Eine gewagte Neuinszenierung mit guter Besetzung von Regisseur Philipp Kochheim, die den Zuschauer überrascht und durch unerwartete Kürzungen und Interpretationen einige Fragen beim Publikum offen lässt.
Auch in Hagen hat die Neuzeit Einzug in den Gruselthriller von Frank Wildhorn erhalten. Regisseur Philipp Kochheim transferierte seine erfolgreiche Lüneburger Inszenierung mitsamt Bühnenbild nach Nordrhein-Westfahlen. Man spürt förmlich die Irritation im Zuschauerraum, wenn sich beim Heben des Vorhangs keine viktorianische, düstere Kulisse zeigt, sondern ein modernes Wohnzimmer der 1970er Jahre. Doch es bleibt nicht bei den rein optischen Veränderungen des historischen Stoffs. Auch die Charaktere des Stücks haben sich den Gegebenheiten angepasst. Lisa und Lucy scheinen mit den Haarfarben auch die Persönlichkeiten gewechselt zu haben, ist die eine jetzt doch stark und selbstbewusst, die andere trotz ihres Jobs im horizontalen Gewerbe eher schüchtern. Besonders stark kommen die Veränderungen aber bei Dr. Jekyll zum Vorschein. Bereits zu Beginn des Stücks zeigt er sich arrogant und cholerisch, sein Elixier dient nicht mehr dem Glauben, durch die Einnahme des Gemischs könne er eine neue Person erschaffen. Vielmehr kann man die Flüssigkeit mit einer Droge vergleichen, die Jekylls Hemmungen abbaut und ihn in seiner Gewaltbereitschaft noch bestärkt. So entsteht keine neue Figur: Die Erfindung des Edward Hyde gibt Jekyll Raum, seine Schizophrenie auszuleben – und, unter dem Deckmantel eines anderen, Morde zu begehen.
Die Regie Kochheims ist eine Gratwanderung zwischen spannender Neuinszenierung und misslungen verbundenen Handlungsbruchstücken. Die Logik der neuen Geschichte verliert sich leider oft im Detail, auch durch die starken Kürzungen. Jekylls Bezugspersonen erfahren alle nach und nach, dass es keinen Mr. Hyde gibt, sondern immer nur Henry Jekyll selbst ihnen einen Schrecken einjagt. Die Rachemorde Hydes geschehen fast alle in Jekylls Loft, und keiner verdächtigt den Doktor? Selbst als sein Freund Utterson das in Blair-Witch-Project-Manier gedrehte Video des Experiments sieht, versucht er Jekyll nicht aufzuhalten? Lucy begibt sich immer wieder zu Jekyll, obwohl sie weiß, dass er der sadistische Freier ist? Poole arbeitet seelenruhig weiter als Laborassistent, obwohl sein Arbeitgeber versuchte, ihn zu ertränken? All diese offenen Fragen zerstören ein wenig die Neugier auf das weitere Geschehen.
Das Ensemble des Abends erweist sich als durchaus gelungen, auch wenn die Hauptfiguren völlig atypisch besetzt sind. Henrik Wager als Dr. Jekyll/ Mr. Hyde kauft man den arroganten Wissenschaftler sofort ab, auch die eher untypische helle Stimmfarbe unterstützt den Eindruck des schizophrenen Irren. Tanja Schun gibt sich als dunkelhaarige Lisa Carew stark und selbstbewusst. Ihre “Konkurrentin” Lucy wird von Maricel eher schüchtern, jedoch mit starker Stimme dargestellt. Sie hat bereits mit ihrem ersten Solo (“Bring On The Men”, der einzige englischen Song des Abends) das Publikum für sich gewonnen. Zu nennen ist auch der äußerst stimmgewaltige Norbert W. Conrads, der es als einziger Darsteller des Abends schafft, laut und deutlich über das Orchester hinweg gehört zu werden.
Denn leider hat es das Theater Hagen immer noch nicht geschafft, die Tonanlage adäquat für eine Musicalproduktion einzustellen. Das Publikum wird förmlich vom Dröhnen des Orchesters erschlagen, während die Stimmen der Solisten leise vor sich hinplätschern. So gehen die Soli von Dr. Jekyll/ Mr. Hyde völlig im Getöse des Orchesters unter und erzielen nicht die gewünschte Wirkung.
Die Inszenierung von P. Kochheim wartet neben den Logikfehlern jedoch auch mit einem äußerst überraschenden Ende auf. Die Konfrontation zwischen Jekyll und Hyde wird zu einem Triumph für Dr. Henry Jekyll, schafft er es doch, sein Alter Ego zu besiegen. Jedoch nicht, wie in den bislang bekannten Inszenierungen, durch seinen starken Willen; vielmehr setzt er das Publikum durch einen völlig unerwarteten Selbstmord in einen Schockzustand. Das scheinbare Happy End entfällt, das Stück endet mit Lisas “Da war einst ein Traum” sowie der passenden Reprise von “Fassade”. Unbemerkt von den anderen schleicht sich der immer noch von Neid befallene Simon Stride an Jekylls Experiment und setzt sich eine Dosis des Elixiers. Mit diesem Paukenschlag fällt der Vorhang und lässt das Publikum mit seinen eigenen Gedanken über den Fortgang der Geschichte zurück.
Sa, 04.09.2010 19:30 | Großes Haus, Hagen | Premiere |
Sa, 11.09.2010 19:30 | Großes Haus, Hagen | |
Mi, 15.09.2010 19:30 | Großes Haus, Hagen | |
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So, 26.09.2010 18:00 | Großes Haus, Hagen | |
Fr, 01.10.2010 19:30 | Großes Haus, Hagen | |
Fr, 08.10.2010 19:30 | Großes Haus, Hagen | |
Mi, 20.10.2010 19:30 | Großes Haus, Hagen | |
Mi, 10.11.2010 19:30 | Großes Haus, Hagen | |
Sa, 20.11.2010 19:30 | Großes Haus, Hagen | |
Mi, 08.12.2010 19:30 | Großes Haus, Hagen | |
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Fr, 28.01.2011 19:30 | Großes Haus, Hagen | |
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