Unsere monatliche Kolumne: Ingos Fernsehsessel
Unsere monatliche Kolumne: Ingos Fernsehsessel

Ingos Fernsehsessel - "Hairspray"

Einmal pro Monat werde ich mich in meinen Fernsehsessel setzen und mir für euch einen Musicalfilm ansehen. Da werden bekannte Streifen dabei sein, aber auch Unbekanntes oder Vergessenes.

Passend zum sich verfärbenden Herbstlaub habe ich mir im Oktober etwas Buntes in mein Wohnzimmer geholt. Wer hätte gedacht, dass ein Musical über Bodyshaming und Rassismus so fröhlich sein kann?

“Welcome to the Sixites!” Die Frisur muss sitzen! Dafür werden Haare auf Lockenwickler gerollt und toupiert, dass es eine wahre Freude ist! Und zum Schluss wird alles mit Lack besprüht, damit die Haarpracht Wetter, Wind und wilden Tänzen standhält.

Nicht nur die Frise muss top sein, man muss auch die neuesten coolsten Tanz-Moves beherrschen, wenn man in der “Corny Collins Show” mitmachen will. Die kleine pummelige Tracy Turnblad träumt von nichts anderem und bewirbt sich gegen den Willen ihrer Eltern beim lokalen TV-Sender. Sie schafft es zwar nicht beim Casting – das weiß die dafür Verantwortliche Velma Von Tussle zu verhindern, die ihrer Tochter Amber den Titel “Miss Teenage Hairspray” verschaffen möchte – aber Tracy wird beim Schulball entdeckt, bekommt schließlich doch ihren Platz in der Show, wird zum Publikumsliebling und läuft Amber den Rang ab. Als der Moderator Corny plant, schwarze Jugendliche nicht mehr nur am “Neger-Tag”, sondern mit den weißen zusammen in jeder Show auftreten zu lassen, streicht Von Tussle kurzerhand alle Auftritte von Schwarzen aus dem Sendeprogramm. Daraufhin startet Tracey mit Freunden Proteste gegen die Rassentrennung.

Das klingt politischer als es ist. Die Handlung verläuft in recht vorhersehbaren Bahnen. Vom bissigen Underground-Humor des Original-Films von 1988 sind in seiner 2002er Broadway-Version und in deren Verfilmung von 2007, die hier über den Fernsehsessel-Bildschirm flackert, nur noch Spuren geblieben. Das ändert aber nichts daran, dass “Hairspray” einfach viel Spaß macht, ohne die angerissenen Themen zu sehr zu verharmlosen. Das liegt vor allem an der Musik von Marc Shaiman, die den Sound der frühen 1960er Jahre geschickt kopiert und einen Ohrwurm nach dem anderen produziert. Diese Songs werden toll umgesetzt – ob in der Choreografie von Adam Shankman, der den Film auch inszenierte, oder durch Kamera und Schnitt. Auch die Ausstattung mit dem knallbunten Sixties-Look und den herrlich übertriebenen Kostümen – alles vom Feinsten.

Was mich aber immer wieder an diesem Streifen begeistert, ist die Besetzung, die mit viel Spaß bei der Sache ist und nicht davor zurückschreckt, sich mal so richtig zum Horst zu machen. Michelle Pfeiffer ist perfekt fies als Velma Von Tussle. Wer ihre Darstellung hier mag, sollte sich unbedingt “Der Sternwanderer” ansehen; da spielt sie eine böse Hexe. Queen Latifah setzt ihre Präsenz als schwarze Moderatorin Motormouth Maybelle ein, Zac Efron beweist als Teenie-Idol Link Larkin viel Selbstironie und Brittany Snow gibt als Amber Von Tussle die Zicke vom Dienst. Amanda Bynes ist sehr witzig als Traceys verklemmte Freundin Penny, die unter der Fuchtel ihrer extrem konservativen Mutter (Allison Janney, grandios wie immer) steht.

Ein wahres Traumpaar sind John Travolta und Christopher Walken als Traceys Eltern. Travolta hat dabei die ikonischste “Man in Drag”-Rolle bekommen, die das Musical-Theater zu bieten hat. Er spielt Edna Turnblad mit einer ihn nahezu unkenntlich machenden Maske und in einen Fatsuit gezwängt. Das sieht zwar nicht wirklich echt aus, passt aber in die bonbonfarbene Umgebung. Edna hat Komplexe wegen ihres Gewichts und erst durch die Popularität ihrer Tochter öffnet sie sich wieder der Außenwelt. Ich bin kein großer Travolta-Fan, aber das spielt er zugegebenermaßen wirklich gut. Christopher Walken ist Ednas schräger Ehemann Wilbur, der in seinem Scherzartikel-Laden völlig aufgeht. Im Lied “(You’re) Timeless To Me” nähern sich die Eheleute wieder einander an und es ist einfach schön anzusehen, wie die Chemie zwischen Travolta und Walken stimmt. Große Sänger sind beide nicht; ihre Stimmen sind ziemlich dünn, aber ihr Tanz ist ganz wunderbar.

Hauptdarstellerin Nikki Blonsky konnte nach “Hairspray” (bis jetzt) keinen richtigen Erfolg mehr landen. Das ist mehr als schade, denn sie spielt Tracy liebenswert, ausdrucksstark und stimmgewaltig.

Einige Weggenossen des Musicals haben Cameo-Auftritte. John Waters, Regisseur des Original-Films, der mit seinen ersten Trashfilmen zum Bürgerschreck wurde, tritt passenderweise als Exhibitionist auf. Jerry Stiller, im Ursprungsfilms Traceys Vater, hat die kleine Rolle des Mr. Pinky, der Tracey als Werbeträgerin für seine Boutique engagieren möchte. Ricki Lake (die Tracey in der Vorlage), Adam Shankman (Regisseur und Choreograf der Musicalverfilmung) sowie Marc Shaiman und Scott Wittman (Komponist und Texter des Musicals) sind Talentscouts bei der Wahl zur “Miss Teenage Hairspray”.

“Hairspray” war ein so großer Erfolg – auch wenn der Kinofilm in Deutschland nur so lala lief – dass eine Fortsetzung geplant wurde. Umgesetzt hat man diese dann allerdings nie.

Für mich ist dieser Film einer der aufmunterndsten und gutgelauntesten Streifen, die ich kenne. Auch wenn ich nicht verstehen kann, wie man morgens schon so ekelhaft fröhlich “Good Morning Baltimore” schmettern kann.

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