© Dirk Rückschloß - pixore photography
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Doktor Dolittle (seit 02/2024)
Eduard-von-Winterstein-Theater, Annaberg-Buchholz

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Ein Kinderbuch mit einer fantastischen Handlung wird zum Filmmusical, das dann für die Bühne adaptiert wird. Diesen Weg haben nicht nur “Mary Poppins” und “Tschitti Tschitti Bäng Bäng” eingeschlagen, sondern auch Hugh Loftings “Doktor Dolittle”-Erzählungen. 26 Jahre nach seiner Uraufführung bringt Regisseur Markus Olzinger das recht altbacken wirkende Musical von Leslie Bricusse (Buch, Musik und Songtexte) bei seiner Deutschland-Premiere in Annaberg-Buchholz passabel auf die Bühne, kann seine Schwächen allerdings nicht vollständig kaschieren.

Ein Mann, der behauptet, mit Tieren in ihren eigenen Sprachen kommunizieren zu können, ist ein Außenseiter, Spinner und ganz bestimmt auch ein Mörder. Diesen Anfeindungen muss sich Dr. John Dolittle in einem Gerichtsprozess stellen. Eine gaffende Menge vorverurteilt den in der Mitte des Raumes sitzenden Angeklagten, dem der Richter arg zusetzt. In Rückblenden wird erzählt, wie der an der Behandlung von Menschen gescheiterte Mediziner mit seiner empathischen Art zum Freund der Vierbeiner und deren Mentor wird und warum ihm der Prozess gemacht wird. Durch Fürsprache seines Freundes Matthew und des kleinen Tommy wird Dolittle vom Verdacht des Mordes freigesprochen, denn es stellt sich heraus, dass das vermeintliche Opfer in Wirklichkeit eine unglückliche Robbe war, die der Tierfreund als eine im Rollstuhl sitzende Frau verkleidet aus einem Zirkus geschmuggelt hat, um ihr die Freiheit zu schenken. Die erhält Dolittle hingegen nicht und wird als vermeintliche Gefahr für die Allgemeinheit in einer Irrenanstalt weggesperrt.

Mit diesem Urteil entlässt Regisseur Markus Olzinger sein Publikum in die Pause. Bis zu diesem Punkt der Handlung ist die Titelfigur des Musicals ein ambitionierter Sonderling mit Weitsicht, den die Gesellschaft im victorianischen England ablehnt, weil sie ihn nicht versteht beziehungsweise verstehen will. Ein Schicksal, das der Bühnen-Dolitte heute mit Menschen, die sich mit Blick auf den Klimawandel für die Natur engagieren, teilt. Mit dieser Dimension des eigentlich fantastisch-märchenhaften Stoffes überrascht Olzinger und gibt dem Stück eine Tiefe, die Kinder enttäuschen, Erwachsene jedoch zum Nachdenken anregen dürfte. 

Im zweiten Akt, in dem Dolittle nach seiner Flucht aus der Zelle eine Forschungsreise unternimmt, um die ausgestorben geglaubte Rosa Riesenseeschnecke zu finden, strandet er mit seinen menschlichen und tierischen Gefährten nach einem Unwetter auf einer Insel, in deren Gewässer sich das Tiefseewesen zurückgezogen hat. In den Szenen auf dem Eiland, das sich als Tierschutzgebiet entpuppt, verlässt die Inszenierung kurz das victorianische Zeitalter und nimmt das Publikum mit in die 1960er-/1970er-Jahre, denn es ist auch der Schutzraum für eine heute nahezu ausgestorbene menschliche Spezies – den Hippies. Mit der buntgewandeten, tiefenentspannten Kommune, die lässig Getränke aus Cocktailgläsern schlürft, umschifft die Inszenierung gekonnt die Klippe, eine Horde exotisch anmutender Eingeborener zu präsentieren.

Olzingers Regiearbeit schafft es allerdings nicht, die Rückkehr ins victorianische England glaubhaft auf die Bühne zu bringen. Den Streik der Tiere inszeniert er noch gekonnt als eine Demo von Menschen mit Tierplakaten. das hauruckartige “Wir-haben-uns-alle-lieb”-Finale fällt dann allerdings aus dem Rahmen, auch wenn offen bleibt, ob es ein Liebespaar gibt oder nicht.

Achillesferse des Musicals ist seine uninspiriert wirkende Partitur, die aus der Filmfassung von 1967 stammt. Außer dem oscarprämierten Song “Talk to the animals”, bei dem auch Christian Poewes deutsche Übertragung “Sprechen von Mensch zu Tier” mit witzigen Wendungen wie “parlieren mit den Stieren” oder “schwatzen mit den Katzen” gefallen, haben Leslie Bricusses Kompositionen wenig zu bieten. Da können sich die Musiker der Erzgebirgischen Philharmonie Aue unter dem Dirigat von Dieter Klug noch so ins Zeug legen, ein Song klingt wie der nächste. Da das Theater in Annaberg-Buchholz über kein Ballett verfügt, entfallen die ursprünglich vorgesehenen Stepp-Nummern, was dem Stück zusätzlich große Show-Momente nimmt und die Musik langweilig wirken lässt.

Optisch wird allerdings geklotzt: Das farbenfrohe, zeittypische Kostümbild von Martin Scherm gefällt ebenso wie die frechen Tierpuppen und das Einheits-Bühnenbild mit Versatzstücken, die mit wenigen Strichen gezeichnet aus einem Comic zu stammen scheinen. Entwerfer Markus Olzinger hat mit den sich nach hinten verjüngenden Kreisen im Bühnenraum augenzwinkernd eine Reminiszenz an das Kino und an James Bond eingebaut, denn Leslie Bricusse ist der Texter von den Klassikern “Goldfinger” und “You Only Live Twice”.

Auf der Bühne sind die Mitglieder des hauseigenen Musiktheater-Ensembles und des Opernchores zu sehen. Vorlagenbedingt steht László Varga als Dr. John Dolittle im Mittelpunkt des Geschehens. Er singt mit runder Bass-Bariton-Stimme und ist – auch wenn er als Außenseiter charakterisiert wird – der Sympathieträger der Show. Vargas anklagender Song “Wir behandeln Tiere wie Tiere” berührt zutiefst. Im Duett “Sie sind lächerlich” harmoniert seine Stimme schön mit Sophia Keilers klarem Sopran. Als Emma Fairfax emanzipiert sich von ihrem herrischen Onkel General Bellowes (Matthias Stephan Hildebrandt) und verdreht Dolittles Freund Mathew Mugg (Jakob Hoffmann) den Kopf.

Maria Rüssel ist als Polynesia Dolittles treue Begleiterin und führt ihre Papageienpuppe mit so viel Charme und Witz, dass man kaum glauben mag, dass die Mezzosopranistin eigentlich in großen Partien des klassischen Fachs und nicht im Puppenspiel zu Hause ist. In weiteren tierischen Rollen gefallen mit viel Spielfreude und sichtbarem Spaß Bridgette Brothers (Hund Jip), Lukáš Šimonov (Ferkel Göb-Göb), Stephanie Ritter (Robbe Sophie) sowie Nataliia Ligai und Kornelia Walter als doppelköpfiges Lama Stoßmich-Ziehdich.

Als entspannter Hippie-Chef Schneller Ochse und als fettleibiger Zirkusdirektor Albert Blossom beweist Leander de Marel seine Wandlungsfähigkeit, Bettina Großkopf gibt eine zickige Zirkusdiva Gertie Blossom. Ein Sonderlob haben sich die Choristen des Theaters verdient, die hingebungsvoll und mit viel Spielfreude als Ensemble die Choreografien von Amy Share-Kissiov tanzen.

Es kann dem Theater in Annaberg-Buchholz nicht hoch genug angerechnet werden, dass es den Mut hat, seinen Zuschauern ein Stück in deutscher Erstaufführung zu präsentieren, das zwar nicht zu den stärksten des Genres gehört, dafür aber in einer sehens- und hörenswerten Inszenierung über die Bühne geht, die einen Ausflug ins Erzgebirge lohnt.

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungDieter Klug
Markus Teichler
Karl Friedrich Winter
Inszenierung, Bühnenbild, TierentwürfeMarkus Olzinger
KostümeMartin Scherm
ChoreografieAmy Share-Kissiov
PuppenbauPaul Ebell
Werkstätten der ETO GmbH
 
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CAST (AKTUELL)
Dr. John DolittleLászló Varga
PolynesiaMaria Rüssel
Matthew MuggJakob Hoffmann
Tommy StubbinsTim Blutner
General BellowesMatthias Stephan Hildebrandt
Emma FairfaxSophia Keiler
Albert Blossom / Schneller OchseLeander de Marel
Gertie BlossomBettina Grothkopf
1. PolizistUli Heim
2. PolizistJens Langhans
Jip, Dolittles HundBridgette Brothers
Göb-Göb, ein FerkelLukáš Šimonov
Sophie, eine RobbeStephanie Ritter
Stoßmich-Ziehdich / Popsipetelaner / DorfbewohnerinnenNataliia Ligai
Kornelia Walther
ChorOpernchor des Eduard-von-Winterstein-Theaters
OrchesterErzgebirgische Philharmonie Aue
  
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TERMINE
So, 19.05.2024 18:00Eduard-von-Winterstein-Theater, Annaberg-Buchholz
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 10.02.2024 19:30Eduard-von-Winterstein-Theater, Annaberg-BuchholzPremiere
So, 25.02.2024 15:00Eduard-von-Winterstein-Theater, Annaberg-Buchholz
Mi, 28.02.2024 19:30Eduard-von-Winterstein-Theater, Annaberg-Buchholz
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