entdeckung des Abends in Gestalt des talentlosen Influencers und Männermodels Max, das sich unsterblich in die burschikose und überreife Dorothy verliebt. Den Wandel vom dümmlichen Schönling, der seine Schauspielrolle in „Romeo und Julia„ mechanisch herunterleiert, zum flammenden Casanova vollzieht Gutmann in seiner Rolle so unterhaltsam, dass ihm mit seinen Auftritten die wohl größten Begeisterungssalven aus dem Publikum entgegenschießen. In „Was kann das sein„ gesteht er mit volltönender Opernstimme und nacktem Oberkörper seine Liebe – einer der großen Comedy-Momente der Show. Die abgebrühte Investorin Rita wird von Musical-Urgestein Dagmar Hellberg portraitiert. Mit ihrer sonoren Stimme und einer ehrfurchtgebietenden Bühnenpräsenz verschafft sie dieser kleinen Rolle so viel Raum, dass man sie als der Sicht des Zuschauers definitiv zu den Hauptfiguren zählen würde. In „Heut kommt’s auf alles an„ singt Hellberg zusammen mit dem stimmstarken Ensemble einen musikalischen Höhepunkt des Abends. Eine starke Bühnenpräsenz als Charakterdarsteller beweist zudem auch Erwin Windegger als Künstleragent Stan – die Szene, in der er hinter der von ihm bewunderten Schauspielerin Dorothy seinen erfolglosen und unliebsamen Klienten Michael entlarvt, ist reines Comedy-Gold.
Der kurzweilige Abend voller Lacher endet auf einer ruhigen Note mit viel Menschlichkeit, als Armin Kahl und Bettina Mönch in ihren Rollen nach all dem Wirrwarr langsam wieder zueinander finden und sich selbst als Persönlichkeiten besser kennen gelernt haben. Ein berührender Schluss, der dieses Stück endgültig aus der Masse an „Verwechslungs-Musicals„ hervorstechen lässt.
Eine Anmerkung darf am Ende noch erlaubt sein: Dass es noch keinerlei deutschsprachige Cast-Aufnahme dieses tollen Stücks in dieser wunderbaren Besetzung gibt – das sollte schnellstmöglich geändert werden!
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KREATIVTEAM |
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Musik / Texte | David Yazbek |
Buch | Robert Horn |
Deutsche Fassung | Roman Hinze |
Musikalische Leitung | Andreas Partilla |
Inszenierung | Gil Mehmert |
Choreografie | Adam Cooper |
Bühne | Judith Leikauf Karl Fehringer |
Kostüme | Alfred Mayerhofer |
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CAST (AKTUELL) |
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Michael Dorsey / Dorothy Michaels | Armin Kahl |
Julie Nichols | Bettina Mönch Florine Schnitzel |
Sandy Lester / Ensemble | Julia Sturzlbaum |
Jeff Slater | Gunnar Frietsch |
Max Van Horn | Daniel Gutmann |
Ron Carlisle | Alexander Franzen |
Rita Marshall | Dagmar Hellberg |
Stan Fields | Erwin Windegger |
Stuart / Ensemble | Peter Neustifter |
Regisseur / Nachbar / Ensemble | Christian Schleinzer |
Carl u.a. / Regisseur | Frank Berg |
Suzie | Tracey Adele Cooper |
Ensemble | Florine Schnitzel Lara de Toscano Samantha Turton Alexander Moitzi Andreas Nützl |
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