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 Drama
Sunset Boulevard Nur ein Blick!
© Manja Herrmann
© Manja Herrmann
"Sunset Boulevard" erweist sich in der recht biederen Inszenierung von Ansgar Weigner als Musical, das die Musiktheater-Solisten eines Stadttheaters zwar gut stemmen können, fragwürdig bleibt jedoch der Einsatz des Chores als Ensemble.
(Text: Kai Wulfes) Premiere: | | 22.09.2018 | Rezensierte Vorstellung: | | 07.10.2018 | Letzte bekannte Aufführung: | | 14.06.2019 | Showlänge: | | 160 Minuten (ggf. inkl. Pause) |
Drückt Norma Desmond ab? Kurz nachdem die Stummfilm-Diva ihren Geliebten mit drei Schüssen niedergestreckt und als im Wahn tanzende Salome ihren letzten Auftritt genossen hat, hält sie sich mit Blut verschmierten Händen den Revolver an die eigene Schläfe. Ob sie sich selbst richtet, lässt Regisseur Weigner offen, indem er das Licht verlöschen lässt.
Ein starkes Ende einer konventionellen, oft auch recht hausbacken wirkenden Inszenierung, die allerdings auch für die eine oder andere Überraschung gut ist. So steht zum Beispiel Joe Gillis in seiner Funktion als Erzähler zu Beginn beider Akte in einem kalt ausgeleuchteten Pathologie-Saal neben der eigenen, nur mit einem Tuch abgedeckten Leiche. Warum er ihr jedoch einen Ring vom Finger abzieht und diesen in der Hosentasche verschwinden lässt, verschweigt uns der Regisseur. Dafür punktet er mit einer präzisen Zeichnung der drei Haupt-Charaktere: Joe ist in der Inszenierung ein überheblicher Macho, der glaubt, alles unter Kontrolle zu haben. Allerdings übersieht er, dass er immer mehr in den Bann von Norma gezogen wird, die Weigner wenig exaltiert, dafür aber als selbstbewusste, fast schon herrschsüchtige Frau auf die Bühne stellt. Einen guten Gegenpol bildet Butler Max, der als dienstbarer Geist der kleinen Gesten seine eigenen Erfolge als Regisseur von Normas Filmerfolgen dauerhaft konservieren will.
© Manja_Herrmann
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Ein entscheidendes Detail fehlt allerdings in Weigners Regie-Arbeit: Normas Oldtimer. Er wird zwar kurz als schwarz-weißes Foto projiziert, es gibt auch eine Mini-Film-Sequenz von einer Autofahrt, ansonsten fehlt dieses für das Stück so wichtige Requisit. Geradezu peinlich sind die seelenlosen Video-Sequenzen von Christian Hirsch, die sowohl die Verfolgungsfahrt im ersten Akt als auch die Passagen zum Filmstudio als abgefilmten Mittelstreifen illustrieren sollen. Hier wurde an der falschen Stelle gespart.
Ein weiteres Ärgernis ist der Einsatz des Opernchores. In vielen kleinen Rollen, aber auch als Ensemble radebrechen sich die Sängerinnen und Sänger mit so starkem Akzent durch ihre Partien, dass die Textverständlichkeit komplett auf der Strecke bleibt. Selbst die wenig anspruchsvollen Choreografien von Lidia Melnikova überfordern die Truppe und lassen erkennen, dass ein Opernchor sich nur sehr eingeschränkt als Musicalensemble eignet.. Ihre klassisch geschulten Stimmen betonen zudem die sinfonisch-schwelgerische Lloyd Webber-Partitur. Das Philharmonische Orchester Bremerhaven fühlt sich hier unter dem straffen Dirigat von Ektoras Tartanis hörbar wohl, gefällt mit sattem Sound, aber auch in den jazzigen Passagen.
© Manja Herrmann
© Manja Herrmann
In Barbara Blochs Bühnenbild wird Normas längst verblasster Zelluloid-Ruhm in ihrer Villa verwahrt. Der in die Jahre gekommene, düstere Salon mit der obligatorischen Treppe für die großen Auftritte ist zugemüllt mit ehemaligen Requisiten, die achtlos in die Ecken geworfen worden sind. Die Messie-Räume lassen sich mittels Drehbühne und verschiebbaren Wänden schnell in das schillernde Hollywood-Filmstudio oder Schwabs Drugstore verwandeln. Blochs Kostümbild variiert zwischen schicken Alltagsklamotten für das Ensemble und verschwenderisch gestalteten Roben für den Stummfilmstar.
In der Rolle der Norma Desmond ist Sascha Maria Icks, Mitglied des hauseigenen Schauspielensembles, eine kleine Sensation. Mit gurrender Tiefe und makellosen Höhen schwelgt sie durch ihre dankbaren Songs wie "Träume aus Licht" oder "Als hätten wir uns nie Goodbye gesagt". Icks gestaltet ihre Norma dank nuancenreichem Spiel weniger als zerbrechliches Püppchen mit depressiven Zügen denn als willensstarke Frau mit Vision – einfach grandios! Optisch recht jung, wirkt sie wie eine Diva, die bereits als Kinderstar ins Filmgeschäft eingestiegen ist. Vikrant Subramanian als Joe Gillis ist damit auch nicht mehr ein jüngerer Liebhaber, beide sind hier eher gleich alt. Mit kraftvollem Bariton und feinen Spitzentönen singt Subramanian zackig und ohne Opernpathos den Hit-Titelsong, lässt seine Stimme jedoch auch zart und liebevoll in Duetten mit Norma oder Betty Schaefer funkeln. Mit feinem Sopran und trotzigem Spiel holt Patrizia Häusermann das Beste aus der vorlagenbedingt etwas blassen Rolle der Sekretärin mit Autoren-Ambitionen.
Als einziger Gast komplettiert Andrea Matthias Pagani den Bremerhavener Sunset Boulevard. In der Rolle des Max von Mayerling glänzt er als fast lautlos agierender, dienstbarer Geist mit Charakter und Herz. In stocksteifer Pose singt er mit einem etwas bitter klingenden Bariton ein grandioses "Kein Star wird jemals größer sein" und ist immer dann an Normas Seite, wenn sie ihn besonders braucht. In der Schlussszene bereitet er als Regisseur dem Star genau den Abgang von der großen Bühne, den Norma braucht. Letztendlich könnte aber auch er nicht ihren Selbstmord verhindern. Ob es überhaupt so weit kommt, überlässt der Regisseur in Bremerhaven der Fantasie seines Publikums.
(Text: kw)

Kreativteam
Besetzung
Produktionsgalerie (weitere Bilder)
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 2 Zuschauer haben eine Wertung abgegeben:

    31966 ...eine große Leistung für ein kleines Haus!
22.01.2019 - Billy Wilders schonungslose Abrechnung mit der Glitzerwelt Hollywoods hat ihm nicht nur Freunde beschert. Ganz im Gegenteil: Nach der Premiere des Films im Jahre 1950 stürzte Louis B. Mayer auf ihn zu: „Sie Bastard, sie haben die Industrie, die sie gemacht und ernährt hat, in den Dreck gezogen. Man sollte sie teeren und federn und aus der Stadt jagen!“ Billy Wilders Antwort fiel sehr kurz aus: „Fuck you!“
Heute gilt der Film, laut dem American Film Institute, zu den zwölf besten amerikanischen Filmen aller Zeiten.
Bei der Umsetzung des Films zum Musical waren die Macher gezwungen, sich eng am Original zu halten. Dies ist im Musical deutlich zu spüren: Ganze Textpassagen wurden 1 zu 1 übernommen oder fanden in den Songtexten ihre Entsprechung. Das Buch ist atmosphärisch dicht und psychologisch klug durchdacht. Lloyd Webber schuf eine symphonische, sehr theatralische Musik mit großen dramatischen Arien, gefühlvollen Songs und lebhaften Chornummern.
Die musikalische Seite war bei dem 1. Kapellmeister und stellvertretende Generalmusikdirektor des Hauses Ektoras Tartanis in den allerbesten Händen. Mit straffen Dirigat führte er das Philharmonische Orchester Bremerhaven durch diese vielseitige Partitur und sorgte für einen äußerst würdigen musikalischen Rahmen dieses anspruchsvollen Musicals.
Ansgar Weigner konnte am Stadttheater auf ein talentiertes Haus-Ensemble zurückgreifen, schuf eine sehr stringente Inszenierung mit flüssigen – beinah filmischen – Übergängen, in der Raum für große Ensembleszenen war, aber auch die intimen Momente sehr detailliert erarbeitet wurden. Weigner hat es sogar geschafft, den von mir so häufig gescholtenen Opern-Chor zu einem homogenen Ensemble zu formen, der auch in solistischen Partien überzeugen konnte.
Die 4 Hauptakteure boten sehr gute bis grandiose Leistungen:
Patrizia Häusermann gelang es der eher blassen Rolle der Betty Schaefer ein deutliches Profil zu verleihen, indem sie sie als selbstbewusste, moderne Frau porträtierte, und überzeugte mit Spiel und Stimme. Bravo!
Vikrant Subramanian war als Joe Gillis eher der Sunny Boy als der Zyniker, sang hervorragend, hatte leider Probleme mit der Textverständlichkeit, konnte sich zum Schluss im Spiel aber deutlich steigern.
Andrea Matthias Pagani überzeugte als stets kontrollierter und rational handelnder Max von Mayerling, gleichzeitig ließ er durch diese Fassade den fürsorglichen Vertrauten von Norma durchschimmern und konnte mit seinem flexiblen Bariton beindrucken und begeistern.
Der Star des Abends war aber Sascha Maria Icks. Sie lebte die Norma Desmond zwischen Größenwahn und Naivität, zwischen Egoismus und Mitleid, zwischen schnoddriger Göre und glamouröser Diva. Jeder ihrer Auftritte war pure „Starquality“ mit großen Gesten „bigger than life“. Schon bei ihrem ersten Song „Nur ein Blick“ bekam ich Gänsehaut. Nach ihrer dramatischen Schluss-Szene, in der sie dem Wahnsinn verfallen die Treppe herunterschreitet und mit brüchiger Stimme nochmals „Nur ein Blick“ anstimmt, hielt es uns zum Schluss-Applaus nicht mehr auf unseren Sitzen.
Diese großartige Leistung für ein kleines Haus musste belohnt werden: Standing Ovation!

Henry Higgins (11 Bewertungen, ∅ 4.4 Sterne)
    31883 Enttäuschend
27.09.2018 - Die Premiere war enttäuschend. In fast allen bereichen gab es Mängel oder nicht erklärbare Widersprüche. Das Bühnenbild hatte mal klasse (Studios), mal Second Hand Niveau (Wohnzimmer). Die Musik war schön und auch melodiös, aber auch sehr laut, so dass man die Sänger kaum verstehen konnte. Die Choreografien waren in Ordnung, die Regie sehr schwankend, mal auf den Punkt gebracht (Normas Rückkehr zu Paramount), dann aber immer wieder ohne Esprit und manchmal auch ohne Sinn. Die Videosequenzen waren eine Frechheit, einfach einen Straßen-Mittelstreifen auf Dauerschleife zu zeigen.
Die Darsteller konnten mich kaum überzeugen. Die Norma Desmond hatte eine schöne Stimme und auch gutes Schauspiel, aber sie wirkte sehr jung für diese Rolle, das irritierte. Der Joe Gillis fühlte sich wohl wie der Star des Abends, das war gerade beim Titelsong Sunset Boulevard mimisch-schauspielerisch eine Katastrophe,gesanglich aber ok. Und seine Outfits waren....naja....
Einzig der Butler Max gefiel mir hervorragend, Andrea Matthias Paganis Stimme war ein Genuss und seine künstlerische Leistung top. Auch Betty Schäfer hat schön gesungen, aber leider wurde sie von der Regie völlig unbeachtet gelassen, ihre Beziehung zu Joe kam so gut wie gar nicht zum tragen. Insgesamt waren im Ensemble sehr viele Akzente zu hören, was in Kombination mit der lauten Musik die Ensemblenummern sehr unverständlich machte.
Nachdem ich das letzte mal bei Dracula in Bremerhaven war und dort eine richtig gute Inszenierung vorfand, war ich diesmal enttäuscht. Gerade bei den Hauptdarstellern und der Regie sollte man doch etwas mehr Kreativität und Qualität erwarten dürfen. Das war jetzt von den fünf Sunset Boulevard Inszenierungen, die ich in Deutschland bislang gesehen habe, die mit Abstand schwächste.

Musicalstern (2 Bewertungen, ∅ 3 Sterne) 
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| Handlung | Hollywood in den Fünfzigern. mehr Der junge, erfolglose Drehbuchautor Joe Gillis landet auf der Flucht vor seinen Gläubigern auf dem Anwesen von Norma Desmond, eines alternden, exzentrischen früheren Stummfilmstars, der mittlerweile isoliert von der Außenwelt vergessen lebt. Norma engagiert Joe für das Drehbuch, das sie für ihr großes Comeback schreibt, und lässt ihn bei sich wohnen. Im Laufe der Monate entwickelt sie eine immer stärkere Besessenheit von dem jungen Mann. Joe ist hin- und hergerissen zwischen dem liebgewonnenen Luxusleben und dem Gefühl, seine Seele dafür zu verkaufen. Und dann ist da auch noch Betty, Sekretärin bei Paramount, in die er sich verliebt hat...
| Weitere Infos | Bei der Tony Award Verleihung 1995 wurde das Stück mit sieben Trophäen ausgezeichnet - darunter für das beste Musical, die beste Musik und das beste Buch.
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
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