Jens Daryousch Ravari © Andrew Putschoegl
Jens Daryousch Ravari © Andrew Putschoegl

NEUES FEATURE
"Wir alle haben die Möglichkeit, jederzeit aus dem Hamsterrad auszubrechen. Es ist nur die Frage, ob wir das wollen oder nicht." - Jens Daryousch Ravari im Interview

Seine Vita liest sich bunt und facettenreich: Bereits während seiner Studienzeit in Gießen sammelte Jens Daryousch Ravari in einer Vielzahl von Produktionen Bühnenerfahrung als Sänger, Tänzer und Schauspieler. Es folgten Hospitationen und Assistenzen bei den Freilichtspielen Tecklenburg, den Bad Hersfelder Festspielen und schließlich im Musiktheater des Theaters Bern. Schon mal in der Schweiz angekommen, gründete er dort ein eigenes Musical-Camp, um musik- und theaterbegeisterten Kindern und Jugendlichen eine professionelle Nachwuchsförderung anbieten zu können. Zudem konzipierte Ravari Event-Inszenierungen wie etwa den offiziellen Festakt zum 70. Geburtstag des Landes Hessen im Wiesbadener Staatstheater. Inzwischen lebt Ravari in Fürth, wo er nunmehr die Leitung des dortigen Kulturforums übernommen hat. Bei all diesen Aktivitäten hat er die Regiearbeit nie aus den Augen verloren und inszenierte etwa “Next to Normal”, die “Rocky Horror Show” und “Hedwig and the Angry Inch”. Im vergangenen Jahr konnte er vor allem mit einer äußerst gelungenen freien deutschsprachigen Inszenierung von “Sister Act” am Hamburger First Stage Theater auf sich aufmerksam machen. Am Theater für Niedersachsen in Hildesheim hat er nun die deutschsprachige Erstaufführung von “Groundhog Day” (“Und täglich grüßt das Murmeltier”) in Szene gesetzt. Die Musicalzentrale hat bei Jens Daryousch Ravari nachgefragt, welche Arbeit im Theater ihn bei der Fülle von Aufgaben, die er in diesem Bereich bereits inne hatte, am meisten Spaß macht und was ihn an dem Werk “Groundhog Day” besonders interessiert hat.

Jens Daryousch Ravari © Tim Müller

Sehen Sie Ihre Aufgabe eher in der künstlerischen Leitung einer Kultureinrichtung oder bezeichnen Sie sich doch lieber als Regisseur? Oder anders gefragt: Sind Sie mehr Kulturmanager oder mehr Künstler?

Ich bin überzeugt davon, dass tolle künstlerische Ergebnisse nur auf die Bühne gebracht werden können, wenn auch die dahinterliegenden Institutionen mitziehen. In meiner Arbeit als Leiter des Kulturforums Fürth versuche ich Räume zu schaffen für andere Künstlerinnen und Künstler, in denen sie sich entfalten können und ich mich von der künstlerischen Umsetzung nahezu völlig zurückhalte. Ich merke aber gerade, dass mir diese Arbeit sehr viel bringt für die künstlerischen Umsetzungen, die ich dann woanders mache. Hierdurch darf ich auf Ressourcen zugreifen, die mir in die Hände gelegt werden und mit denen mein Team und ich agieren und wir gemeinsam mit den jeweiligen Beteiligten versuchen können, neue Werke zu erschaffen und Inszenierungen so zu gestalten, dass sie die Menschen ansprechen, berühren und begeistern können. Insofern bin ich gar nicht in der Lage, das eine vom anderen zu trennen.

Das Genre Musical spielt in Deutschland in kulturpolitischer Hinsicht eine nur sehr untergeordnete Rolle. Auch an den Schulen werden hierzu größtenteils keine Impulse gesetzt oder gar Kompetenzen vermittelt. Wie ist vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrung mit der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Schweiz Ihr Empfinden darüber, dass Stücke wie “Matilda”, das ja vom nahezu identischen kreativen Team stammt wie “Groundhog Day”, in Deutschland auf einem professionellen Niveau so gut wie unaufführbar sind, weil es einfach an geeigneten Kinderdarstellern fehlt?

Ich glaube gar nicht, dass es an Kinderdarstellern fehlt. Vielmehr stellt an dieser Stelle oftmals die Bürokratie ein riesengroßes Problem dar. Ich bin ja noch in einer Zeit großgeworden, in der wir “Der geheime Garten” in Gießen am Stadttheater gemacht haben und das alles noch machbar erschien. Das hat sich heute mit den bestehenden Vorschriften sehr geändert und dies hat auch zur Folge, dass Stücke wie “School of Rock” erst jetzt nach langer Zeit in Linz deutschsprachig erstaufgeführt worden sind. Ich hoffe natürlich darauf, dass wir Wege finden, um Stücke wie “Matilda” auch auf die Bühne bringen zu können. 

Meine Erfahrung zeigt mir, dass die Talente da sind. Ich komme ja aus Mittelhessen. Dort hat der inzwischen leider verstorbene Peter Merck vor 45 Jahren die erste Musical-AG Deutschlands an der Goetheschule Wetzlar gegründet. Dieser Impuls, den damals ein einziger Lehrer gesetzt hat, hat dazu geführt, dass in der Region eine Art Musical-Laien-Mekka entstanden ist. Zwischen Marburg, Gießen, Wetzlar und Wiesbaden finden extrem viele Schul- und Vereinsproduktionen auf einem sehr hohen Niveau statt. Ich habe zum 40-jährigen Jubiläum dieser Musicalgruppe “Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat” in Wetzlar gesehen und diese Produktion war tourneereif. 

Woran es noch fehlt ist das Momentum, das noch weiterzuentwickeln und dann diese Expertise, das Wissen und die Fähigkeiten dieser Amateur-Produktionen in die Professionalität im Musiktheaterbereich mitzunehmen. Einige Menschen aus dieser Region – Christoph Drewitz sei da genannt oder auch Jasna Fritzi Bauer – sind auch wirklich große Nummern geworden in unserer Musical- und Theaterlandschaft. Oder schauen Sie sich Kurosch Abbasi an: Er hat an der Herderschule Gießen in “Elisabeth” den Lucheni gespielt, bevor er dann später als Lucheni auf Welttournee gegangen ist. Ich habe ihn damals auf der Bühne der Herderschule gesehen und als er dann in Basel auf der Bühne im Musical Theater stand und von dieser Feile heruntergekommen ist, habe ich mir nur gedacht: Er macht da das Gleiche wie in der Herderschule, nur dass da keine Feile runterkam, aber ansonsten war alles genauso wie in Gießen. Und diese sehr spezielle Erfahrung, bis Anfang Zwanzig in Sachen Musical ganz viel machen zu dürfen, ist auch Teil meiner Historie. Wenn ich darüber nachdenke, wieviel Rollen ich in jungen Jahren spielen konnte, erscheint das im professionellen Kontext nahezu unglaublich. Für mich war dann später die Möglichkeit ganz wichtig, am Stadttheater Gießen in kleinen Schauspielrollen professionelle Bühnenluft schnuppern zu können. Diese Fortsetzung der Laientätigkeit in dann professioneller Umgebung hat bei mir ganz viel ausgelöst. In Franken habe ich nun festgestellt, dass hier alles ganz anders ist. Schulaufführungen finde ich hier so gut wie gar nicht und das Niveau der Amateur-Aufführungen ist schon ein ganz anderes. Insofern ist es spannend zu beobachten, welch große regionale Unterschiede es in Deutschland gibt.

Szenenfoto aus “Und täglich grüßt das Murmeltier” – Karsten Oliver Wöllm (Buster) © Tim Müller

Kommen wir nun zu “Groundhog Day”, das in seiner deutschen Fassung den deutschen Titel der Filmvorlage “Und täglich grüßt das Murmeltier” trägt und am 14.09.2024 am Theater für Niedersachsen seine deutschsprachige Erstaufführung in Ihrer Inszenierung erlebte. Wie kam es dazu, dass Sie die Regiearbeit übernommen haben?

Ich habe den Intendanten Oliver Graf, der sich in Deutschland sehr für das Genre Musical einsetzt, noch während seiner Zeit in Gießen kennengelernt. Dort haben wir uns das erste Mal ausgetauscht und dabei gemerkt, dass die Ideen, die wir beide zum Musical haben, ziemlich kongruent sind und wir hierzu ein gemeinsames Verständnis haben. Damals wusste ich schon, dass er in Hildesheim Intendant wird und er hat mir erzählt, dass er mit der deutschsprachigen Erstaufführung von “The Toxic Avenger” seine Intendanz eröffnen wird, was ich total toll fand. Dann hat er sich “Sister Act” in Hamburg angeschaut und mich daraufhin gefragt, ob ich mir vorstellen könne, eine andere Filmvorlage am Theater für Niedersachsen zu machen. Ich habe dann mit meinem Team gesprochen und wir waren uns darin einig, dass diese Möglichkeit, gemeinsam mit dem einzigen festen Musicalensemble in Deutschland dieses sehr komplizierte Werk in Angriff zu nehmen, ein großes Geschenk ist. Das wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen!

Wenn Sie das Musical mit anderen Werken des Genres vergleichen: Was für ein Stück ist “Groundhog Day” aus Ihrer Sicht?

Mich erinnert Minchin sehr an Sondheim. Seine Kompositionen drehen sich zumindest bei mir sofort ins Ohr. Ich finde, dass er eine hohe Expertise für Atmosphäre, für Situationen und vor allem für Figuren hat. 

Wenn ich eine Anfrage bekomme oder über ein Stück nachdenke, bestelle ich mir sofort das musikalische Material dazu, denn die Musik ist das Allererste, was mich an einem Werk interessiert. Ich höre dann die Musik rauf und runter und mit Hilfe der Klavierauszüge spiele ich einzelne Lieder, um ein Gefühl für das Stück zu bekommen. Bei “Groundhog Day” wird relativ schnell klar, dass es nicht die Konventionen erfüllt, die man ansonsten von Musicals kennt. Es gibt keinen richtigen ‘I Want’-Song und die ganzen üblichen Strukturen fehlen. Auch beim Hören der CD wird das sehr klar: Wenn man die Songs hört, hat man eigentlich am Ende des ersten Akts das Gefühl, dass das Stück vorbei sein könnte. Dann in der Mitte des zweiten Aktes, so etwa bei “If I Had My Time Again”, denkt man wieder: Jetzt ist gleich Schluss. Aber dann beginnt auf einmal eine neue Geschichte ganz von vorne, nämlich der Prozess, in dem Phil sich verändert. Dies erwartet man eigentlich direkt nach der Pause, aber da kommen erstmal diese Selbstmordsachen. Ich glaube, dass das Stück für das klassische Musicalpublikum wirklich eine große Herausforderung darstellt. Ich denke allerdings, dass das in Deutschland weniger ein Problem ist, denn durch unsere Theatertradition tun wir uns manchmal eher schwer mit dem klassischen Musicalaufbau. Diese Musicalstrukturen sorgen bei vielen deutschen Theatergängern doch immer wieder für Kopfschütteln, weil wir seit langer Zeit mit ganz vielen verschiedenen Regiekonzepten arbeiten und unser Schauspiel dafür bekannt ist, Stücke aufzubrechen. Und ich glaube, das versucht “Groundhog Day” auch: Es versucht, das Musicalgenre aufzubrechen und anders zu denken.

Jens Daryousch Ravari © Lutz Traupe

Wie kann man sich bei einer deutschsprachigen Erstaufführung die Zusammenarbeit mit den Rechteinhabern vorstellen? Fand in diesem Zusammenhang eine permanente Kontrolle statt, um etwaigen und nicht gewollten Annäherungen an die Originalinszenierung vorzubeugen, oder ließ man Ihnen bei der Gestaltung einer eigenen Fassung weitestgehend freie Hand?

Da es sich um eine Non-Replica-Produktion handelt, waren wir völlig frei in der Inszenierung. Was allerdings eine kleine Problematik war: Wir waren dazu angehalten, nichts zu streichen. Wir haben eine Anfrage gemacht wegen zwei Nummern, die ich gerne gestrichen hätte, weil das Stück eben durchaus auch lange ist. Eine Nummer ist, wie ich finde, eher unglücklich, was die Buch-Dramaturgie anbetrifft und die andere eignet sich eigentlich nicht für eine Aufführung in Deutschland. Die Verlagsstrukturen, die wir in Deutschland haben, machen es uns jedoch schwer, solche Stücke ‘deutschlandreif’ zu machen. Wir haben hier andere Sitten und andere Gebräuche und ich fände es sinnvoll, Produktionen a den eigenen Markt anzupassen. Das soll jetzt nicht so laufen wie bei “Tanz der Vampire” am Broadway. Aber da war einfach das Problem, dass Roman Polanski nicht vor Ort sein konnte, um sicherzustellen, dass das etwas annähernd Vernünftiges wird und zudem ein Darsteller die Hauptrolle spielen sollte, der ganz andere Vorstellungen vom Grafen von Krolock hatte. [lacht] Aber eigentlich ist so eine Anpassung schon etwas Gutes. Ich finde, die Vereinigten Bühnen Wien machen das immer toll, wie sie die Stücke an ihren Markt anpassen, an ihre Zielgruppe und an die Menschen, die dort leben und eben doch ein bisschen anders ticken als die Menschen in den USA oder UK.

Ähnlich wie das etwa zur gleichen Zeit in London entstandene Bühnenstück “Harry Potter and the Cursed Child” arbeitet das Musical in seiner Originalinszenierung bewusst mit klassischen Theatertricks und nicht mit High-Tech-Illusionen. Diese Theatertricks werden in der Originalfassung vor allem bei dem Song “Hope” (in der deutschen Fassung: “Ich gebe nie auf”) mit einer unglaublich hohen Wucht eingesetzt, so dass die Zuschauer ein ums andere Mal überrascht und hiervon in den Bann gezogen werden. In Hildesheim stehen einem staatlichen Theater selbstverständlich nicht die gleichen Ressourcen zur Verfügung wie einer Bühne in London oder New York. Wie sind Sie an die Umsetzung dieses Songs herangegangen?

Wir haben uns im Vorfeld der Produktion intensiv damit auseinandergesetzt und festgestellt, dass diese Szene mit den Selbstmorden, anders im Film, wahnsinnig dramatisch ist und für den Zuschauer eine sehr große Schwere bekommt. Das Einzige, was das bricht, sind diese Illusionen und Effekte. Mein Team und ich haben sehr sehr lange darüber diskutiert und wir sind zu dem Schluss gekommen: Dass, was an dieser Situation spannend ist, ist Phils Lust zu sterben. Also der verbitterte Wunsch, endlich diesem Treiben ein Ende zu setzen. Und das ist etwas Außergewöhnliches, was wir auch im Theater sonst nur sehr selten erleben: Eine Figur, die abschließen und abbrechen will. Wir haben dann gesagt, dass hieraus eine Art von Humor entstehen muss. Er will sich umbringen; er wacht wieder auf. Er will sich wieder umbringen; er wacht wieder auf. Das Aufwachen muss der Schwerpunkt sein. 

Wir haben dann sehr schöne Lösungen für Effekte gefunden, die auf der Probebühne auch noch funktioniert haben, aber nicht auf der Bühne. Dann haben wir es technisch einfacher gemacht, was aber im Ergebnis auch nicht geklappt hat. Der Zauber und die Magie dieser Effekte müssen einen begeistern, denn nur dann funktioniert es. Und das war hier nicht der Fall. Ich habe dann entschieden, dass wir uns etwas Neues einfallen lassen müssen. Eigentlich bin ich ein Fan davon, Sachen real oder visuell greifbar auf der Bühne umzusetzen, damit die Zuschauer erleben können, worum es geht. Damit meine ich nicht plakativ – aber für die Zuschauer, die eine Szene im Gegensatz zu uns nur einmal sehen, muss es sofort klar sein, um was es geht. Nachdem ich mit meinem Team einen Abend und eine Nacht darüber gebrütet habe, haben wir gesagt: Es muss abstrakt werden. Wenn es nicht real geht, muss man es eben abstrakt machen. Ab diesem Moment ging es um die Frage: Was bedeutet es zu sterben und immer wieder aufzustehen? Wie kann ich das abstrakt umsetzen? Wir machen das nun mit ganz vielen Phils auf der Bühne und im Prinzip gehen wir einen Schritt weg vom Sterben und sagen: Die fallen hin. Die fallen auf die Fresse und stehen wieder auf, denn darum geht es eigentlich in dem Song, zumindest unserer Meinung nach. 

Das Schöne an dieser Lösung ist, dass es nun nicht mehr so schwer und depressiv ist und auch die Hoffnung zur Geltung kommt, die in dem Song ja auch wichtig ist. Zudem bleibt der Selbstmordcharakter durch den Sprung vom Kirchturm am Ende der Szene erhalten. Was ich an dieser Lösung außerdem noch schön finde: Die Zuschauer bei uns in Deutschland haben die Sehgewohnheit, sich in so einer Szene zu fragen, was das bedeutet, was sie da gerade sehen. Und hier steckt nun auch drin, dass man sich als Mensch nicht mehr so viele Gedanken darüber machen sollte, dass Scheitern ein so großes Problem ist. In Amerika ist es cool zu scheitern. Da sagt man: Ich hab’ schon 14 Firmen gegen die Wand gefahren, bevor ich dann Boss von einer Riesenfirma wurde und erst dann hab ich’s richtig gebracht. Hier in Deutschland sprechen wir nicht gerne über Scheitern. Es geht hier also auch darum, Scheitern ein bisschen gesellschaftsfähiger zu machen. Ich z.B. fahre Wakeboard. Jedes Mal, wenn ich mich aufs Wakeboard stelle, weiß ich, dass es irgendwann im Wasser enden wird. Ich werde also auf die Schnauze fallen. Und wenn das nicht mehr so schlimm ist, dann ist auch Scheitern nicht mehr so schlimm. Das war letztlich die Idee, diesen Gedankengang auf die Bühne zu bringen. Ob das gelungen ist und ob das auch einen emotionalen Impact hat, müssen nun die Zuschauerinnen und Zuschauer beurteilen.

Neben seiner musikalischen Wandlungsfähigkeit als Komponist überzeugt Tim Minchin auch mit äußerst virtuosen und intelligenten Lyrics. Mit Roman Hinze wurde ein Autor mit der Übertragung ins Deutsche beauftragt, der hauptamtlich am Landestheater Linz arbeitet. Neben dem Theater für Niedersachsen handelt es sich hierbei um das einzig weitere Mehrspartenhaus im gesamten deutschsprachigen Bereich, das über eine eigene Musicalsparte verfügt. Gab es an dieser Stelle eine Zusammenarbeit zwischen den ‘Musicalexperten’ in den Reihen der staatlichen Bühnen?

Diese Zusammenarbeit war wirklich ein großes Glück. Unsere Dramaturgin Julia Hoppe war in Linz und hat mit Roman Hinze direkt den Austausch gesucht. Wir hatten im Vorfeld besprochen, um welche Stellen es mir geht und ich bin wirklich sehr froh darüber, dass er diesbezüglich eine sehr große Bereitschaft gezeigt hat. Gerade bei einer Erstaufführung stößt man im Laufe des Probenprozesses auf relevante Punkte im Text, die vielleicht noch nicht ganz klar sind, bevor ein Stück das erste Mal auf der Bühne gespielt wird. Und das war einfach toll, wie er darauf reagiert hat und dass wir uns hierzu konstruktiv und kooperativ austauschen konnten über mögliche Adaptionen. Letztendlich muss es darum gehen, großartige Musicals in fantastischen Übersetzungen zu spielen. Mit Übersetzungen schafft man schließlich auch Kunstwerke. Gerade bei Minchin ist spannend, dass da manchmal Reime an Ecken liegen, die man gar nicht auf dem ersten Blick sieht. Erst beim zehnten Mal Hören oder am daran Arbeiten merkt man auf einmal: Ach krass, da ist ein Reim, der über den Vers hinausgeht. Also das letzte Wort der Strophe reimt sich mit dem ersten Wort des Refrains. Das ist alles wahnsinnig komplex und da braucht es auch einfach mehrere Leute, die da zusammen denken.

Szenenfoto aus “Und täglich grüßt das Murmeltier” – Jürgen Brehm (Phil Connors), Elisabeth Köstner (Rita Hanson) © Tim Müller

“Groundhog Day” kommt an der Oberfläche wie eine konventionelle romantische Komödie daher, behandelt aber gleichwohl auch durchaus existenzielle Themen. Worin liegt für Sie die Tiefe in dem Stück?

Ich finde es sehr schön, wie man in dem Stück eine Figur beobachten kann, die das Gefühl hat, dass sie weiß, wie die Welt funktioniert, und dann auf einmal in eine Situation kommt, aus der sie nicht mehr rauskommt. Diese Figur fängt dann tatsächlich damit an, sich an ihrer Überheblichkeit abzuarbeiten. Aus einem arroganten Drecksack, der Phil am Anfang ist, wird zum Ende hin ein geläuterter Mensch. Wie das Stück es schafft, diese Entwicklung wirklich nachfühlbar zu machen, finde ich toll. Zudem mag ich sehr gerne, dass hinterfragt wird, wer wir sind und wo wir sind. Im Prinzip befindet sich jeder von uns in diesem Hamsterrad. Wir alle haben aber die Möglichkeit, hieraus jederzeit auszubrechen. Es ist nur die Frage, ob wir das wollen oder nicht. Das ist für mich ein ganz spannender Punkt, denn jeder kann sich sagen: Du hast es selbst in der Hand.

Vor allem der zweite Akt des Stückes hat eine unfassbar hohe Dichte an überraschenden, inspirierenden, aufwühlenden, spannenden, berührenden, lustigen und poetischen Momenten. Was ist Ihr persönlicher Lieblingsmoment in dem Stück?

Der berührendste Moment für mich ist am Schluss des Stückes. Es beginnt mit der Situation, wenn Phil und Rita nach der Gala auf die Aussichtsplattform gehen, der Schnee nochmal fällt, die beiden miteinander tanzen und dann das Ensemble hinzukommt. Man sieht das gesamte Tableau dieser Dorfgemeinschaft mit den Menschen, die alle sehr unterschiedlich sind, aber sehr zufrieden sind mit dem, was sie sind. Alleine dieser Moment ist schon sehr toll. Wenn Phil dann aufwacht und Rita tatsächlich noch da ist, weiß er nicht mehr, wer er ist und was er tun soll. Er steckte mehrere Jahre in der Zeitschleife, hat dort alles durchgemacht und alles erlebt und wenn er dann auf einmal einfriert, weil er nicht glaubt, was er gerade sieht: Das ist der Moment, der mich einfach unfassbar berührt. Dieses Glück über dieses “Du bist hier. Du bist wirklich hier.” Und über ihre Antwort: “Ja klar bin ich hier.” Das hat eine tolle Magie. Auch musikalisch sprengt Minchin an dieser Stelle nochmal eine Konvention, denn kein Mensch würde nach der Abschlussnummer noch einen Epilog dranhängen; jedes Disney-Musical würde musikalisch vorher enden. Diesen Moment finde ich extrem stark.

Jens Daryousch Ravari © Andrew Putschoegl

Wieviel Poesie braucht ein Musical? Oder wieviel Poesie verträgt ein Musical?

Alle. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir keine Angst davor haben sollten, Poesie – manche nennen es vielleicht auch Kitsch – zu bedienen. Man muss nur darauf achten, dass es echt und authentisch ist. Dass es eben nicht abschweift in irgendwelches Getue und Gehabe, sondern dass es etwas ist, was einfach wahr ist. Der berühmte Dramatiker Alan Ayckbourn sagt, dass man in der größten Ernsthaftigkeit das Leichte und im Witz das Seriöse suchen muss. Und ich glaube, wir müssen in der Poesie das Wahrhaftige suchen, damit es bestehen kann. Und dann muss man davor keine Angst haben.

Welche Regiearbeit im Bereich Musical können wir als Nächstes von Ihnen erwarten?

Ich werde im kommenden Jahr zusammen mit der Choreografin Doris Marlis “Cabaret” im Capitol Mannheim auf die Bühne bringen. Die Resonanz, die wir auf die Ausschreibung bekommen haben, hat uns schier überwältigt. Auch die Audition und die Menschen, die wir hierzu nach Mannheim einladen durften, haben uns sehr begeistert. Jetzt freuen wir uns darauf, gemeinsam an diesem auch für die heutige Zeit so wichtigem Stück zu arbeiten.

Vielen Dank für dieses Interview und die sehr interessanten Einblicke, die Sie uns in Ihre Arbeit gewährt haben.

 
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