„Amélie“ in München bietet – ähnlich wie der Film – eine Handlung, auf die man sich einlassen muss. Verschließt man sich davor, entfaltet sich der Zauber der Geschichte um die sensible und wundersame Protagonistin nur schwerlich. Taucht man aber in ihre „fabelhafte“ Traumwelt ein, eröffnet sich eine fantasievolle und in schönen Bildern gemalte Geschichte, die mit grandiosen Hauptdarstellern glänzt.
Läuft man vom Ostbahnhof in Richtung des Werk7 Theaters, sind in der diesjährigen Spielzeit wesentlich mehr Banner und Plakate zu sehen als vor etwa einem Jahr bei „Fack ju Göhte“. Anscheinend setzen die Produzenten in dieser Saison ein wenig mehr auf das Marketing, nachdem es beim durchweg positiv bewerteten Vorjahresstück etwas unter seinen Möglichkeiten gelaufen ist.
Der Charme des Theaters mit Industrie-Hintergrund ist nach wie vor vorhanden und wurde von den äußeren Gegebenheiten nur unwesentlich verändert. Das „Fack ju“-Lama-Graffiti wurde zum „Amélie“-Gartenzwerg-Graffiti und der Foyer-Bereich wurde zum „Entrée“. Auch die Bühne ist weiterhin ein halbrundes Auditorium, welches von Bühnenbildner Andrew Edwards in das aus dem Film bekannte „Café des 2 Moulins“ umgebaut wurde. So bietet der Bühnenhintergrund nun Platz für eine Bar, die für diverse Schauplätze genutzt werden kann, während im vorderen Bereich der Zuschauerränge einige Bistrostühle und -tische stehen, die tatsächlich eine Café-Atmosphäre aufkommen lassen. Mit der Band im oberen Bereich, entsteht so eine Art riesiges Café, das die Zuschauer Teil des Geschehens werden lässt.
Und so beginnt die Show mit Kellnerinnen und Kellnern, die mit dem Publikum interagieren, Getränke servieren und Tische abwischen – eine von vielen Ideen, die Regisseur Christoph Drewitz in die Show einbringt und die die Show in dieser Art von Theater so besonders macht. Der Zuschauer hat stets das Gefühl mitten in der Handlung zu sitzen und fühlt sich so behutsam von den Darstellern und der Show „abgeholt“.
Vom Café geht die Reise zu Amélies Eltern, wo ihre verquere Geschichte ihren Ursprung nimmt und zwar wortwörtlich mit ihrer Zeugung und ihrer schwierigen Kindheit. Von dort aus macht sich die Kellnerin aus dem Pariser Stadtteil Montmartre auf, das Leben ihrer Mitmenschen durch ihre skurrile Art positiv zu beeinflussen und letztlich auch ihr eigenes Leben nachhaltig zu verändern. Direkt zu Beginn ihrer Lebensgeschichte arbeitet Drewitz eine weitere clever-abstrakte Regie-Idee in die Handlung ein, nämlich den Einsatz von Puppen, die anfangs Amélies Kindheit und später ihre innere Zerrissenheit darstellen. Eine stilvolle Nuance, die umso mehr gefällt, je abstrakter die Handlung wird. Durch die Puppen im Hintergrund und die „realen“ Darsteller im Vordergrund werden so Amélies und Ninos Gedanken plastisch – ein cleverer und behutsamer Einsatz der Holzpuppen vom bayrischen Puppenbauer Stefan Fichert.
Um diese Puppen zum Leben zu erwecken, steht auf der Rundum-Bühne des Werk7 eine Schar von talentierten Darstellern, die bis in die kleinste Nebenrolle perfekt besetzt ist. Allen voran ist Sandra Leitner eine ungemein sympathische Version der doch sehr tiefgründigen Amélie Poulain, einer Rolle, die so viele Facetten hat. Mühelos gleitet sie durch den chanson-lastigen Score (kraftvoll gespielt von der 5-köpfigen Band unter Philipp Gras) und kann in dem mit leisen Tönen gespickten Stück ihre warme Stimme sehr gezielt einsetzen. Besonders gefallen das melodische „Lebe deinen Traum“ und ihr Liebesduett „Bleib“ gemeinsam mit Andreas Bongard als Nino. Dieser führt ebenfalls eine starke Stimme ins Feld und hat mit „Wenn der Blitz dich streift“ einen weiteren Showstopper neben Amélies „Lebe deinen Traum“.
Kleiner Wermutstropfen: Die Kompositionen von Daniel Messé bleiben trotz des Einsatzes einiger Untermalungen aus dem Film-Score ziemlich blass. Bis auf die erwähnten Songs tut man sich schwer, weitere Highlights zu finden, die im Gedächtnis bleiben.
Von den Darstellern kann das Publikum sich jedoch in aller Ruhe verzaubern lassen, denn die künstlerische Seite lässt keine Wünsche offen: Sei es Amélies Vater Raphael, gespielt von Stephan Bürgi, oder Charles Kreische in seinen unzähligen Rollen, beispielsweise als Amélies Goldfisch-Freund „Pottwal“ oder als Gemüseverkäufer, der den Lauch besingt – die vielen kuriosen Charaktere, die man aus dem Film kennt, bekommen in München würdiges Leben eingehaucht.
Auch wenn am Ende, aus den beschrieben Gründen, die Zuschauer das Theater mit einem Lächeln und einem wohligen Gefühl ums Herz verlassen, hat das Konstrukt der Show im ersten Akt doch erhebliche Längen, die den Gesamteindruck etwas trüben. Auch strotzen die Dialoge an manchen Stellen vor Plattitüden, bei denen man sich fragt, wie es sein kann, dass die musikalische Übersetzung (Heiko Wohlgemuth) so poetisch gelungen ist, und der Text teilweise so platt sein kann.
Dennoch ist „Die fabelhafte Welt der Amélie“ eine sehenswerte Produktion, die man sich alleine wegen ihrer einzigartigen Erzählweise und der hervorragenden Darsteller nicht entgehen lassen sollte.
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