Die Produktion der Staatsoperette Dresden funktioniert auch nach Übernahme an die Volksoper, wo 1956 die Deutsche Erstaufführung stattfand, bestens. Das gut aufgelegte Ensemble, Leonard Bernsteins meisterliche Partitur und Roman Hinzes frische Neu-Übersetzung beweisen, dass sich dieses Stück zu lange in einem Dornröschenschlaf befunden hat – auch wenn die Aufführung etwas zu lang geraten ist.
New York in den 1930er Jahren. Zwei Schwestern vom Land ziehen voller Träume und Hoffnungen in die Großstadt. Die hübsche, etwas naive Eileen will zum Broadway; die bärbeißige Ruth versucht, ihre Kurzgeschichten bei Zeitungen unterzubringen. Sie landen im von spleenigen Persönlichkeiten bevölkerten Greenwich Village und müssen feststellen, dass sie vielleicht doch etwas zu blauäugig in den Big Apple gezogen sind.
Zum Zeitpunkt der Uraufführung 1953 war „Wonderful Town“ schon ein Kostümstück. Doch es atmet den Liberalismus der Künstlerszene der 1930er Jahre, deren Mitglieder auch Komponist Bernstein und seine Textdichter Betty Comden und Adolph Green waren. Die Musik orientiert sich am jazzigen Stil dieser Zeit, fügt mit Ironie amerikanische und irische Folklore hinzu und mischt Comedy-Songs und Balladen dazu. Eileen muss sogar klassische Koloraturen singen. Immer wieder verarbeitet Bernstein Motive aus den Songs „Ohio“, „Ein stilles Girl / A Quiet Girl“ und „Verliebt / It’s Love“ in der Orchesterbegleitung anderer Lieder, um die Beweggründe und Untertöne der Figuren zu unterstreichen. Ein Paradebeispiel, wie Musik Charaktere unterfüttern kann! Bernsteins Klänge werden vom Orchester unter der Leitung von James Holmes kongenial umgesetzt. Schon die Ouvertüre swingt, funkelt, schwelgt in Melodien und trifft den tänzerischen Ton.
Tanz spielt in dieser Inszenierung eine große Rolle. Melissa King bindet die Tänzerinnen und Tänzer als graue New Yorker Menschenmasse und individuelle Village-Bewohner ein, choreographiert die flotten Szenenwechsel und bringt sogar die Herren des Opernchors dazu, als Polizisten einen leichtfüßigen irischen Jig zu tanzen. Sehr gelungen auch Eileens und Ruths Jobsuche in Ballett-Form.
Das Ensemble wird angeführt von der großartigen Sarah Schütz als Ruth, die – genau wie ihre Bühnenschwester – diese Rolle schon in Dresden übernommen hat. Schütz serviert ihre trockenen Pointen mit sehr gutem Timing. Ihre Songs liegen wegen des geringen Tonumfangs der Uraufführungs-Ruth Rosalind Russell ziemlich tief und sind wegen Russells mangelnder Gesangskünste oft Sprechgesang. Was ihr an Melodien vorenthalten wird, gleichen die sehr witzigen Songtexte aus. Bei „Swing“ und „Conga“ bringt Schütz das nötige Feuer auf die Bühne und wird auch tänzerisch gefordert.
Olivia Delauré kann das Klischee der naiven Blondine vermeiden: Ihre Eileen ist herzensgut, etwas blauäugig, aber bezaubernd. Delaurés leichter Sopran trägt scheinbar mühelos ihre emotionalen Songs.
Der Redakteur Robert Baker, der Ruth bei ihrer Entwicklung als Schriftstellerin unterstützen will, ist auf den ersten Blick ein eher trockener Typ. Doch durch seine Nummern „Ein stilles Girl / A Quiet Girl“ und „Verliebt / It’s Love“ weicht er auf. Drew Sarich macht diese Veränderung mal mit passender Zurückhaltung, mal stimmgewaltig nachvollziehbar. Zusammen mit einer Vielzahl vorzüglich dargestellter Nebenfiguren ergibt sich ein harmonisches Ensemble.
Mathias Fischer-Dieskau stilisiert in seinem Bühnenbild New York durch schwarze, mit Werbung beschriftete Säulen und Skyline-Schattenrisse als düsteren Moloch. Gegen die Großstadt-Tristesse ist die Kellerwohnung der Schwestern in ihrer bunten Schäbigkeit ein passender Kontrast. Auch Judith Peters zeitgenössische Kostüme sind Farbtupfer, besonders die des eigenwilligen Künstlervolks.
Regisseur Matthias Davids inszeniert mit Sinn für kleine Details, hält die Geschichte flott am Laufen und nimmt Bernsteins musikalisches Tempo auf. Trotzdem ist der Abend mit drei Stunden etwas lang geraten. Im ersten Akt gibt es zu viel verzichtbares Dialoggeplänkel; auch die szenische Darstellung von Ruths Kurzgeschichten – obwohl schön inszeniert – bremst den Handlungsfluss.
Das sind aber die einzigen Kritikpunkte an dieser sehr lustigen, musikalisch und darstellerisch hervorragenden Produktion. Hoffentlich läutet sie eine „Wonderful Town“-Renaissance ein – dem Stück wäre es zu wünschen.
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