Wer bei „Into the Woods“ eine märchenhafte Welt mit alten Hütten, prunkvollen Schlössern oder prachtvollen Kostümen erwartet, wird bei dieser Interpretation des Stückes enttäuscht. Die Inszenierung von Peter Carp geht neue Wege: Der Fokus liegt auf das menschliche Verhalten der Figuren, und das spiegelt sich in der visuellen Seite deutlich wider.
Der Erzähler sitzt auf einem abgenutzten Sessel links neben dem Orchestergraben in einem angedeuteten Raum mit holzvertäfelten Wänden. Ein alter Fernseher, der ein schlechtes rauschendes schwarz-weißes Bild überträgt, eine Stehlampe und ein klassisches grünes Schnurtelefon aus den 80ern komplettieren die Räumlichkeit. Fast gelangweilt beginnt er in Jogginghose und weißem Feinripp-Unterhemd die Erzählung. Der Fokus wechselt zur Bühne, auf der sich drei Wohnwagen-ähnliche Hütten befinden, die an amerikanische Trailerparks erinnern. Im Hintergrund sieht man mehrere kahle Baumstämme, die mit Hilfe der Drehbühne immer wieder neue Räumlichkeiten bieten.
In dieser Szenerie bewegen sich Personen, die in keiner Sekunde an klassische Märchenfiguren erinnern, sondern eher an sozial gescheiterte Opfer der modernen Gesellschaft: Aschenputtel mit Gummistiefel, Kopftuch und Kittel erinnert an eine Reinigungskraft aus einem Großunternehmen. Das Bäckerehepaar trägt Schürze und Kopfbedeckung wie in einem amerikanischen Diner. Rotkäppchen mit leuchtendem roten Plastik-Regencape und roten Lack-High Heels wirkt nicht unbedingt jugendlich unbedarft, und die Hexe trägt schwarze Jeans und Stiefel in Kombination mit einer Lederjacke und weckt nicht gerade die Assoziation an eine hässliche, zynische alte Frau, die einen Zaubertrunk braucht, um wieder jung und schön zu werden.
Diese Divergenz zwischen Text und Gesehenem könnte den unbedarften Zuschauer etwas verunsichern, denn wenn von goldenem Haar oder goldenen Schuhen die Rede ist, diese aber im Stück nicht vorkommen – Rapunzel hat rotes Haar und die Schuhe von Aschenputtel sind silbern – dann ist das sicherlich etwas verwirrend.
Trotzdem unterstützt die visuelle Seite (Bühnenbild Caroline Forisch und Kostüme Sebastian Ellrich) das Inszenierungskonzept von Regisseur Carp, der den Figuren die märchenhafte Leichtigkeit und zu gewissen Teilen auch die Klischeehaftigkeit entzieht. Es geht um Menschen wie du und ich, die unerfüllte Wünsche und Hoffnungen haben und im Wald, als Raum in dem alle Wünsche wirklich werden können, auf Erfüllung hoffen.
Die Figuren wirken bereits zu Beginn ziemlich abgeklärt, zu Teilen frustriert, hoffnungs- und motivationslos. Durch diesen Ansatz ist die Fallhöhe zwischen dem ersten, normalerweise etwas leichteren und lustigeren Akt, und dem zweiten, melodramatischeren Akt nicht mehr so hoch. Viele Gags werden nicht aus- sondern scheinbar bewusst überspielt, die lustigen, leichteren Aspekte des Musicals werden zu Gunsten des Inszenierungskonzeptes hinten angestellt. Und dennoch schafft es Carp das Tempo bis auf ein paar Längen recht hoch zu halten, auch mit Hilfe von fast unmerklichen Textkürzungen und Raffungen.
Ob allerdings wirklich so deutlich herausgestellt werden muss, dass zwischen Wolf und Rotkäppchen eine sexuell-erotische Beziehung im Mittelpunkt steht – Rotkäppchen entblättert sich vor dem Gang ins Haus zur Großmutter – ist fragwürdig. Auch der Suizid der Hexe mit Pistole nach „Last Midnight“ macht deutlich, dass Carp den Zuschauern seine Auslegung des Stoffes zeigen will. Andere Inszenierungen lassen schon mal mehr Platz für eigene Interpretationen.
In dieser gar nicht so märchenhaften Welt spielt ein homogenes Ensemble aus Studierenden der Folkwang Universität der Künste, Schauspielern vom Theater Oberhausen und Gastsängern. Auch wenn nicht immer jeder Ton sitzt – Sondheim ist und bleibt gesanglich anspruchsvoll – so kann sich die gemeinsame Ensembleleistung hören und sehen lassen. Als musikalisches Highlight sticht das Duett „No More“ von Jürgen Sarkiss als Erzähler und Tim Al-Windawe als Bäcker heraus. Sarkiss interpretiert seinen Part mit außergewöhnlicher Singer-Songwriter-Stimme, während Al-Windawe mit einem schönen Musicaltimbre den Gegenpart gibt. Begleitet werden die Darsteller vom Studierenden- Orchester der Folkwang Universität unter der versierten Leitung von Patricia Martin, das mit nötigen Drive Sondheims Partitur gibt. Nur manchmal etwas zu laut und scheppernd übertönt es die Darsteller, die sonst fast einwandfrei vom Tontechniker abgemischt sind. Nicht immer selbstverständlich am Stadttheater.
Was bleibt, ist eine spannende Interpretation des Musicals, die nicht jedermanns Geschmack sein mag, aber mit der nötigen Offenheit interessante Aspekte offenbart, die Sondheim und Lapine eher subtil in das Stück eingearbeitet haben und in der Inszenierung von Carp deutlich zum Vorschein kommen.
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