Michael Kunze („Tanz der Vampire“, „Elisabeth“) bastelt aus dem Leben der Ende der 1960er Jahre nicht nur in Deutschland erfolgreichen Schlagersängerin Alexandra ein Musical, das trotz einer famosen Hauptdarstellerin (Jasmin Wagner) nur wenig überzeugen kann.
Doris Nefedov will die deutsche Juliette Gréco oder Joan Baez sein und anspruchsvolle Chansons singen. Management und Plattenbosse erkennen ihr Talent und das Potenzial für den Verkauf von Langspielplatten und vermarkten die junge Frau in den End-1960ern unter dem Künstlernamen Alexandra. Dabei drücken sie ihr den Stempel „Sehnsuchtsstimme“ auf. Pseudo-russische Schnulzen wie „Zigeunerjunge“, „Schwarze Balalaika“ und „Sehnsucht“ verhelfen Doris zu Ruhm und internationalen Auftritten. Gleichzeitig macht sie die verordnete Rolle depressiv und leicht verletzbar. Auf tragische und mysteriöse Weise verstummt Alexandras Stimme nach nur dreijähriger Schlager-Karriere durch einen nie eindeutig aufgeklärten Verkehrsunfall auf einer Landstraßenkreuzung in Schleswig-Holstein.
Das ist genug Futter für eine Bühnen-Biografie mit bekannten und weniger bekannten Alexandra-Songs, in der Autor Michael Kunze blitzlichtartig Stationen, wie erste Auftritte auf dem Hamburger Kiez, Tourneen mit Hazy Osterwald und Adamo sowie die politisch motivierte Absage ihrer Teilnahme beim Schlagerfestival im polnischen Sopot streift. Thematisiert werden auch Doris‘ Verhältnis zu ihrer Mutter Wally und die Affären mit immer wesentlich älteren Männern.
Kunzes Buch wirkt allerdings lieblos und unfertig. Zu schnell hetzt es durch die Jahre, zu konzeptlos sind die Aufgaben der die Szenen verbindenden Erzähler (‚mal Doris selbst, dann wieder ihr letzter Liebhaber Jaques oder ihr Manager Gregor) und zu wenig greifbar ist der Schluss. Außer der tragisch ums Leben gekommenen Hauptfigur philosophieren die anderen Personen – eigenartigerweise auch Doris‘ im Autowrack verstorbene Mutter – über Alexandras Ende. „Niemand ist ganz tot, solange Menschen an ihn denken“ lautet dann auch das Credo des sehr pathetisch wirkenden Stücks, dem Kunze den unglücklich-reißerischen Untertitel „Glück und Verhängnis eines Stars“ gibt. Die guten Zeiten lässt er allerdings weitgehend ausgeblendet.
Mit ihrer langweiligen, ideenlosen Inszenierung betont Adelheid Müther die wehmütig-tragische Komponente in der Vorlage, in der sie als Gegengewichte einzelne Nebenfiguren (Adamo, Inspizientin beim polnischen Fernsehen, TV-Moderator) als alberne Knallchargen zeichnet. Mit der spannendsten Figur, dem zwielichtigen, letzten Liebhaber Jaques, weiß die Regisseurin nicht recht etwas anzufangen. Im ersten Akt beobachtet er zum größten Teil stumm und unmotiviert das Geschehen, darf allerdings zum Song „Zigeunerjunge“ das Tamburin schlagen. Im zweiten Akt taucht der Charmeur und Heiratsschwindler plötzlich mit amerikanischem Akzent auf, den er im Gesang eigenartigerweise jedoch wieder verliert. So unsauber Müthers Regiearbeit, so dürftig ist auch ihr Staging. Die Regisseurin nutzt fast ausschließlich die vordere Bühnenhälfte, obwohl Matthias Karch in seinem schicken, an die Dekoration von TV-Shows in den 1960ern erinnernden Metall-Bühnenbild mehrere Spielebenen zur Verfügung stellt. Dem damaligen Zeitgeist huldigt auch Suse Brauns stimmiges Kostümbild, die insbesondere für die Hauptfigur eine Vielzahl von Kleidern mit für die heutigen Sehgewohnheiten sehr schrägen Mustern und Farbzusammenstellungen entworfen hat.
Eine glückliche Hand beweist die Leitung des Schlosspark Theaters auch mit der Verpflichtung von Jasmin Wagner für die Titelrolle. Bemerkenswert die Parallele zur Alexandra-Biografie: Wagner wurde Mitte der 1990er Jahre unter dem Pseudonym „Blümchen“ mit Piepsstimmchen als deutschsprachige Technosängerin verheizt und verwirklicht sich nach grundlegender Ausbildung in den USA nun auf deutschen Bühnen. Sie trägt den Abend darstellerisch und gesanglich überraschend gut, wobei sie glücklicherweise darauf verzichten darf, Alexandra stimmlich zu imitieren. So erklingen die Songs zwar nicht mit dem von Einspielungen bekannten, warmen Samttimbre der Originalinterpretin, Wagner verfügt aber über eine klare und sauber geführte Chansonstimme, die Hits wie „Mein Freund der Baum“ mehr als gerecht wird. Wenn sie zum Schluss vor dem projizierten Original-Schwarzweißfoto des Autowracks „Der Traum vom Fliegen“ anstimmt, dann hat das Gänsehautpotenzial. Wagner wird für ihre Leistung in der besuchten Vorstellung zu Recht vom Publikum gefeiert.
Schon rein vorlagenbedingt haben es die restlichen Darsteller schwer. Die meisten Figuren tauchen episodenhaft als Stichwortgeber auf und sind schnell wieder vergessen. Einzig Susanne Häusler als mitfühlende Mutter Wally und Helge Bechert als Manager Hajo Hartel sind ein paar mehr Auftritte vergönnt, die sie routiniert meistern. Timothy Peach als Charmeur Jaques Moulin ist vom Typ her eine gute Wahl, allerdings wirkt der Darsteller gelangweilt und verblasst mit seiner Sprechgesangsstimme neben Jasmin Wagner. Ob Dietmar Loeffler, als Pianist und musikalischer Leiter gemeinsam mit dem Gitarristen Ingo York geschickt am hinteren Bühnenende postiert, in der Rolle des Rudi auch noch schauspielern sollte, muss jeder selbst beurteilen.
„Ich bin nicht Alexandra. Ich bin ich“, resümiert Doris über die ungeliebte Rolle, die sie Zeit ihres Lebens spielen musste. Eine bessere musikalische Bühnenbiografie hätte sie auf jeden Fall verdient.
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